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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788.

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Virtuosen, wie der edle Fränzl und sein liebens¬
würdiger Sohn in Manheim, der verständigen
mit allen Privat-Tugenden geschmückten Ma¬
ler, wie der alte Tischbein, der Schauspieler,
bey denen Kopf, Herz und Sitten gleich viel
Verehrung verdienen, wie unser Iffland -- sol¬
cher Männer giebt es nicht so gar Viele unter
ihnen. Ich rathe desfalls, einen äusserst ver¬
traueten Umgang mit dieser Menschen-Classe
nur nach der strengsten Auswahl zu suchen.
Cantores amant humores, das heisst: auf ein
Liedgen schmeckt ein Schlückgen. Sänger,
Dichter und dergleichen lieben das Wohlleben,
und das kann uns nicht wundern. Es giebt
wohl eine Art von Begeisterung, zu der sich die
Seele bey der einfachsten, mäßigsten Lebensart
erheben kann, und die Wahrheit zu gestehn, das
ist wohl die einzige, deren Früchte auf Unsterb¬
lichkeit Anspruch machen dürfen. Hoher
Schwung des Genius, hinauf zu der heiligen,
reinen Quelle, aus welcher er entsprungen, ist
freylich ganz von andrer Art, als Spannung
der Nerven, Erhitzung der Phantasie, durch
Reizung der Sinne, und man sieht es solchen
Werken, wie Klopstocks Messias ist, bald an,

daß

Virtuoſen, wie der edle Fraͤnzl und ſein liebens¬
wuͤrdiger Sohn in Manheim, der verſtaͤndigen
mit allen Privat-Tugenden geſchmuͤckten Ma¬
ler, wie der alte Tiſchbein, der Schauſpieler,
bey denen Kopf, Herz und Sitten gleich viel
Verehrung verdienen, wie unſer Iffland — ſol¬
cher Maͤnner giebt es nicht ſo gar Viele unter
ihnen. Ich rathe desfalls, einen aͤuſſerſt ver¬
traueten Umgang mit dieſer Menſchen-Claſſe
nur nach der ſtrengſten Auswahl zu ſuchen.
Cantores amant humores, das heiſſt: auf ein
Liedgen ſchmeckt ein Schluͤckgen. Saͤnger,
Dichter und dergleichen lieben das Wohlleben,
und das kann uns nicht wundern. Es giebt
wohl eine Art von Begeiſterung, zu der ſich die
Seele bey der einfachſten, maͤßigſten Lebensart
erheben kann, und die Wahrheit zu geſtehn, das
iſt wohl die einzige, deren Fruͤchte auf Unſterb¬
lichkeit Anſpruch machen duͤrfen. Hoher
Schwung des Genius, hinauf zu der heiligen,
reinen Quelle, aus welcher er entſprungen, iſt
freylich ganz von andrer Art, als Spannung
der Nerven, Erhitzung der Phantaſie, durch
Reizung der Sinne, und man ſieht es ſolchen
Werken, wie Klopſtocks Meſſias iſt, bald an,

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[82/0104] Virtuoſen, wie der edle Fraͤnzl und ſein liebens¬ wuͤrdiger Sohn in Manheim, der verſtaͤndigen mit allen Privat-Tugenden geſchmuͤckten Ma¬ ler, wie der alte Tiſchbein, der Schauſpieler, bey denen Kopf, Herz und Sitten gleich viel Verehrung verdienen, wie unſer Iffland — ſol¬ cher Maͤnner giebt es nicht ſo gar Viele unter ihnen. Ich rathe desfalls, einen aͤuſſerſt ver¬ traueten Umgang mit dieſer Menſchen-Claſſe nur nach der ſtrengſten Auswahl zu ſuchen. Cantores amant humores, das heiſſt: auf ein Liedgen ſchmeckt ein Schluͤckgen. Saͤnger, Dichter und dergleichen lieben das Wohlleben, und das kann uns nicht wundern. Es giebt wohl eine Art von Begeiſterung, zu der ſich die Seele bey der einfachſten, maͤßigſten Lebensart erheben kann, und die Wahrheit zu geſtehn, das iſt wohl die einzige, deren Fruͤchte auf Unſterb¬ lichkeit Anſpruch machen duͤrfen. Hoher Schwung des Genius, hinauf zu der heiligen, reinen Quelle, aus welcher er entſprungen, iſt freylich ganz von andrer Art, als Spannung der Nerven, Erhitzung der Phantaſie, durch Reizung der Sinne, und man ſieht es ſolchen Werken, wie Klopſtocks Meſſias iſt, bald an, daß

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Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/104>, abgerufen am 20.04.2024.