Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

recht gut mit freundschaftlicher Vertraulichkeit
bestehn. Man liebt Den nicht, an welchen
man kaum hinaufzuschauen wagen darf; Man
vertrauet sich Dem nicht, der immer mit stei¬
fem Ernst Gesetz predigt; Zwang tödtet alle
edle, freywillige Hingebung. Was kann hin¬
gegen entzückender seyn, als der Anblick eines
geliebten Vaters mitten unter seinen erwach¬
senen Kindern, die nach seinem weisen und
freundlichen Umgange sich sehnen, keinen Ge¬
danken ihres Herzens verbergen vor ihm, der
ihr treuester Rathgeber, ihr nachsichtsvoller
Freund ist, der an ihren unschuldigen, jugend¬
lichen Freuden Theil nimt, oder sie wenig¬
stens nicht stöhrt, und mit ihnen wie mit sei¬
nen besten und natürlichsten Freunden lebt! --
Eine Verbindung, zu welcher sich alle Empfin¬
dungen vereinigen, die nur dem Menschen
theuer seyn können, Stimme der Natur,
Sympathie, Dankbarkeit, Aehnlichkeit des
Geschmacks, gleiches Interesse und Gewohn¬
heit des Umgangs! Allein diese Vertraulich¬
keit kann auch übertrieben werden, und ich
kenne Väter und Mütter, die sich dadurch
verächtlich machen, daß sie die Gefährten der

Aus¬

recht gut mit freundſchaftlicher Vertraulichkeit
beſtehn. Man liebt Den nicht, an welchen
man kaum hinaufzuſchauen wagen darf; Man
vertrauet ſich Dem nicht, der immer mit ſtei¬
fem Ernſt Geſetz predigt; Zwang toͤdtet alle
edle, freywillige Hingebung. Was kann hin¬
gegen entzuͤckender ſeyn, als der Anblick eines
geliebten Vaters mitten unter ſeinen erwach¬
ſenen Kindern, die nach ſeinem weiſen und
freundlichen Umgange ſich ſehnen, keinen Ge¬
danken ihres Herzens verbergen vor ihm, der
ihr treueſter Rathgeber, ihr nachſichtsvoller
Freund iſt, der an ihren unſchuldigen, jugend¬
lichen Freuden Theil nimt, oder ſie wenig¬
ſtens nicht ſtoͤhrt, und mit ihnen wie mit ſei¬
nen beſten und natuͤrlichſten Freunden lebt! —
Eine Verbindung, zu welcher ſich alle Empfin¬
dungen vereinigen, die nur dem Menſchen
theuer ſeyn koͤnnen, Stimme der Natur,
Sympathie, Dankbarkeit, Aehnlichkeit des
Geſchmacks, gleiches Intereſſe und Gewohn¬
heit des Umgangs! Allein dieſe Vertraulich¬
keit kann auch uͤbertrieben werden, und ich
kenne Vaͤter und Muͤtter, die ſich dadurch
veraͤchtlich machen, daß ſie die Gefaͤhrten der

Aus¬
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0137" n="107"/>
recht gut mit freund&#x017F;chaftlicher Vertraulichkeit<lb/>
be&#x017F;tehn. Man liebt Den nicht, an welchen<lb/>
man kaum hinaufzu&#x017F;chauen wagen darf; Man<lb/>
vertrauet &#x017F;ich Dem nicht, der immer mit &#x017F;tei¬<lb/>
fem Ern&#x017F;t Ge&#x017F;etz predigt; Zwang to&#x0364;dtet alle<lb/>
edle, freywillige Hingebung. Was kann hin¬<lb/>
gegen entzu&#x0364;ckender &#x017F;eyn, als der Anblick eines<lb/>
geliebten Vaters mitten unter &#x017F;einen erwach¬<lb/>
&#x017F;enen Kindern, die nach &#x017F;einem wei&#x017F;en und<lb/>
freundlichen Umgange &#x017F;ich &#x017F;ehnen, keinen Ge¬<lb/>
danken ihres Herzens verbergen vor ihm, der<lb/>
ihr treue&#x017F;ter Rathgeber, ihr nach&#x017F;ichtsvoller<lb/>
Freund i&#x017F;t, der an ihren un&#x017F;chuldigen, jugend¬<lb/>
lichen Freuden Theil nimt, oder &#x017F;ie wenig¬<lb/>
&#x017F;tens nicht &#x017F;to&#x0364;hrt, und mit ihnen wie mit &#x017F;ei¬<lb/>
nen be&#x017F;ten und natu&#x0364;rlich&#x017F;ten Freunden lebt! &#x2014;<lb/>
Eine Verbindung, zu welcher &#x017F;ich alle Empfin¬<lb/>
dungen vereinigen, die nur dem Men&#x017F;chen<lb/>
theuer &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen, Stimme der Natur,<lb/>
Sympathie, Dankbarkeit, Aehnlichkeit des<lb/>
Ge&#x017F;chmacks, gleiches Intere&#x017F;&#x017F;e und Gewohn¬<lb/>
heit des Umgangs! Allein die&#x017F;e Vertraulich¬<lb/>
keit kann auch u&#x0364;bertrieben werden, und ich<lb/>
kenne Va&#x0364;ter und Mu&#x0364;tter, die &#x017F;ich dadurch<lb/>
vera&#x0364;chtlich machen, daß &#x017F;ie die Gefa&#x0364;hrten der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Aus¬<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0137] recht gut mit freundſchaftlicher Vertraulichkeit beſtehn. Man liebt Den nicht, an welchen man kaum hinaufzuſchauen wagen darf; Man vertrauet ſich Dem nicht, der immer mit ſtei¬ fem Ernſt Geſetz predigt; Zwang toͤdtet alle edle, freywillige Hingebung. Was kann hin¬ gegen entzuͤckender ſeyn, als der Anblick eines geliebten Vaters mitten unter ſeinen erwach¬ ſenen Kindern, die nach ſeinem weiſen und freundlichen Umgange ſich ſehnen, keinen Ge¬ danken ihres Herzens verbergen vor ihm, der ihr treueſter Rathgeber, ihr nachſichtsvoller Freund iſt, der an ihren unſchuldigen, jugend¬ lichen Freuden Theil nimt, oder ſie wenig¬ ſtens nicht ſtoͤhrt, und mit ihnen wie mit ſei¬ nen beſten und natuͤrlichſten Freunden lebt! — Eine Verbindung, zu welcher ſich alle Empfin¬ dungen vereinigen, die nur dem Menſchen theuer ſeyn koͤnnen, Stimme der Natur, Sympathie, Dankbarkeit, Aehnlichkeit des Geſchmacks, gleiches Intereſſe und Gewohn¬ heit des Umgangs! Allein dieſe Vertraulich¬ keit kann auch uͤbertrieben werden, und ich kenne Vaͤter und Muͤtter, die ſich dadurch veraͤchtlich machen, daß ſie die Gefaͤhrten der Aus¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/137
Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/137>, abgerufen am 18.12.2024.