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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.

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Der Messias.
Und sie kamen. So wölkt sich die Nacht. Ein Mann, der
im Leben
Elend durch ihrer Einen ward, und dennoch gerecht blieb,
Stand von seinem Stuhl auf, schwur zu dem Richter: Jch lebte
Jn drey Söhne verbreitet, entfloß mir mein niedriges Leben
Dennoch heiter, bis jener unmenschliche, lächelnde Mann kam,
Jn sein Gold sich setzte, die Guten im Elend verkannte,
Daß sie wurden wie er! Da starb ich. Du hast sie gerichtet!
Richter, verwirf ihn von deinem Antlitz. Er raubte mein Blut mir,
Schuf es nach seinem Bild', und entriß es dem Arme der Unschuld!
Richt' ihn, richt' ihn, du Mann der ersten Unschuld. Es komme
Ueber ihn aller Verworfnen Quaal, die er elend gemacht hat!

Aber aus ihrer Herrlichkeit standen mit schreckenden Wunden
Sieben Märtyrer auf: Wir helßen hundertmal hundert!
Eurem wütenden Auge wars Lust, uns sterben zu sehen;
Und wir sündigten nichts. Der sichre Vogel im Walde
Sang dem Schöpfer sein Lied; wir aber durften's nicht singen.
Jn der Gebirge verödete Kluft, zu den Gräbern der Todten,
Wo mit bethränten Blumen der Brüder Gebeine begraben
Lagen, und reiften dem Tage der Tage, verfolgten die Boten
Eurer Wut uns, und ließen nicht ab, mit dem Blute der Christen
Jhre Schwerdter zu tränken, bis ringsumher der Erschlagnen
Stumme Lippe, des Todes entsetzliche Stille, noch Blicke
Sanfter gebrochener Augen zuletzt die Unmenschlichen schreckten,
Daß sie flohen, und ihnen die leisen Lüfte der Wälder
Stürme wurden, und Mitternacht der schwebende Schatten!
Aber ihr zittertet damals noch nicht auf dem blumigen Lager
Eures

Der Meſſias.
Und ſie kamen. So woͤlkt ſich die Nacht. Ein Mann, der
im Leben
Elend durch ihrer Einen ward, und dennoch gerecht blieb,
Stand von ſeinem Stuhl auf, ſchwur zu dem Richter: Jch lebte
Jn drey Soͤhne verbreitet, entfloß mir mein niedriges Leben
Dennoch heiter, bis jener unmenſchliche, laͤchelnde Mann kam,
Jn ſein Gold ſich ſetzte, die Guten im Elend verkannte,
Daß ſie wurden wie er! Da ſtarb ich. Du haſt ſie gerichtet!
Richter, verwirf ihn von deinem Antlitz. Er raubte mein Blut mir,
Schuf es nach ſeinem Bild’, und entriß es dem Arme der Unſchuld!
Richt’ ihn, richt’ ihn, du Mann der erſten Unſchuld. Es komme
Ueber ihn aller Verworfnen Quaal, die er elend gemacht hat!

Aber aus ihrer Herrlichkeit ſtanden mit ſchreckenden Wunden
Sieben Maͤrtyrer auf: Wir helßen hundertmal hundert!
Eurem wuͤtenden Auge wars Luſt, uns ſterben zu ſehen;
Und wir ſuͤndigten nichts. Der ſichre Vogel im Walde
Sang dem Schoͤpfer ſein Lied; wir aber durften’s nicht ſingen.
Jn der Gebirge veroͤdete Kluft, zu den Graͤbern der Todten,
Wo mit bethraͤnten Blumen der Bruͤder Gebeine begraben
Lagen, und reiften dem Tage der Tage, verfolgten die Boten
Eurer Wut uns, und ließen nicht ab, mit dem Blute der Chriſten
Jhre Schwerdter zu traͤnken, bis ringsumher der Erſchlagnen
Stumme Lippe, des Todes entſetzliche Stille, noch Blicke
Sanfter gebrochener Augen zuletzt die Unmenſchlichen ſchreckten,
Daß ſie flohen, und ihnen die leiſen Luͤfte der Waͤlder
Stuͤrme wurden, und Mitternacht der ſchwebende Schatten!
Aber ihr zittertet damals noch nicht auf dem blumigen Lager
Eures
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[110/0110] Der Meſſias. Und ſie kamen. So woͤlkt ſich die Nacht. Ein Mann, der im Leben Elend durch ihrer Einen ward, und dennoch gerecht blieb, Stand von ſeinem Stuhl auf, ſchwur zu dem Richter: Jch lebte Jn drey Soͤhne verbreitet, entfloß mir mein niedriges Leben Dennoch heiter, bis jener unmenſchliche, laͤchelnde Mann kam, Jn ſein Gold ſich ſetzte, die Guten im Elend verkannte, Daß ſie wurden wie er! Da ſtarb ich. Du haſt ſie gerichtet! Richter, verwirf ihn von deinem Antlitz. Er raubte mein Blut mir, Schuf es nach ſeinem Bild’, und entriß es dem Arme der Unſchuld! Richt’ ihn, richt’ ihn, du Mann der erſten Unſchuld. Es komme Ueber ihn aller Verworfnen Quaal, die er elend gemacht hat! Aber aus ihrer Herrlichkeit ſtanden mit ſchreckenden Wunden Sieben Maͤrtyrer auf: Wir helßen hundertmal hundert! Eurem wuͤtenden Auge wars Luſt, uns ſterben zu ſehen; Und wir ſuͤndigten nichts. Der ſichre Vogel im Walde Sang dem Schoͤpfer ſein Lied; wir aber durften’s nicht ſingen. Jn der Gebirge veroͤdete Kluft, zu den Graͤbern der Todten, Wo mit bethraͤnten Blumen der Bruͤder Gebeine begraben Lagen, und reiften dem Tage der Tage, verfolgten die Boten Eurer Wut uns, und ließen nicht ab, mit dem Blute der Chriſten Jhre Schwerdter zu traͤnken, bis ringsumher der Erſchlagnen Stumme Lippe, des Todes entſetzliche Stille, noch Blicke Sanfter gebrochener Augen zuletzt die Unmenſchlichen ſchreckten, Daß ſie flohen, und ihnen die leiſen Luͤfte der Waͤlder Stuͤrme wurden, und Mitternacht der ſchwebende Schatten! Aber ihr zittertet damals noch nicht auf dem blumigen Lager Eures

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/110>, abgerufen am 02.05.2024.