Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.
Handelnde Menschlichkeit! Ruh, wenn Er, wenn Gott sie nur sähe!
Stille geheimere Tugend! Enthaltung, da noch zu schweigen,
Wenn sie auch selbst das Urtheil des Tugendhaften verkennte!
Flammende Freuden, auch unter den sanftesten Ruhen des Lebens
Auf das höhre zu schaun, und bald dem Tode zu lächeln!
Die verwarft ihr! Anstatt vor ihrem Werth euch zu neigen,
Und von ihnen zu lernen, warum die Freuden der Erde
Viel zu gering für Unsterbliche wären: warum in der Stunde,
Wenn die ganze Seele sich fühlte, die bebende Seele
Tugend anderer Unschuld, und bessere Ruhe verlangte:
Statt euch ihnen zu nahn; so wurdet ihr ihre Verfolger!
Haßtet die Besten der Menschen, bewarft ihr Thun mit dem Staube
Eurer schleichenden dunkeln Verleumdung, und lästertet Engel!
Heilig ist der, der richtet! Bey seinem Namen, er schaut' auch
Auf die Frevler herab, die seine Geliebteren quälten,
Aber mit anderen Blicken, mit diesen, die jezo euch treffen,
Mit allmächtigem Feuer in jene Tiefen euch heften,
Daß ihr niedrig auf ewig dort seyd! Er schwieg, und ein Jüngling
Von den Jünglingen, die vor dem Tage der Reife verblühten,
Selbst der Tugend künftige Märtyrer, wären die Menschen
Anderer Märtyrer würdig gewesen; er sprach: Da die Tugend
Litt, und mit unbewunderten Thränen ins Einsame flohe,
Da errieth mein Gewissen das kommende Todesurtheil
Ueber die Dränger! Jch wandte von ihren Thaten mein Antliz,
Fluchte dem Flucher! entriß mich, vom Feuer der Jugend ergriffen,
Jedem Arme! stampft' auf den Boden, wo Lästerer wohnten,
Legte mich nieder, und starb, ihr Todesurtheil zu wissen!

Und

Der Meſſias.
Handelnde Menſchlichkeit! Ruh, wenn Er, wenn Gott ſie nur ſaͤhe!
Stille geheimere Tugend! Enthaltung, da noch zu ſchweigen,
Wenn ſie auch ſelbſt das Urtheil des Tugendhaften verkennte!
Flammende Freuden, auch unter den ſanfteſten Ruhen des Lebens
Auf das hoͤhre zu ſchaun, und bald dem Tode zu laͤcheln!
Die verwarft ihr! Anſtatt vor ihrem Werth euch zu neigen,
Und von ihnen zu lernen, warum die Freuden der Erde
Viel zu gering fuͤr Unſterbliche waͤren: warum in der Stunde,
Wenn die ganze Seele ſich fuͤhlte, die bebende Seele
Tugend anderer Unſchuld, und beſſere Ruhe verlangte:
Statt euch ihnen zu nahn; ſo wurdet ihr ihre Verfolger!
Haßtet die Beſten der Menſchen, bewarft ihr Thun mit dem Staube
Eurer ſchleichenden dunkeln Verleumdung, und laͤſtertet Engel!
Heilig iſt der, der richtet! Bey ſeinem Namen, er ſchaut’ auch
Auf die Frevler herab, die ſeine Geliebteren quaͤlten,
Aber mit anderen Blicken, mit dieſen, die jezo euch treffen,
Mit allmaͤchtigem Feuer in jene Tiefen euch heften,
Daß ihr niedrig auf ewig dort ſeyd! Er ſchwieg, und ein Juͤngling
Von den Juͤnglingen, die vor dem Tage der Reife verbluͤhten,
Selbſt der Tugend kuͤnftige Maͤrtyrer, waͤren die Menſchen
Anderer Maͤrtyrer wuͤrdig geweſen; er ſprach: Da die Tugend
Litt, und mit unbewunderten Thraͤnen ins Einſame flohe,
Da errieth mein Gewiſſen das kommende Todesurtheil
Ueber die Draͤnger! Jch wandte von ihren Thaten mein Antliz,
Fluchte dem Flucher! entriß mich, vom Feuer der Jugend ergriffen,
Jedem Arme! ſtampft’ auf den Boden, wo Laͤſterer wohnten,
Legte mich nieder, und ſtarb, ihr Todesurtheil zu wiſſen!

Und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="34">
              <pb facs="#f0104" n="104"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw><lb/>
              <l>Handelnde Men&#x017F;chlichkeit! Ruh, wenn Er, wenn Gott &#x017F;ie nur &#x017F;a&#x0364;he!</l><lb/>
              <l>Stille geheimere Tugend! Enthaltung, da noch zu &#x017F;chweigen,</l><lb/>
              <l>Wenn &#x017F;ie auch &#x017F;elb&#x017F;t das Urtheil des Tugendhaften verkennte!</l><lb/>
              <l>Flammende Freuden, auch unter den &#x017F;anfte&#x017F;ten Ruhen des Lebens</l><lb/>
              <l>Auf das ho&#x0364;hre zu &#x017F;chaun, und bald dem Tode zu la&#x0364;cheln!</l><lb/>
              <l>Die verwarft ihr! An&#x017F;tatt vor ihrem Werth euch zu neigen,</l><lb/>
              <l>Und von ihnen zu lernen, warum die Freuden der Erde</l><lb/>
              <l>Viel zu gering fu&#x0364;r Un&#x017F;terbliche wa&#x0364;ren: warum in der Stunde,</l><lb/>
              <l>Wenn die ganze Seele &#x017F;ich fu&#x0364;hlte, die bebende Seele</l><lb/>
              <l>Tugend anderer Un&#x017F;chuld, und be&#x017F;&#x017F;ere Ruhe verlangte:</l><lb/>
              <l>Statt euch ihnen zu nahn; &#x017F;o wurdet ihr ihre Verfolger!</l><lb/>
              <l>Haßtet die Be&#x017F;ten der Men&#x017F;chen, bewarft ihr Thun mit dem Staube</l><lb/>
              <l>Eurer &#x017F;chleichenden dunkeln Verleumdung, und la&#x0364;&#x017F;tertet Engel!</l><lb/>
              <l>Heilig i&#x017F;t der, der richtet! Bey &#x017F;einem Namen, er &#x017F;chaut&#x2019; auch</l><lb/>
              <l>Auf die Frevler herab, die &#x017F;eine Geliebteren qua&#x0364;lten,</l><lb/>
              <l>Aber mit anderen Blicken, mit die&#x017F;en, die jezo euch treffen,</l><lb/>
              <l>Mit allma&#x0364;chtigem Feuer in jene Tiefen euch heften,</l><lb/>
              <l>Daß ihr niedrig auf ewig dort &#x017F;eyd! Er &#x017F;chwieg, und ein Ju&#x0364;ngling</l><lb/>
              <l>Von den Ju&#x0364;nglingen, die vor dem Tage der Reife verblu&#x0364;hten,</l><lb/>
              <l>Selb&#x017F;t der Tugend ku&#x0364;nftige Ma&#x0364;rtyrer, wa&#x0364;ren die Men&#x017F;chen</l><lb/>
              <l>Anderer Ma&#x0364;rtyrer wu&#x0364;rdig gewe&#x017F;en; er &#x017F;prach: Da die Tugend</l><lb/>
              <l>Litt, und mit unbewunderten Thra&#x0364;nen ins Ein&#x017F;ame flohe,</l><lb/>
              <l>Da errieth mein Gewi&#x017F;&#x017F;en das kommende Todesurtheil</l><lb/>
              <l>Ueber die Dra&#x0364;nger! Jch wandte von ihren Thaten mein Antliz,</l><lb/>
              <l>Fluchte dem Flucher! entriß mich, vom Feuer der Jugend ergriffen,</l><lb/>
              <l>Jedem Arme! &#x017F;tampft&#x2019; auf den Boden, wo La&#x0364;&#x017F;terer wohnten,</l><lb/>
              <l>Legte mich nieder, und &#x017F;tarb, ihr Todesurtheil zu wi&#x017F;&#x017F;en!</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0104] Der Meſſias. Handelnde Menſchlichkeit! Ruh, wenn Er, wenn Gott ſie nur ſaͤhe! Stille geheimere Tugend! Enthaltung, da noch zu ſchweigen, Wenn ſie auch ſelbſt das Urtheil des Tugendhaften verkennte! Flammende Freuden, auch unter den ſanfteſten Ruhen des Lebens Auf das hoͤhre zu ſchaun, und bald dem Tode zu laͤcheln! Die verwarft ihr! Anſtatt vor ihrem Werth euch zu neigen, Und von ihnen zu lernen, warum die Freuden der Erde Viel zu gering fuͤr Unſterbliche waͤren: warum in der Stunde, Wenn die ganze Seele ſich fuͤhlte, die bebende Seele Tugend anderer Unſchuld, und beſſere Ruhe verlangte: Statt euch ihnen zu nahn; ſo wurdet ihr ihre Verfolger! Haßtet die Beſten der Menſchen, bewarft ihr Thun mit dem Staube Eurer ſchleichenden dunkeln Verleumdung, und laͤſtertet Engel! Heilig iſt der, der richtet! Bey ſeinem Namen, er ſchaut’ auch Auf die Frevler herab, die ſeine Geliebteren quaͤlten, Aber mit anderen Blicken, mit dieſen, die jezo euch treffen, Mit allmaͤchtigem Feuer in jene Tiefen euch heften, Daß ihr niedrig auf ewig dort ſeyd! Er ſchwieg, und ein Juͤngling Von den Juͤnglingen, die vor dem Tage der Reife verbluͤhten, Selbſt der Tugend kuͤnftige Maͤrtyrer, waͤren die Menſchen Anderer Maͤrtyrer wuͤrdig geweſen; er ſprach: Da die Tugend Litt, und mit unbewunderten Thraͤnen ins Einſame flohe, Da errieth mein Gewiſſen das kommende Todesurtheil Ueber die Draͤnger! Jch wandte von ihren Thaten mein Antliz, Fluchte dem Flucher! entriß mich, vom Feuer der Jugend ergriffen, Jedem Arme! ſtampft’ auf den Boden, wo Laͤſterer wohnten, Legte mich nieder, und ſtarb, ihr Todesurtheil zu wiſſen! Und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/104
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/104>, abgerufen am 21.11.2024.