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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Zwölfter Gesang.
Jener Gedanke mit seinem Entsetzen ergriff: Verflucht sey,
Wer nicht, was ich gebiete, das alles erfüllt! Ach, Gott redt!

Wäre Nathanael nur, und Lazarus hier, die würden
Dir es sagen. Jch weis nur das Eine gewiß, du Verlaßne:
Jesus betet für dich! ... Jch wäre verlassen, Geliebte?
Und der allgegenwärtige Herr des Lebens und Todes
Jst um mich! und es betet für mich der Helfer in Juda!
Also sprach sie, und sank in schwere Schlummer. Jhr Herz hing,
Aber zitternd, an Gott! Sie schlummern zu sehen, erhub sich
Martha, und stand bey dem Lager, und athmete kaum, nicht zu wecken
Die sie herzlicher liebt', als sich selber! die nun zu den Vätern
Hinging, fern von ihr weg, die Wege des finstern Thales,
Und sie allein ließ! Da die Wehmuth das Herz ihr durchströmte,
Stürzt' ihr eine Thräne die Wang' herab; doch des Weinens
Stimme hielt sie, und bald auch wieder den schnelleren Athem.
Also stand sie verstummt in dämmerndem Saale. Denn dichte,
Dunkle Hüllen bedeckten der Nacht Gefährtinn, die Flamme,
Welche nun oft schon erst mit dem Morgen erlosch. So findet
Jener glückliche Wanderer, dem des Todes Erinnrung
Freud' ist, wenn er in schweigenden dürstenden Wüsten die Kühlung
Eines Felsen ereilt, er findet ein Grab in dem Felsen,
Ueber dem Grabe das Bild des liegenden Todten. Ein andrer
Starrender Marmor, der Freund, steht neben der Leiche. Die Höle
Nimmt nur wenig trüberen Tag in ihre Gewölb auf.
Voll von dessen Trauren, der starb, und dessen, der nachblieb,
Sieht sie der Wanderet an. So fand dein Engel, Maria,
Martha bey dir, als er zu deinem Lager herantrat.
Neben
F 2

Zwoͤlfter Geſang.
Jener Gedanke mit ſeinem Entſetzen ergriff: Verflucht ſey,
Wer nicht, was ich gebiete, das alles erfuͤllt! Ach, Gott redt!

Waͤre Nathanael nur, und Lazarus hier, die wuͤrden
Dir es ſagen. Jch weis nur das Eine gewiß, du Verlaßne:
Jeſus betet fuͤr dich! … Jch waͤre verlaſſen, Geliebte?
Und der allgegenwaͤrtige Herr des Lebens und Todes
Jſt um mich! und es betet fuͤr mich der Helfer in Juda!
Alſo ſprach ſie, und ſank in ſchwere Schlummer. Jhr Herz hing,
Aber zitternd, an Gott! Sie ſchlummern zu ſehen, erhub ſich
Martha, und ſtand bey dem Lager, und athmete kaum, nicht zu wecken
Die ſie herzlicher liebt’, als ſich ſelber! die nun zu den Vaͤtern
Hinging, fern von ihr weg, die Wege des finſtern Thales,
Und ſie allein ließ! Da die Wehmuth das Herz ihr durchſtroͤmte,
Stuͤrzt’ ihr eine Thraͤne die Wang’ herab; doch des Weinens
Stimme hielt ſie, und bald auch wieder den ſchnelleren Athem.
Alſo ſtand ſie verſtummt in daͤmmerndem Saale. Denn dichte,
Dunkle Huͤllen bedeckten der Nacht Gefaͤhrtinn, die Flamme,
Welche nun oft ſchon erſt mit dem Morgen erloſch. So findet
Jener gluͤckliche Wanderer, dem des Todes Erinnrung
Freud’ iſt, wenn er in ſchweigenden duͤrſtenden Wuͤſten die Kuͤhlung
Eines Felſen ereilt, er findet ein Grab in dem Felſen,
Ueber dem Grabe das Bild des liegenden Todten. Ein andrer
Starrender Marmor, der Freund, ſteht neben der Leiche. Die Hoͤle
Nimmt nur wenig truͤberen Tag in ihre Gewoͤlb auf.
Voll von deſſen Trauren, der ſtarb, und deſſen, der nachblieb,
Sieht ſie der Wanderet an. So fand dein Engel, Maria,
Martha bey dir, als er zu deinem Lager herantrat.
Neben
F 2
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[83/0099] Zwoͤlfter Geſang. Jener Gedanke mit ſeinem Entſetzen ergriff: Verflucht ſey, Wer nicht, was ich gebiete, das alles erfuͤllt! Ach, Gott redt! Waͤre Nathanael nur, und Lazarus hier, die wuͤrden Dir es ſagen. Jch weis nur das Eine gewiß, du Verlaßne: Jeſus betet fuͤr dich! … Jch waͤre verlaſſen, Geliebte? Und der allgegenwaͤrtige Herr des Lebens und Todes Jſt um mich! und es betet fuͤr mich der Helfer in Juda! Alſo ſprach ſie, und ſank in ſchwere Schlummer. Jhr Herz hing, Aber zitternd, an Gott! Sie ſchlummern zu ſehen, erhub ſich Martha, und ſtand bey dem Lager, und athmete kaum, nicht zu wecken Die ſie herzlicher liebt’, als ſich ſelber! die nun zu den Vaͤtern Hinging, fern von ihr weg, die Wege des finſtern Thales, Und ſie allein ließ! Da die Wehmuth das Herz ihr durchſtroͤmte, Stuͤrzt’ ihr eine Thraͤne die Wang’ herab; doch des Weinens Stimme hielt ſie, und bald auch wieder den ſchnelleren Athem. Alſo ſtand ſie verſtummt in daͤmmerndem Saale. Denn dichte, Dunkle Huͤllen bedeckten der Nacht Gefaͤhrtinn, die Flamme, Welche nun oft ſchon erſt mit dem Morgen erloſch. So findet Jener gluͤckliche Wanderer, dem des Todes Erinnrung Freud’ iſt, wenn er in ſchweigenden duͤrſtenden Wuͤſten die Kuͤhlung Eines Felſen ereilt, er findet ein Grab in dem Felſen, Ueber dem Grabe das Bild des liegenden Todten. Ein andrer Starrender Marmor, der Freund, ſteht neben der Leiche. Die Hoͤle Nimmt nur wenig truͤberen Tag in ihre Gewoͤlb auf. Voll von deſſen Trauren, der ſtarb, und deſſen, der nachblieb, Sieht ſie der Wanderet an. So fand dein Engel, Maria, Martha bey dir, als er zu deinem Lager herantrat. Neben F 2

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/99>, abgerufen am 28.03.2024.