Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

um an den Freuden der Geselligkeit Theil zu
nehmen, durch ununterbrochene Lenkung des
Gesprächs auf Gegenstände, wovon Dieser gar
nichts versteht, jeden Genuß der Unterredung
rauben. Auf diese Art habe ich zuweilen in
meiner ersten Jugend in Familien-Cirkeln, wo
die Unterhaltung beständig mit Anspielungen
auf mir gänzlich unbekannte Annecdoten durch¬
flochten, und durch gewisse mir fremde Redens¬
arten und Bonmots, womit ich gar keinen Be¬
griff verbinden konnte, gewürzt war, tödtende
Langeweile gehabt. Man sollte wohl mehr
Rücksicht nehmen; allein selten sind ganze Ge¬
sellschaften so billig, sich nach Einzelnen zu rich¬
ten; auch lässt sich das nicht immer mit Recht
fordern; folglich ist es wichtig für Jeden, der
in der Welt mit Menschen leben will, die Kunst
zu studieren, sich nach Sitten, Ton und Stim¬
mung Andrer zu fügen.

Ueber diese Kunst also will ich etwas sagen.
-- Aber habe ich denn auch wohl Beruf, ein
Buch über den esprit de conduite zu schreiben,
ich, der ich in meinem Leben vielleicht sehr we¬
nig von diesem Geiste gezeigt habe? Ziemt es

mir,

um an den Freuden der Geſelligkeit Theil zu
nehmen, durch ununterbrochene Lenkung des
Geſpraͤchs auf Gegenſtaͤnde, wovon Dieſer gar
nichts verſteht, jeden Genuß der Unterredung
rauben. Auf dieſe Art habe ich zuweilen in
meiner erſten Jugend in Familien-Cirkeln, wo
die Unterhaltung beſtaͤndig mit Anſpielungen
auf mir gaͤnzlich unbekannte Annecdoten durch¬
flochten, und durch gewiſſe mir fremde Redens¬
arten und Bonmots, womit ich gar keinen Be¬
griff verbinden konnte, gewuͤrzt war, toͤdtende
Langeweile gehabt. Man ſollte wohl mehr
Ruͤckſicht nehmen; allein ſelten ſind ganze Ge¬
ſellſchaften ſo billig, ſich nach Einzelnen zu rich¬
ten; auch laͤſſt ſich das nicht immer mit Recht
fordern; folglich iſt es wichtig fuͤr Jeden, der
in der Welt mit Menſchen leben will, die Kunſt
zu ſtudieren, ſich nach Sitten, Ton und Stim¬
mung Andrer zu fuͤgen.

Ueber dieſe Kunſt alſo will ich etwas ſagen.
— Aber habe ich denn auch wohl Beruf, ein
Buch uͤber den eſprit de conduite zu ſchreiben,
ich, der ich in meinem Leben vielleicht ſehr we¬
nig von dieſem Geiſte gezeigt habe? Ziemt es

mir,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0054" n="24"/>
um an den Freuden der Ge&#x017F;elligkeit Theil zu<lb/>
nehmen, durch ununterbrochene Lenkung des<lb/>
Ge&#x017F;pra&#x0364;chs auf Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde, wovon Die&#x017F;er gar<lb/>
nichts ver&#x017F;teht, jeden Genuß der Unterredung<lb/>
rauben. Auf die&#x017F;e Art habe ich zuweilen in<lb/>
meiner er&#x017F;ten Jugend in Familien-Cirkeln, wo<lb/>
die Unterhaltung be&#x017F;ta&#x0364;ndig mit An&#x017F;pielungen<lb/>
auf mir ga&#x0364;nzlich unbekannte Annecdoten durch¬<lb/>
flochten, und durch gewi&#x017F;&#x017F;e mir fremde Redens¬<lb/>
arten und Bonmots, womit ich gar keinen Be¬<lb/>
griff verbinden konnte, gewu&#x0364;rzt war, to&#x0364;dtende<lb/>
Langeweile gehabt. Man &#x017F;ollte wohl mehr<lb/>
Ru&#x0364;ck&#x017F;icht nehmen; allein &#x017F;elten &#x017F;ind ganze Ge¬<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaften &#x017F;o billig, &#x017F;ich nach Einzelnen zu rich¬<lb/>
ten; auch la&#x0364;&#x017F;&#x017F;t &#x017F;ich das nicht immer mit Recht<lb/>
fordern; folglich i&#x017F;t es wichtig fu&#x0364;r Jeden, der<lb/>
in der Welt mit Men&#x017F;chen leben will, die Kun&#x017F;t<lb/>
zu &#x017F;tudieren, &#x017F;ich nach Sitten, Ton und Stim¬<lb/>
mung Andrer zu fu&#x0364;gen.</p><lb/>
          <p>Ueber die&#x017F;e Kun&#x017F;t al&#x017F;o will ich etwas &#x017F;agen.<lb/>
&#x2014; Aber habe ich denn auch wohl Beruf, ein<lb/>
Buch u&#x0364;ber den <hi rendition="#aq">e&#x017F;prit de conduite</hi> zu &#x017F;chreiben,<lb/>
ich, der ich in meinem Leben vielleicht &#x017F;ehr we¬<lb/>
nig von die&#x017F;em Gei&#x017F;te gezeigt habe? Ziemt es<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mir,<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0054] um an den Freuden der Geſelligkeit Theil zu nehmen, durch ununterbrochene Lenkung des Geſpraͤchs auf Gegenſtaͤnde, wovon Dieſer gar nichts verſteht, jeden Genuß der Unterredung rauben. Auf dieſe Art habe ich zuweilen in meiner erſten Jugend in Familien-Cirkeln, wo die Unterhaltung beſtaͤndig mit Anſpielungen auf mir gaͤnzlich unbekannte Annecdoten durch¬ flochten, und durch gewiſſe mir fremde Redens¬ arten und Bonmots, womit ich gar keinen Be¬ griff verbinden konnte, gewuͤrzt war, toͤdtende Langeweile gehabt. Man ſollte wohl mehr Ruͤckſicht nehmen; allein ſelten ſind ganze Ge¬ ſellſchaften ſo billig, ſich nach Einzelnen zu rich¬ ten; auch laͤſſt ſich das nicht immer mit Recht fordern; folglich iſt es wichtig fuͤr Jeden, der in der Welt mit Menſchen leben will, die Kunſt zu ſtudieren, ſich nach Sitten, Ton und Stim¬ mung Andrer zu fuͤgen. Ueber dieſe Kunſt alſo will ich etwas ſagen. — Aber habe ich denn auch wohl Beruf, ein Buch uͤber den eſprit de conduite zu ſchreiben, ich, der ich in meinem Leben vielleicht ſehr we¬ nig von dieſem Geiſte gezeigt habe? Ziemt es mir,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/54
Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/54>, abgerufen am 25.11.2024.