Ideen-Welt versetzt, kann uns in der würklichen Welt theils sehr unglücklich, theils zu gänzlich unbrauchbaren Menschen machen. Sie spannt uns zu Erwartungen, erregt Forderungen, die wir nicht befriedigen können, und erfüllt uns mit Eckel gegen alles, was den Idealen nicht entspricht, nach welchen wir in der Bezaube¬ rung, wie nach Schatten greifen. Ein luxurio¬ ser Witz, eine schalkhafte Laune, die nicht unter der Vormundschaft einer keuschen Vernunft ste¬ hen, können nicht nur leicht auf Unkosten des Herzens ausarten, sondern würdigen uns auch herab, verleiten zu Spielwerken, so daß wir, statt der höhern Weisheit und nüchternen Wahr¬ heit nachzustreben und unsre Denkkraft auf wahr¬ haftig nützliche Gegenstände zu verwenden, nur den Genuß des Augenblicks suchen, und statt, mitten durch die Vorurtheile hindurch, in das Wesen der Dinge einzudringen, uns bey den glänzenden Aussenseiten verweilen. Fröhlichkeit kann in Zügellosigkeit, in Streben nach immer¬ währenden Taumel übergehn. Milde Sitten verwandeln sich nicht selten in Weichlichkeit, in übertriebene Geschmeidigkeit, in niedre, unver¬ antwortliche Gefälligkeit, die alles Gepräge von
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Ideen-Welt verſetzt, kann uns in der wuͤrklichen Welt theils ſehr ungluͤcklich, theils zu gaͤnzlich unbrauchbaren Menſchen machen. Sie ſpannt uns zu Erwartungen, erregt Forderungen, die wir nicht befriedigen koͤnnen, und erfuͤllt uns mit Eckel gegen alles, was den Idealen nicht entſpricht, nach welchen wir in der Bezaube¬ rung, wie nach Schatten greifen. Ein luxurio¬ ſer Witz, eine ſchalkhafte Laune, die nicht unter der Vormundſchaft einer keuſchen Vernunft ſte¬ hen, koͤnnen nicht nur leicht auf Unkoſten des Herzens ausarten, ſondern wuͤrdigen uns auch herab, verleiten zu Spielwerken, ſo daß wir, ſtatt der hoͤhern Weisheit und nuͤchternen Wahr¬ heit nachzuſtreben und unſre Denkkraft auf wahr¬ haftig nuͤtzliche Gegenſtaͤnde zu verwenden, nur den Genuß des Augenblicks ſuchen, und ſtatt, mitten durch die Vorurtheile hindurch, in das Weſen der Dinge einzudringen, uns bey den glaͤnzenden Auſſenſeiten verweilen. Froͤhlichkeit kann in Zuͤgelloſigkeit, in Streben nach immer¬ waͤhrenden Taumel uͤbergehn. Milde Sitten verwandeln ſich nicht ſelten in Weichlichkeit, in uͤbertriebene Geſchmeidigkeit, in niedre, unver¬ antwortliche Gefaͤlligkeit, die alles Gepraͤge von
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Ideen-Welt verſetzt, kann uns in der wuͤrklichen
Welt theils ſehr ungluͤcklich, theils zu gaͤnzlich
unbrauchbaren Menſchen machen. Sie ſpannt
uns zu Erwartungen, erregt Forderungen, die
wir nicht befriedigen koͤnnen, und erfuͤllt uns
mit Eckel gegen alles, was den Idealen nicht
entſpricht, nach welchen wir in der Bezaube¬
rung, wie nach Schatten greifen. Ein luxurio¬
ſer Witz, eine ſchalkhafte Laune, die nicht unter
der Vormundſchaft einer keuſchen Vernunft ſte¬
hen, koͤnnen nicht nur leicht auf Unkoſten des
Herzens ausarten, ſondern wuͤrdigen uns auch
herab, verleiten zu Spielwerken, ſo daß wir,
ſtatt der hoͤhern Weisheit und nuͤchternen Wahr¬
heit nachzuſtreben und unſre Denkkraft auf wahr¬
haftig nuͤtzliche Gegenſtaͤnde zu verwenden, nur
den Genuß des Augenblicks ſuchen, und ſtatt,
mitten durch die Vorurtheile hindurch, in das
Weſen der Dinge einzudringen, uns bey den
glaͤnzenden Auſſenſeiten verweilen. Froͤhlichkeit
kann in Zuͤgelloſigkeit, in Streben nach immer¬
waͤhrenden Taumel uͤbergehn. Milde Sitten
verwandeln ſich nicht ſelten in Weichlichkeit, in
uͤbertriebene Geſchmeidigkeit, in niedre, unver¬
antwortliche Gefaͤlligkeit, die alles Gepraͤge von
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/111>, abgerufen am 23.11.2024.
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