Fürsten Kaunitz redete, obgleich ich ganz ge¬ wiß wusste, daß Diese ihn kaum dem Namen nach, und zwar als einen unruhigen Kopf und Pasquillanten kannten. Indessen hatte er hierdurch, da niemand genauer nachfragte, sich auf eine kurze Zeit in ein solches Ansehn gesetzt, daß Leute, die bey des Kaisers Maje¬ stät etwas zu suchen hatten, sich an ihn wen¬ deten. Dann schrieb er auf so unverschämte Art an irgend einen Großen in Wien, und sprach in diesem Briefe von seinen übrigen vor¬ nehmen Freunden daselbst, daß er, zwar nicht Erlangung seines Zwecks, aber doch manche höfliche Antwort erschlich, mit welcher er dann weiter wucherte.
Diese Erfahrung macht den frechen Halb¬ gelehrten so dreist, über Dinge zu entscheiden, wovon er nicht früher als eine Stunde vorher das erste Wort gelesen oder gehört hat, aber so zu entscheiden, daß selbst der anwesende beschei¬ denere Literator es nicht wagt, zu wiederspre¬ chen, noch Fragen zu thun, die des Schwätzers Fahrzeug auf's Trockene werfen könnten.
Diese
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Fuͤrſten Kaunitz redete, obgleich ich ganz ge¬ wiß wuſſte, daß Dieſe ihn kaum dem Namen nach, und zwar als einen unruhigen Kopf und Pasquillanten kannten. Indeſſen hatte er hierdurch, da niemand genauer nachfragte, ſich auf eine kurze Zeit in ein ſolches Anſehn geſetzt, daß Leute, die bey des Kaiſers Maje¬ ſtaͤt etwas zu ſuchen hatten, ſich an ihn wen¬ deten. Dann ſchrieb er auf ſo unverſchaͤmte Art an irgend einen Großen in Wien, und ſprach in dieſem Briefe von ſeinen uͤbrigen vor¬ nehmen Freunden daſelbſt, daß er, zwar nicht Erlangung ſeines Zwecks, aber doch manche hoͤfliche Antwort erſchlich, mit welcher er dann weiter wucherte.
Dieſe Erfahrung macht den frechen Halb¬ gelehrten ſo dreiſt, uͤber Dinge zu entſcheiden, wovon er nicht fruͤher als eine Stunde vorher das erſte Wort geleſen oder gehoͤrt hat, aber ſo zu entſcheiden, daß ſelbſt der anweſende beſchei¬ denere Literator es nicht wagt, zu wiederſpre¬ chen, noch Fragen zu thun, die des Schwaͤtzers Fahrzeug auf's Trockene werfen koͤnnten.
Dieſe
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Fuͤrſten Kaunitz redete, obgleich ich ganz ge¬
wiß wuſſte, daß Dieſe ihn kaum dem Namen
nach, und zwar als einen unruhigen Kopf
und Pasquillanten kannten. Indeſſen hatte
er hierdurch, da niemand genauer nachfragte,
ſich auf eine kurze Zeit in ein ſolches Anſehn
geſetzt, daß Leute, die bey des Kaiſers Maje¬
ſtaͤt etwas zu ſuchen hatten, ſich an ihn wen¬
deten. Dann ſchrieb er auf ſo unverſchaͤmte
Art an irgend einen Großen in Wien, und
ſprach in dieſem Briefe von ſeinen uͤbrigen vor¬
nehmen Freunden daſelbſt, daß er, zwar nicht
Erlangung ſeines Zwecks, aber doch manche
hoͤfliche Antwort erſchlich, mit welcher er dann
weiter wucherte.
Dieſe Erfahrung macht den frechen Halb¬
gelehrten ſo dreiſt, uͤber Dinge zu entſcheiden,
wovon er nicht fruͤher als eine Stunde vorher
das erſte Wort geleſen oder gehoͤrt hat, aber ſo
zu entſcheiden, daß ſelbſt der anweſende beſchei¬
denere Literator es nicht wagt, zu wiederſpre¬
chen, noch Fragen zu thun, die des Schwaͤtzers
Fahrzeug auf's Trockene werfen koͤnnten.
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/65>, abgerufen am 02.05.2024.
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