[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.Der Messias. Von dem milderem Schimmer des letzten Tages zu hören.Adam setzte sich nieder auf einer der Höhen; sie setzten Sich an dem Fusse des Hügels vor Christus Begnadigtem nieder. Einst am Tage des Herrn, als, auf der kommenden Dämm'rung Flügel, vor mir die einsamen freudigen Stunden vorbeyflohn, Und ich forschete; kam die heilige Sionitin Gegen mich her. So war mir noch nie die Prophetin erschienen, So viel Ewigkeit hatte noch niemals ihr Antlitz getragen! Und sie sang mir Adams Gesicht. Sie selber verstummte Oft, da sie sang. Die Wange glüht' ihr, es drang zusehends Jn ihr glühendes Angesicht schnelle Bläße. Die Lippe Rufte stammelnde Donner, und ernst her blickt' ihr das Auge. Fast entsank die Harfe der starrenden Hand, und die Krone Bebt' um ihr fliegendes Haar. Dann erhub | sie sich wieder, dann kam ihr Jedes Lächeln der ewigen Ruh in ihr Antlitz herunter. Dann mit hundert Flügeln geflügelt, mit Schwingen des Sturmes, Stiegen die Erstgebohrnen der Seele, die wahrsten Gedanken Auf zu Gott. So sah sie mein Aug', und starrt' in die Nacht hin. Mit der Linken berührt' ich die Erde, mein Grab; und die Rechte Hub ich gegen den Himmel empor. Der Erde Bewohner, Oder des Grabes, was ich vermag, das will ich euch singen. Tausend Gedanken erflog mein Geist nicht; zu tausenden fehlt mir Stimm' und Gesang; und tausendmal tausend verbarg sie dem Hörer. Adam begann. So strömten die Lippen des Erstgeschaffnen: Schnell, der Cherub denket so schnell, so wurd' ich geführet Unter die Schaarenheere der auferstandenen Todten. Grenz-
Der Meſſias. Von dem milderem Schimmer des letzten Tages zu hoͤren.Adam ſetzte ſich nieder auf einer der Hoͤhen; ſie ſetzten Sich an dem Fuſſe des Huͤgels vor Chriſtus Begnadigtem nieder. Einſt am Tage des Herrn, als, auf der kommenden Daͤmm’rung Fluͤgel, vor mir die einſamen freudigen Stunden vorbeyflohn, Und ich forſchete; kam die heilige Sionitin Gegen mich her. So war mir noch nie die Prophetin erſchienen, So viel Ewigkeit hatte noch niemals ihr Antlitz getragen! Und ſie ſang mir Adams Geſicht. Sie ſelber verſtummte Oft, da ſie ſang. Die Wange gluͤht’ ihr, es drang zuſehends Jn ihr gluͤhendes Angeſicht ſchnelle Blaͤße. Die Lippe Rufte ſtammelnde Donner, und ernſt her blickt’ ihr das Auge. Faſt entſank die Harfe der ſtarrenden Hand, und die Krone Bebt’ um ihr fliegendes Haar. Dann erhub | ſie ſich wieder, dann kam ihr Jedes Laͤcheln der ewigen Ruh in ihr Antlitz herunter. Dann mit hundert Fluͤgeln gefluͤgelt, mit Schwingen des Sturmes, Stiegen die Erſtgebohrnen der Seele, die wahrſten Gedanken Auf zu Gott. So ſah ſie mein Aug’, und ſtarrt’ in die Nacht hin. Mit der Linken beruͤhrt’ ich die Erde, mein Grab; und die Rechte Hub ich gegen den Himmel empor. Der Erde Bewohner, Oder des Grabes, was ich vermag, das will ich euch ſingen. Tauſend Gedanken erflog mein Geiſt nicht; zu tauſenden fehlt mir Stimm’ und Geſang; und tauſendmal tauſend verbarg ſie dem Hoͤrer. Adam begann. So ſtroͤmten die Lippen des Erſtgeſchaffnen: Schnell, der Cherub denket ſo ſchnell, ſo wurd’ ich gefuͤhret Unter die Schaarenheere der auferſtandenen Todten. Grenz-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="3"> <pb facs="#f0084" n="84"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Meſſias.</hi> </fw><lb/> <l>Von dem milderem Schimmer des letzten Tages zu hoͤren.</l><lb/> <l>Adam ſetzte ſich nieder auf einer der Hoͤhen; ſie ſetzten</l><lb/> <l>Sich an dem Fuſſe des Huͤgels vor Chriſtus Begnadigtem nieder.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Einſt am Tage des Herrn, als, auf der kommenden Daͤmm’rung</l><lb/> <l>Fluͤgel, vor mir die einſamen freudigen Stunden vorbeyflohn,</l><lb/> <l>Und ich forſchete; kam die heilige Sionitin</l><lb/> <l>Gegen mich her. So war mir noch nie die Prophetin erſchienen,</l><lb/> <l>So viel Ewigkeit hatte noch niemals ihr Antlitz getragen!</l><lb/> <l>Und ſie ſang mir Adams Geſicht. Sie ſelber verſtummte</l><lb/> <l>Oft, da ſie ſang. Die Wange gluͤht’ ihr, es drang zuſehends</l><lb/> <l>Jn ihr gluͤhendes Angeſicht ſchnelle Blaͤße. Die Lippe</l><lb/> <l>Rufte ſtammelnde Donner, und ernſt her blickt’ ihr das Auge.</l><lb/> <l>Faſt entſank die Harfe der ſtarrenden Hand, und die Krone</l><lb/> <l>Bebt’ um ihr fliegendes Haar. Dann erhub | ſie ſich wieder, dann</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">kam ihr</hi> </l><lb/> <l>Jedes Laͤcheln der ewigen Ruh in ihr Antlitz herunter.</l><lb/> <l>Dann mit hundert Fluͤgeln gefluͤgelt, mit Schwingen des Sturmes,</l><lb/> <l>Stiegen die Erſtgebohrnen der Seele, die wahrſten Gedanken</l><lb/> <l>Auf zu Gott. So ſah ſie mein Aug’, und ſtarrt’ in die Nacht hin.</l><lb/> <l>Mit der Linken beruͤhrt’ ich die Erde, mein Grab; und die Rechte</l><lb/> <l>Hub ich gegen den Himmel empor. Der Erde Bewohner,</l><lb/> <l>Oder des Grabes, was ich vermag, das will ich euch ſingen.</l><lb/> <l>Tauſend Gedanken erflog mein Geiſt nicht; zu tauſenden fehlt mir</l><lb/> <l>Stimm’ und Geſang; und tauſendmal tauſend verbarg ſie dem Hoͤrer.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Adam begann. So ſtroͤmten die Lippen des Erſtgeſchaffnen:</l><lb/> <l>Schnell, der Cherub denket ſo ſchnell, ſo wurd’ ich gefuͤhret</l><lb/> <l>Unter die Schaarenheere der auferſtandenen Todten.</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Grenz-</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [84/0084]
Der Meſſias.
Von dem milderem Schimmer des letzten Tages zu hoͤren.
Adam ſetzte ſich nieder auf einer der Hoͤhen; ſie ſetzten
Sich an dem Fuſſe des Huͤgels vor Chriſtus Begnadigtem nieder.
Einſt am Tage des Herrn, als, auf der kommenden Daͤmm’rung
Fluͤgel, vor mir die einſamen freudigen Stunden vorbeyflohn,
Und ich forſchete; kam die heilige Sionitin
Gegen mich her. So war mir noch nie die Prophetin erſchienen,
So viel Ewigkeit hatte noch niemals ihr Antlitz getragen!
Und ſie ſang mir Adams Geſicht. Sie ſelber verſtummte
Oft, da ſie ſang. Die Wange gluͤht’ ihr, es drang zuſehends
Jn ihr gluͤhendes Angeſicht ſchnelle Blaͤße. Die Lippe
Rufte ſtammelnde Donner, und ernſt her blickt’ ihr das Auge.
Faſt entſank die Harfe der ſtarrenden Hand, und die Krone
Bebt’ um ihr fliegendes Haar. Dann erhub | ſie ſich wieder, dann
kam ihr
Jedes Laͤcheln der ewigen Ruh in ihr Antlitz herunter.
Dann mit hundert Fluͤgeln gefluͤgelt, mit Schwingen des Sturmes,
Stiegen die Erſtgebohrnen der Seele, die wahrſten Gedanken
Auf zu Gott. So ſah ſie mein Aug’, und ſtarrt’ in die Nacht hin.
Mit der Linken beruͤhrt’ ich die Erde, mein Grab; und die Rechte
Hub ich gegen den Himmel empor. Der Erde Bewohner,
Oder des Grabes, was ich vermag, das will ich euch ſingen.
Tauſend Gedanken erflog mein Geiſt nicht; zu tauſenden fehlt mir
Stimm’ und Geſang; und tauſendmal tauſend verbarg ſie dem Hoͤrer.
Adam begann. So ſtroͤmten die Lippen des Erſtgeſchaffnen:
Schnell, der Cherub denket ſo ſchnell, ſo wurd’ ich gefuͤhret
Unter die Schaarenheere der auferſtandenen Todten.
Grenz-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |