Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite

Dritter Gesang.

Unter den Todten entsührtet ihr ihn, und nahmt ihm
sein Leben?

Ach wo liegst du göttlicher Freund? Ja, unter den
Todten,

Bleich und entstellt, der zärtlichen Huld und des himmli-
schen Lächelns,

Aller deiner erbarmenden Blicke von Mördern beraubet,
Liegst du! Und dich haben die Deinen nicht sterben gese-
hen!

Ach daß dieses bekümmerte Herz mir nur nicht mehr
schlüge!

Daß mein zum Trauren erschaffener Geist, wie dies düstre
Gewölke,

Tief in die Nacht des Todes entflöhe! Daß meine Ge-
beine

Felsen würden, und ewig hier stumm, und ewig hier
einsam

Stünden, und ein Denkmal der bängsten Traurigkeit
würden!

Also klagt er, und sank in Ohnmacht und Schlummer
danieder.

Elim bedeckt ihn mit Sprößlingszweigen des schattenden
Oelbaums,

Wehte zugleich mit wärmenden Lüften sein starrendes
Antlitz

Unsichtbar an, und goß ihm Leben und ruhigen Schlum-
mer

Ueber sein Haupt. Er schlief und sah im heiligen
Traume,

Durch den Engel, den Mittler vor sich lebendig herumgehn.
Selia
H 2

Dritter Geſang.

Unter den Todten entſuͤhrtet ihr ihn, und nahmt ihm
ſein Leben?

Ach wo liegſt du goͤttlicher Freund? Ja, unter den
Todten,

Bleich und entſtellt, der zaͤrtlichen Huld und des himmli-
ſchen Laͤchelns,

Aller deiner erbarmenden Blicke von Moͤrdern beraubet,
Liegſt du! Und dich haben die Deinen nicht ſterben geſe-
hen!

Ach daß dieſes bekuͤmmerte Herz mir nur nicht mehr
ſchluͤge!

Daß mein zum Trauren erſchaffener Geiſt, wie dies duͤſtre
Gewoͤlke,

Tief in die Nacht des Todes entfloͤhe! Daß meine Ge-
beine

Felſen wuͤrden, und ewig hier ſtumm, und ewig hier
einſam

Stuͤnden, und ein Denkmal der baͤngſten Traurigkeit
wuͤrden!

Alſo klagt er, und ſank in Ohnmacht und Schlummer
danieder.

Elim bedeckt ihn mit Sproͤßlingszweigen des ſchattenden
Oelbaums,

Wehte zugleich mit waͤrmenden Luͤften ſein ſtarrendes
Antlitz

Unſichtbar an, und goß ihm Leben und ruhigen Schlum-
mer

Ueber ſein Haupt. Er ſchlief und ſah im heiligen
Traume,

Durch den Engel, den Mittler vor ſich lebendig herumgehn.
Selia
H 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <lg type="poem">
        <lg n="22">
          <l>
            <pb facs="#f0119" n="115"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Dritter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw>
          </l><lb/>
          <l>Unter den Todten ent&#x017F;u&#x0364;hrtet ihr ihn, und nahmt ihm<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ein Leben?</hi></l><lb/>
          <l>Ach wo lieg&#x017F;t du go&#x0364;ttlicher Freund? Ja, unter den<lb/><hi rendition="#et">Todten,</hi></l><lb/>
          <l>Bleich und ent&#x017F;tellt, der za&#x0364;rtlichen Huld und des himmli-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chen La&#x0364;chelns,</hi></l><lb/>
          <l>Aller deiner erbarmenden Blicke von Mo&#x0364;rdern beraubet,</l><lb/>
          <l>Lieg&#x017F;t du! Und dich haben die Deinen nicht &#x017F;terben ge&#x017F;e-<lb/><hi rendition="#et">hen!</hi></l><lb/>
          <l>Ach daß die&#x017F;es beku&#x0364;mmerte Herz mir nur nicht mehr<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chlu&#x0364;ge!</hi></l><lb/>
          <l>Daß mein zum Trauren er&#x017F;chaffener Gei&#x017F;t, wie dies du&#x0364;&#x017F;tre<lb/><hi rendition="#et">Gewo&#x0364;lke,</hi></l><lb/>
          <l>Tief in die Nacht des Todes entflo&#x0364;he! Daß meine Ge-<lb/><hi rendition="#et">beine</hi></l><lb/>
          <l>Fel&#x017F;en wu&#x0364;rden, und ewig hier &#x017F;tumm, und ewig hier<lb/><hi rendition="#et">ein&#x017F;am</hi></l><lb/>
          <l>Stu&#x0364;nden, und ein Denkmal der ba&#x0364;ng&#x017F;ten Traurigkeit<lb/><hi rendition="#et">wu&#x0364;rden!</hi></l>
        </lg><lb/>
        <lg n="23">
          <l>Al&#x017F;o klagt er, und &#x017F;ank in Ohnmacht und Schlummer<lb/><hi rendition="#et">danieder.</hi></l><lb/>
          <l>Elim bedeckt ihn mit Spro&#x0364;ßlingszweigen des &#x017F;chattenden<lb/><hi rendition="#et">Oelbaums,</hi></l><lb/>
          <l>Wehte zugleich mit wa&#x0364;rmenden Lu&#x0364;ften &#x017F;ein &#x017F;tarrendes<lb/><hi rendition="#et">Antlitz</hi></l><lb/>
          <l>Un&#x017F;ichtbar an, und goß ihm Leben und ruhigen Schlum-<lb/><hi rendition="#et">mer</hi></l><lb/>
          <l>Ueber &#x017F;ein Haupt. Er &#x017F;chlief und &#x017F;ah im heiligen<lb/><hi rendition="#et">Traume,</hi></l><lb/>
          <l>Durch den Engel, den Mittler vor &#x017F;ich lebendig herumgehn.</l>
        </lg><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">H 2</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Selia</fw><lb/>
      </lg>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0119] Dritter Geſang. Unter den Todten entſuͤhrtet ihr ihn, und nahmt ihm ſein Leben? Ach wo liegſt du goͤttlicher Freund? Ja, unter den Todten, Bleich und entſtellt, der zaͤrtlichen Huld und des himmli- ſchen Laͤchelns, Aller deiner erbarmenden Blicke von Moͤrdern beraubet, Liegſt du! Und dich haben die Deinen nicht ſterben geſe- hen! Ach daß dieſes bekuͤmmerte Herz mir nur nicht mehr ſchluͤge! Daß mein zum Trauren erſchaffener Geiſt, wie dies duͤſtre Gewoͤlke, Tief in die Nacht des Todes entfloͤhe! Daß meine Ge- beine Felſen wuͤrden, und ewig hier ſtumm, und ewig hier einſam Stuͤnden, und ein Denkmal der baͤngſten Traurigkeit wuͤrden! Alſo klagt er, und ſank in Ohnmacht und Schlummer danieder. Elim bedeckt ihn mit Sproͤßlingszweigen des ſchattenden Oelbaums, Wehte zugleich mit waͤrmenden Luͤften ſein ſtarrendes Antlitz Unſichtbar an, und goß ihm Leben und ruhigen Schlum- mer Ueber ſein Haupt. Er ſchlief und ſah im heiligen Traume, Durch den Engel, den Mittler vor ſich lebendig herumgehn. Selia H 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die ersten drei Gesänge von Klopstocks ‚Messias‘ … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/119
Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/119>, abgerufen am 23.11.2024.