Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechzehnter Gefang.
Und die Strahlen Eloa's, der Christus schaute, verloschen
Schnell in Schimmer. Es bebten die Auferstandnen, die Engel,
Thoa, die Seelen bebten: Auf Einmal ergoß sich die Blässe,
Kam die Gebehrde des Todes; und, unter des einsten Erstaunens
Lautem Ruf, sank Thoa, und starb! Der Arm der Allmacht
Wandelte bald die Verwesung in Staub, gab bald den getrennten
Staub den verwehenden Winden; und ach der Seele des Todten
Wurde kein Leib aus der Heitre geschaffen. Sie war allein, war
Ganz von allen Wesen verlassen! war nicht in der Schöpfung!
Nicht auf der Erde der Sterblichen, nicht auf ihrer! Sie sahe
Keines Unsterblichen Antlitz! vernahm in der bitteren Wehmuth
Keines Himmlischen Stimme! Sie dachte, wie ehmals; auch konnte
Sie sich bewegen, doch blieb, auch bewegt, sie stets in der Orde!
Ach vor ihr war jeder Schauplatz neuer Erkenutniß
Weggesunken! Sie hatte nur Voriges, und sich selbst, war
Freundelos, ohn' Einen Laut Antwort auf die bange
Frage: Wenn sein Gericht der Richter endigen werde?
Nur, daß ihr aus den alten bisweilen Gedanken entstanden,
Welche (doch dieses wußte sie nicht,) die ihren nicht waren.

Endlich hatt' Elisama sein graues Haupt in die Grube
Niedergelegt, ein dürftiger Greis, der wankend am Stabe
Vor der Thüre der Reichen sein Brodt erflehte, sein Wasser
Schöpft' aus den Quellen. Er war empfindliches Herzens gewesen,
Aber geduldig. Ein Held, wie wenige, hatt' er des Lebens
Größte Trübsal nicht nur ertragen, er hatte, den Schöpfer
Aller Dinge, den Geber der Freud' und des Schmerzes, gepriesen.
Könige hätt' er ehren können; und ward von den letzten
Unter
C 5

Sechzehnter Gefang.
Und die Strahlen Eloa’s, der Chriſtus ſchaute, verloſchen
Schnell in Schimmer. Es bebten die Auferſtandnen, die Engel,
Thoa, die Seelen bebten: Auf Einmal ergoß ſich die Blaͤſſe,
Kam die Gebehrde des Todes; und, unter des einſten Erſtaunens
Lautem Ruf, ſank Thoa, und ſtarb! Der Arm der Allmacht
Wandelte bald die Verweſung in Staub, gab bald den getrennten
Staub den verwehenden Winden; und ach der Seele des Todten
Wurde kein Leib aus der Heitre geſchaffen. Sie war allein, war
Ganz von allen Weſen verlaſſen! war nicht in der Schoͤpfung!
Nicht auf der Erde der Sterblichen, nicht auf ihrer! Sie ſahe
Keines Unſterblichen Antlitz! vernahm in der bitteren Wehmuth
Keines Himmliſchen Stimme! Sie dachte, wie ehmals; auch konnte
Sie ſich bewegen, doch blieb, auch bewegt, ſie ſtets in der Orde!
Ach vor ihr war jeder Schauplatz neuer Erkenutniß
Weggeſunken! Sie hatte nur Voriges, und ſich ſelbſt, war
Freundelos, ohn’ Einen Laut Antwort auf die bange
Frage: Wenn ſein Gericht der Richter endigen werde?
Nur, daß ihr aus den alten bisweilen Gedanken entſtanden,
Welche (doch dieſes wußte ſie nicht,) die ihren nicht waren.

Endlich hatt’ Eliſama ſein graues Haupt in die Grube
Niedergelegt, ein duͤrftiger Greis, der wankend am Stabe
Vor der Thuͤre der Reichen ſein Brodt erflehte, ſein Waſſer
Schoͤpft’ aus den Quellen. Er war empfindliches Herzens geweſen,
Aber geduldig. Ein Held, wie wenige, hatt’ er des Lebens
Groͤßte Truͤbſal nicht nur ertragen, er hatte, den Schoͤpfer
Aller Dinge, den Geber der Freud’ und des Schmerzes, geprieſen.
Koͤnige haͤtt’ er ehren koͤnnen; und ward von den letzten
Unter
C 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="35">
              <pb facs="#f0041" n="41"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Sechzehnter Gefang.</hi> </fw><lb/>
              <l>Und die Strahlen Eloa&#x2019;s, der Chri&#x017F;tus &#x017F;chaute, verlo&#x017F;chen</l><lb/>
              <l>Schnell in Schimmer. Es bebten die Aufer&#x017F;tandnen, die Engel,</l><lb/>
              <l>Thoa, die Seelen bebten: Auf Einmal ergoß &#x017F;ich die Bla&#x0364;&#x017F;&#x017F;e,</l><lb/>
              <l>Kam die Gebehrde des Todes; und, unter des ein&#x017F;ten Er&#x017F;taunens</l><lb/>
              <l>Lautem Ruf, &#x017F;ank Thoa, und &#x017F;tarb! Der Arm der Allmacht</l><lb/>
              <l>Wandelte bald die Verwe&#x017F;ung in Staub, gab bald den getrennten</l><lb/>
              <l>Staub den verwehenden Winden; und ach der Seele des Todten</l><lb/>
              <l>Wurde kein Leib aus der Heitre ge&#x017F;chaffen. Sie war allein, war</l><lb/>
              <l>Ganz von allen We&#x017F;en verla&#x017F;&#x017F;en! war nicht in der Scho&#x0364;pfung!</l><lb/>
              <l>Nicht auf der Erde der Sterblichen, nicht auf ihrer! Sie &#x017F;ahe</l><lb/>
              <l>Keines Un&#x017F;terblichen Antlitz! vernahm in der bitteren Wehmuth</l><lb/>
              <l>Keines Himmli&#x017F;chen Stimme! Sie dachte, wie ehmals; auch konnte</l><lb/>
              <l>Sie &#x017F;ich bewegen, doch blieb, auch bewegt, &#x017F;ie &#x017F;tets in der Orde!</l><lb/>
              <l>Ach vor ihr war jeder Schauplatz neuer Erkenutniß</l><lb/>
              <l>Wegge&#x017F;unken! Sie hatte nur Voriges, und &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, war</l><lb/>
              <l>Freundelos, ohn&#x2019; Einen Laut Antwort auf die bange</l><lb/>
              <l>Frage: Wenn &#x017F;ein Gericht der Richter endigen werde?</l><lb/>
              <l>Nur, daß ihr aus den alten bisweilen Gedanken ent&#x017F;tanden,</l><lb/>
              <l>Welche (doch die&#x017F;es wußte &#x017F;ie nicht,) die ihren nicht waren.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="36">
              <l>Endlich hatt&#x2019; Eli&#x017F;ama &#x017F;ein graues Haupt in die Grube</l><lb/>
              <l>Niedergelegt, ein du&#x0364;rftiger Greis, der wankend am Stabe</l><lb/>
              <l>Vor der Thu&#x0364;re der Reichen &#x017F;ein Brodt erflehte, &#x017F;ein Wa&#x017F;&#x017F;er</l><lb/>
              <l>Scho&#x0364;pft&#x2019; aus den Quellen. Er war empfindliches Herzens gewe&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Aber geduldig. Ein Held, wie wenige, hatt&#x2019; er des Lebens</l><lb/>
              <l>Gro&#x0364;ßte Tru&#x0364;b&#x017F;al nicht nur ertragen, er hatte, den Scho&#x0364;pfer</l><lb/>
              <l>Aller Dinge, den Geber der Freud&#x2019; und des Schmerzes, geprie&#x017F;en.</l><lb/>
              <l>Ko&#x0364;nige ha&#x0364;tt&#x2019; er ehren ko&#x0364;nnen; und ward von den letzten</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">C 5</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">Unter</fw><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0041] Sechzehnter Gefang. Und die Strahlen Eloa’s, der Chriſtus ſchaute, verloſchen Schnell in Schimmer. Es bebten die Auferſtandnen, die Engel, Thoa, die Seelen bebten: Auf Einmal ergoß ſich die Blaͤſſe, Kam die Gebehrde des Todes; und, unter des einſten Erſtaunens Lautem Ruf, ſank Thoa, und ſtarb! Der Arm der Allmacht Wandelte bald die Verweſung in Staub, gab bald den getrennten Staub den verwehenden Winden; und ach der Seele des Todten Wurde kein Leib aus der Heitre geſchaffen. Sie war allein, war Ganz von allen Weſen verlaſſen! war nicht in der Schoͤpfung! Nicht auf der Erde der Sterblichen, nicht auf ihrer! Sie ſahe Keines Unſterblichen Antlitz! vernahm in der bitteren Wehmuth Keines Himmliſchen Stimme! Sie dachte, wie ehmals; auch konnte Sie ſich bewegen, doch blieb, auch bewegt, ſie ſtets in der Orde! Ach vor ihr war jeder Schauplatz neuer Erkenutniß Weggeſunken! Sie hatte nur Voriges, und ſich ſelbſt, war Freundelos, ohn’ Einen Laut Antwort auf die bange Frage: Wenn ſein Gericht der Richter endigen werde? Nur, daß ihr aus den alten bisweilen Gedanken entſtanden, Welche (doch dieſes wußte ſie nicht,) die ihren nicht waren. Endlich hatt’ Eliſama ſein graues Haupt in die Grube Niedergelegt, ein duͤrftiger Greis, der wankend am Stabe Vor der Thuͤre der Reichen ſein Brodt erflehte, ſein Waſſer Schoͤpft’ aus den Quellen. Er war empfindliches Herzens geweſen, Aber geduldig. Ein Held, wie wenige, hatt’ er des Lebens Groͤßte Truͤbſal nicht nur ertragen, er hatte, den Schoͤpfer Aller Dinge, den Geber der Freud’ und des Schmerzes, geprieſen. Koͤnige haͤtt’ er ehren koͤnnen; und ward von den letzten Unter C 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/41
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/41>, abgerufen am 18.12.2024.