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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Der Messias.
Neben den Füßen der Sterbenden, mit verlöschender Schöne,
Stand der himmlische Jüngling. Den Engeln ist Schöne gegeben,
Die auf den Stufen der Geister die nächsten den Seelen der Menschen
Stehen, und denen Herrlichkeit, deren erhabnere Stufen
Throne sind. Doch gegen die Herrlichkeit deß, der zur Rechte
Seines Vaters stieg, ist ihre Herrlichkeit Schatten.
O du, der in Triumph empor, in Triumph, in Triumphe,
Stieg in die Himmel der Himmel empor, und herrschet, wo Gott herrscht,
Mein Fürbitter, laß mich, laß zahllose Schaaren Erlöste,
Meine Brüder den Tod der Gerechten sterben! so mögen
Leiden uns noch, die letzten der Prüfungen, oder des Himmels
Vorempfindungen uns umgeben, laß, o Versöhner,
Laß, Geopferter, nur den Tod der Gerechten uns sterben!

Chebar stand zu den Füßen der Bethanaitinn, und fühlte
Seiner Schönheit glühende Schimmer in Dämmrung erlöschen.
Seinem Antlitz entfloh der röthliche Morgen, die Strahlen
Seinen Augen. Jhm sanken wie Schatten die Flügel herunter,
Ohne zu tönen, und ohne zu duften des ewigen Frühlings
Süße Gerüche, nicht mehr mit des Himmels Bläue beströmet,
Triefend nicht mehr von goldenen Tropfen. Jetzt nahm er vom Haupte
Seinen vordem weitglänzenden Kranz, und hielt ihn vor Wehmuth
Kaum in der sinkenden Hand. Er wußt es, er durft ihr nicht helfen,
Eher nicht, bis bey ihr, wenn ihr Herz im Tode nun bräche,
Lazarus beten, und weinen der Jünger Elims, und Martha,
Und Nathanael weinen würden. Lazarus war noch
Mit den andern in Salem. Er trat zu der Mutter des Todten:
Siehe

Der Meſſias.
Neben den Fuͤßen der Sterbenden, mit verloͤſchender Schoͤne,
Stand der himmliſche Juͤngling. Den Engeln iſt Schoͤne gegeben,
Die auf den Stufen der Geiſter die naͤchſten den Seelen der Menſchen
Stehen, und denen Herrlichkeit, deren erhabnere Stufen
Throne ſind. Doch gegen die Herrlichkeit deß, der zur Rechte
Seines Vaters ſtieg, iſt ihre Herrlichkeit Schatten.
O du, der in Triumph empor, in Triumph, in Triumphe,
Stieg in die Himmel der Himmel empor, und herrſchet, wo Gott herrſcht,
Mein Fuͤrbitter, laß mich, laß zahlloſe Schaaren Erloͤſte,
Meine Bruͤder den Tod der Gerechten ſterben! ſo moͤgen
Leiden uns noch, die letzten der Pruͤfungen, oder des Himmels
Vorempfindungen uns umgeben, laß, o Verſoͤhner,
Laß, Geopferter, nur den Tod der Gerechten uns ſterben!

Chebar ſtand zu den Fuͤßen der Bethanaitinn, und fuͤhlte
Seiner Schoͤnheit gluͤhende Schimmer in Daͤmmrung erloͤſchen.
Seinem Antlitz entfloh der roͤthliche Morgen, die Strahlen
Seinen Augen. Jhm ſanken wie Schatten die Fluͤgel herunter,
Ohne zu toͤnen, und ohne zu duften des ewigen Fruͤhlings
Suͤße Geruͤche, nicht mehr mit des Himmels Blaͤue beſtroͤmet,
Triefend nicht mehr von goldenen Tropfen. Jetzt nahm er vom Haupte
Seinen vordem weitglaͤnzenden Kranz, und hielt ihn vor Wehmuth
Kaum in der ſinkenden Hand. Er wußt es, er durft ihr nicht helfen,
Eher nicht, bis bey ihr, wenn ihr Herz im Tode nun braͤche,
Lazarus beten, und weinen der Juͤnger Elims, und Martha,
Und Nathanael weinen wuͤrden. Lazarus war noch
Mit den andern in Salem. Er trat zu der Mutter des Todten:
Siehe
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[84/0100] Der Meſſias. Neben den Fuͤßen der Sterbenden, mit verloͤſchender Schoͤne, Stand der himmliſche Juͤngling. Den Engeln iſt Schoͤne gegeben, Die auf den Stufen der Geiſter die naͤchſten den Seelen der Menſchen Stehen, und denen Herrlichkeit, deren erhabnere Stufen Throne ſind. Doch gegen die Herrlichkeit deß, der zur Rechte Seines Vaters ſtieg, iſt ihre Herrlichkeit Schatten. O du, der in Triumph empor, in Triumph, in Triumphe, Stieg in die Himmel der Himmel empor, und herrſchet, wo Gott herrſcht, Mein Fuͤrbitter, laß mich, laß zahlloſe Schaaren Erloͤſte, Meine Bruͤder den Tod der Gerechten ſterben! ſo moͤgen Leiden uns noch, die letzten der Pruͤfungen, oder des Himmels Vorempfindungen uns umgeben, laß, o Verſoͤhner, Laß, Geopferter, nur den Tod der Gerechten uns ſterben! Chebar ſtand zu den Fuͤßen der Bethanaitinn, und fuͤhlte Seiner Schoͤnheit gluͤhende Schimmer in Daͤmmrung erloͤſchen. Seinem Antlitz entfloh der roͤthliche Morgen, die Strahlen Seinen Augen. Jhm ſanken wie Schatten die Fluͤgel herunter, Ohne zu toͤnen, und ohne zu duften des ewigen Fruͤhlings Suͤße Geruͤche, nicht mehr mit des Himmels Blaͤue beſtroͤmet, Triefend nicht mehr von goldenen Tropfen. Jetzt nahm er vom Haupte Seinen vordem weitglaͤnzenden Kranz, und hielt ihn vor Wehmuth Kaum in der ſinkenden Hand. Er wußt es, er durft ihr nicht helfen, Eher nicht, bis bey ihr, wenn ihr Herz im Tode nun braͤche, Lazarus beten, und weinen der Juͤnger Elims, und Martha, Und Nathanael weinen wuͤrden. Lazarus war noch Mit den andern in Salem. Er trat zu der Mutter des Todten: Siehe

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/100>, abgerufen am 18.04.2024.