Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Messias. Sechzehnter Gesang.
Also erscholl sein Wutausruf. Wehklagend ergoß sich
Belielels Schmerz in der Jammeröde. So rief er:
Habt ihr die Blumen gesehn, die vor ihm (ach, Eden des Himmels,
Dich erblikt' ich!) vor ihm aufsproßten, hinter ihm schleunig
Welkten, dorrten, vergingen? Wir dorren auf ewig, vergehn nicht!
Ach vergehn nicht! Er riefs, und wünschte, daß unter ihm neue
Tiefen sich öfneten, ihn in ihren Gräbern zu bergen.
Endlich rafte sich auch Adramelech auf, ein Entsetzen
Aller Stolzen. Denn schnell entsank ihm die Kraft, und er stürzte
Nieder, daß laut das Gebein ihm hallt', und dunkel die Asche,
Dikgewölkt von dem Fallenden stieg! Doch mühte sich Moloch
Aufzustehen. Er saß auf seine Rechte gestüzet,
Sprach zu Magog: Mir schwanken vom Wirbelwind die Gerippe!
Und mir heult der Orkan in dem Schädel! aber ich will es!
Aufstehn will ich! Es lieg' Adramelech! Er that's, stand, faßte
Magog, und riß ihn auf! Sie standen. Sie giengen und Magog
Rief: Den schreklichen Leib, wenn es anders ein Leib ist, wir wollen
Jhn uns, einer dem andern, zerstören! Zermalm' mein Gebein mir!
Jch zermalme dir deins! Das übrige, wenn wir nun sinken,
Werden die Donnerstürme zerstreun! .. Sie faßten einander;
Wollten zermalmen! allein, wie in Felsen Orions gebrochen,
War ihr Gebein! Sie stürzten von thürmenden Bergen sich nieder!
Aber, als wärs in den Klüften der sieben Sterne gehärtet,
War der hingestürzten Gebein! Sie mußten im Abgrund
Liegen bleiben, wie sie von der Höh sich hatten gestürzet,
Liegen, gestrekt, unbeweglich, und stumm! .. So fühlte, wer der sey,
Der auf Golgatha starb, die unterste Hölle. So warnte
Neues Gericht sie mit schreklicher Warnung, nicht aufzuhäufen,
Auf Empförung, Empörung dem lezten Gerichte des Mitlers.


Der
Der Meſſias. Sechzehnter Geſang.
Alſo erſcholl ſein Wutausruf. Wehklagend ergoß ſich
Belielels Schmerz in der Jammeroͤde. So rief er:
Habt ihr die Blumen geſehn, die vor ihm (ach, Eden des Himmels,
Dich erblikt’ ich!) vor ihm aufſproßten, hinter ihm ſchleunig
Welkten, dorrten, vergingen? Wir dorren auf ewig, vergehn nicht!
Ach vergehn nicht! Er riefs, und wuͤnſchte, daß unter ihm neue
Tiefen ſich oͤfneten, ihn in ihren Graͤbern zu bergen.
Endlich rafte ſich auch Adramelech auf, ein Entſetzen
Aller Stolzen. Denn ſchnell entſank ihm die Kraft, und er ſtuͤrzte
Nieder, daß laut das Gebein ihm hallt’, und dunkel die Aſche,
Dikgewoͤlkt von dem Fallenden ſtieg! Doch muͤhte ſich Moloch
Aufzuſtehen. Er ſaß auf ſeine Rechte geſtuͤzet,
Sprach zu Magog: Mir ſchwanken vom Wirbelwind die Gerippe!
Und mir heult der Orkan in dem Schaͤdel! aber ich will es!
Aufſtehn will ich! Es lieg’ Adramelech! Er that’s, ſtand, faßte
Magog, und riß ihn auf! Sie ſtanden. Sie giengen und Magog
Rief: Den ſchreklichen Leib, wenn es anders ein Leib iſt, wir wollen
Jhn uns, einer dem andern, zerſtoͤren! Zermalm’ mein Gebein mir!
Jch zermalme dir deins! Das uͤbrige, wenn wir nun ſinken,
Werden die Donnerſtuͤrme zerſtreun! .. Sie faßten einander;
Wollten zermalmen! allein, wie in Felſen Orions gebrochen,
War ihr Gebein! Sie ſtuͤrzten von thuͤrmenden Bergen ſich nieder!
Aber, als waͤrs in den Kluͤften der ſieben Sterne gehaͤrtet,
War der hingeſtuͤrzten Gebein! Sie mußten im Abgrund
Liegen bleiben, wie ſie von der Hoͤh ſich hatten geſtuͤrzet,
Liegen, geſtrekt, unbeweglich, und ſtumm! .. So fuͤhlte, wer der ſey,
Der auf Golgatha ſtarb, die unterſte Hoͤlle. So warnte
Neues Gericht ſie mit ſchreklicher Warnung, nicht aufzuhaͤufen,
Auf Empfoͤrung, Empoͤrung dem lezten Gerichte des Mitlers.


Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0050" n="50"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias. Sechzehnter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
            <lg n="60">
              <l>Al&#x017F;o er&#x017F;choll &#x017F;ein Wutausruf. Wehklagend ergoß &#x017F;ich</l><lb/>
              <l>Belielels Schmerz in der Jammero&#x0364;de. So rief er:</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="61">
              <l>Habt ihr die Blumen ge&#x017F;ehn, die vor ihm (ach, Eden des Himmels,</l><lb/>
              <l>Dich erblikt&#x2019; ich!) vor ihm auf&#x017F;proßten, hinter ihm &#x017F;chleunig</l><lb/>
              <l>Welkten, dorrten, vergingen? Wir dorren auf ewig, vergehn nicht!</l><lb/>
              <l>Ach vergehn nicht! Er riefs, und wu&#x0364;n&#x017F;chte, daß unter ihm neue</l><lb/>
              <l>Tiefen &#x017F;ich o&#x0364;fneten, ihn in ihren Gra&#x0364;bern zu bergen.</l><lb/>
              <l>Endlich rafte &#x017F;ich auch Adramelech auf, ein Ent&#x017F;etzen</l><lb/>
              <l>Aller Stolzen. Denn &#x017F;chnell ent&#x017F;ank ihm die Kraft, und er &#x017F;tu&#x0364;rzte</l><lb/>
              <l>Nieder, daß laut das Gebein ihm hallt&#x2019;, und dunkel die A&#x017F;che,</l><lb/>
              <l>Dikgewo&#x0364;lkt von dem Fallenden &#x017F;tieg! Doch mu&#x0364;hte &#x017F;ich Moloch</l><lb/>
              <l>Aufzu&#x017F;tehen. Er &#x017F;aß auf &#x017F;eine Rechte ge&#x017F;tu&#x0364;zet,</l><lb/>
              <l>Sprach zu Magog: Mir &#x017F;chwanken vom Wirbelwind die Gerippe!</l><lb/>
              <l>Und mir heult der Orkan in dem Scha&#x0364;del! aber ich will es!</l><lb/>
              <l>Auf&#x017F;tehn will ich! Es lieg&#x2019; Adramelech! Er that&#x2019;s, &#x017F;tand, faßte</l><lb/>
              <l>Magog, und riß ihn auf! Sie &#x017F;tanden. Sie giengen und Magog</l><lb/>
              <l>Rief: Den &#x017F;chreklichen Leib, wenn es anders ein Leib i&#x017F;t, wir wollen</l><lb/>
              <l>Jhn uns, einer dem andern, zer&#x017F;to&#x0364;ren! Zermalm&#x2019; mein Gebein mir!</l><lb/>
              <l>Jch zermalme dir deins! Das u&#x0364;brige, wenn wir nun &#x017F;inken,</l><lb/>
              <l>Werden die Donner&#x017F;tu&#x0364;rme zer&#x017F;treun! .. Sie faßten einander;</l><lb/>
              <l>Wollten zermalmen! allein, wie in Fel&#x017F;en Orions gebrochen,</l><lb/>
              <l>War ihr Gebein! Sie &#x017F;tu&#x0364;rzten von thu&#x0364;rmenden Bergen &#x017F;ich nieder!</l><lb/>
              <l>Aber, als wa&#x0364;rs in den Klu&#x0364;ften der &#x017F;ieben Sterne geha&#x0364;rtet,</l><lb/>
              <l>War der hinge&#x017F;tu&#x0364;rzten Gebein! Sie mußten im Abgrund</l><lb/>
              <l>Liegen bleiben, wie &#x017F;ie von der Ho&#x0364;h &#x017F;ich hatten ge&#x017F;tu&#x0364;rzet,</l><lb/>
              <l>Liegen, ge&#x017F;trekt, unbeweglich, und &#x017F;tumm! .. So fu&#x0364;hlte, wer der &#x017F;ey,</l><lb/>
              <l>Der auf Golgatha &#x017F;tarb, die unter&#x017F;te Ho&#x0364;lle. So warnte</l><lb/>
              <l>Neues Gericht &#x017F;ie mit &#x017F;chreklicher Warnung, nicht aufzuha&#x0364;ufen,</l><lb/>
              <l>Auf Empfo&#x0364;rung, Empo&#x0364;rung dem lezten Gerichte des Mitlers.</l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Der</hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0050] Der Meſſias. Sechzehnter Geſang. Alſo erſcholl ſein Wutausruf. Wehklagend ergoß ſich Belielels Schmerz in der Jammeroͤde. So rief er: Habt ihr die Blumen geſehn, die vor ihm (ach, Eden des Himmels, Dich erblikt’ ich!) vor ihm aufſproßten, hinter ihm ſchleunig Welkten, dorrten, vergingen? Wir dorren auf ewig, vergehn nicht! Ach vergehn nicht! Er riefs, und wuͤnſchte, daß unter ihm neue Tiefen ſich oͤfneten, ihn in ihren Graͤbern zu bergen. Endlich rafte ſich auch Adramelech auf, ein Entſetzen Aller Stolzen. Denn ſchnell entſank ihm die Kraft, und er ſtuͤrzte Nieder, daß laut das Gebein ihm hallt’, und dunkel die Aſche, Dikgewoͤlkt von dem Fallenden ſtieg! Doch muͤhte ſich Moloch Aufzuſtehen. Er ſaß auf ſeine Rechte geſtuͤzet, Sprach zu Magog: Mir ſchwanken vom Wirbelwind die Gerippe! Und mir heult der Orkan in dem Schaͤdel! aber ich will es! Aufſtehn will ich! Es lieg’ Adramelech! Er that’s, ſtand, faßte Magog, und riß ihn auf! Sie ſtanden. Sie giengen und Magog Rief: Den ſchreklichen Leib, wenn es anders ein Leib iſt, wir wollen Jhn uns, einer dem andern, zerſtoͤren! Zermalm’ mein Gebein mir! Jch zermalme dir deins! Das uͤbrige, wenn wir nun ſinken, Werden die Donnerſtuͤrme zerſtreun! .. Sie faßten einander; Wollten zermalmen! allein, wie in Felſen Orions gebrochen, War ihr Gebein! Sie ſtuͤrzten von thuͤrmenden Bergen ſich nieder! Aber, als waͤrs in den Kluͤften der ſieben Sterne gehaͤrtet, War der hingeſtuͤrzten Gebein! Sie mußten im Abgrund Liegen bleiben, wie ſie von der Hoͤh ſich hatten geſtuͤrzet, Liegen, geſtrekt, unbeweglich, und ſtumm! .. So fuͤhlte, wer der ſey, Der auf Golgatha ſtarb, die unterſte Hoͤlle. So warnte Neues Gericht ſie mit ſchreklicher Warnung, nicht aufzuhaͤufen, Auf Empfoͤrung, Empoͤrung dem lezten Gerichte des Mitlers. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/50
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/50>, abgerufen am 21.11.2024.