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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749.

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Der Messias.

Gieng auf ihn zu. Jhm klopfte sein Herz mit mächtigen
Schlägen;

Stille, den Engeln nur weinbare Thränen bedeckten sein
Antlitz;

Seufzer aus tiefer erbebender Brust; ein langsamer
Schauer,

Sterbenden selbst unempfindbar, erschütterten Abbado-
naa,

Jndem er gieng. Doch Abdiels ruhig eröffnetes Auge
Sah unverwandt nach der Welt des Schöpfers, dem er
getreu blieb!

Jhn sah es nicht. Wie die Sonn in der Jugend, wie
Frühlingstage,

Die in den Schoß der kaum erschaffnen Erde sich senkten,
Glänzte der Seraph, doch nicht für den traurigen Ab-
badonaa.

Dieser gieng fort, und seufzte bey sich verlassen und ein-
sam:

Abdiel, mein Bruder, du willst dich mir ewig entzie-
hen!

Ewig willst du mich ferne von dir in der Einsamkeit lassen!
Welnet um mich, ihr Kinder des Lichts! Er liebt mich
nicht wieder,

Ewig nicht wieder, ach weinet um mich! Verblühet, ihr
Lauben,

Wo wir von GOtt und unserer Freundschaft uns zärtlich
besprachen!

Himmlische Bäche, versiegt, wo wir, in süsser Umarmung,
GOttes des Ewigen Lob mit reiner Stimme besangen!
Abdiel, mein Bruder, der ist mir auf ewig gestorben!
Du

Der Meſſias.

Gieng auf ihn zu. Jhm klopfte ſein Herz mit maͤchtigen
Schlaͤgen;

Stille, den Engeln nur weinbare Thraͤnen bedeckten ſein
Antlitz;

Seufzer aus tiefer erbebender Bruſt; ein langſamer
Schauer,

Sterbenden ſelbſt unempfindbar, erſchuͤtterten Abbado-
naa,

Jndem er gieng. Doch Abdiels ruhig eroͤffnetes Auge
Sah unverwandt nach der Welt des Schoͤpfers, dem er
getreu blieb!

Jhn ſah es nicht. Wie die Sonn in der Jugend, wie
Fruͤhlingstage,

Die in den Schoß der kaum erſchaffnen Erde ſich ſenkten,
Glaͤnzte der Seraph, doch nicht fuͤr den traurigen Ab-
badonaa.

Dieſer gieng fort, und ſeufzte bey ſich verlaſſen und ein-
ſam:

Abdiel, mein Bruder, du willſt dich mir ewig entzie-
hen!

Ewig willſt du mich ferne von dir in der Einſamkeit laſſen!
Welnet um mich, ihr Kinder des Lichts! Er liebt mich
nicht wieder,

Ewig nicht wieder, ach weinet um mich! Verbluͤhet, ihr
Lauben,

Wo wir von GOtt und unſerer Freundſchaft uns zaͤrtlich
beſprachen!

Himmliſche Baͤche, verſiegt, wo wir, in ſuͤſſer Umarmung,
GOttes des Ewigen Lob mit reiner Stimme beſangen!
Abdiel, mein Bruder, der iſt mir auf ewig geſtorben!
Du
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[86/0090] Der Meſſias. Gieng auf ihn zu. Jhm klopfte ſein Herz mit maͤchtigen Schlaͤgen; Stille, den Engeln nur weinbare Thraͤnen bedeckten ſein Antlitz; Seufzer aus tiefer erbebender Bruſt; ein langſamer Schauer, Sterbenden ſelbſt unempfindbar, erſchuͤtterten Abbado- naa, Jndem er gieng. Doch Abdiels ruhig eroͤffnetes Auge Sah unverwandt nach der Welt des Schoͤpfers, dem er getreu blieb! Jhn ſah es nicht. Wie die Sonn in der Jugend, wie Fruͤhlingstage, Die in den Schoß der kaum erſchaffnen Erde ſich ſenkten, Glaͤnzte der Seraph, doch nicht fuͤr den traurigen Ab- badonaa. Dieſer gieng fort, und ſeufzte bey ſich verlaſſen und ein- ſam: Abdiel, mein Bruder, du willſt dich mir ewig entzie- hen! Ewig willſt du mich ferne von dir in der Einſamkeit laſſen! Welnet um mich, ihr Kinder des Lichts! Er liebt mich nicht wieder, Ewig nicht wieder, ach weinet um mich! Verbluͤhet, ihr Lauben, Wo wir von GOtt und unſerer Freundſchaft uns zaͤrtlich beſprachen! Himmliſche Baͤche, verſiegt, wo wir, in ſuͤſſer Umarmung, GOttes des Ewigen Lob mit reiner Stimme beſangen! Abdiel, mein Bruder, der iſt mir auf ewig geſtorben! Du

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Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/90>, abgerufen am 03.05.2024.