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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Der Messias.
Bittersten Schmerzen; allein die Schmerzen siegten, und bald ward
Aller Seele von neuem zur Nacht! Jetzt sagte Lebbäus:

Ja, erbarme dich ihrer, o Richter, und Vater! doch unser,
Unser erbarme dich auch! und laß uns sterben! Was können
Wir auf der Erde noch thun? Was sind wir ohne den Todten?
Ach sein Vater! er sagt' es uns einst, in deinem Hause
Sind der Wohnungen viel! O laß nur an deines Hauses
Schwellen uns liegen, und nicht in des Elends Hütten uns bleiben!
Keiner komm, und wag es, und wolle mich trösten. Jch kenne
Keinen Trost, als allein den Tod! den lieb' ich, und der kann
Nur mich trösten, der oft des Todes Namen mir ausspricht.
Sieh, er ist mir ein lieblicher Schall zu der Blumenzeit! ist mir
Tempelgesang! Mich grüße kein Gruß vom Leben! und unser
Liebstes Gespräch sey deren Hinüberwallen, die jetzt schon
Glückliche sind! sey Grab, und Todtengesang, und Erde
Niedergeschüttet auf Erde! Wie leichte Wanderer laßt uns
Fertig stehn, den Stab in der Hand! Jch liebe nicht mich nur:
Ach ich liebe, wie mich, und segn' euch mit eben dem Segen,
Wie der ist, um welchen ich, meine Geliebten, euch flehte:
Sterbt! .. Und Kephas rufte: Sterben! ja sterben! Jm Grab' ists
Nun gut seyn! Die Hütten laß uns, o Erbarmer, einander
Baun! ... Kaum hatt' ers gesagt, so trat der leidende Thomas
Auch herein. Sein wankender Fuß verweilt' an der Schwelle.
Welcher Anblick drang in die Seele des Zögernden: Menschen
Fromm, wie wenige waren, und seine Freunde, verlassen
Von dem Helfer im Himmel, und von dem Helfer auf Erden,
Jesus,

Der Meſſias.
Bitterſten Schmerzen; allein die Schmerzen ſiegten, und bald ward
Aller Seele von neuem zur Nacht! Jetzt ſagte Lebbaͤus:

Ja, erbarme dich ihrer, o Richter, und Vater! doch unſer,
Unſer erbarme dich auch! und laß uns ſterben! Was koͤnnen
Wir auf der Erde noch thun? Was ſind wir ohne den Todten?
Ach ſein Vater! er ſagt’ es uns einſt, in deinem Hauſe
Sind der Wohnungen viel! O laß nur an deines Hauſes
Schwellen uns liegen, und nicht in des Elends Huͤtten uns bleiben!
Keiner komm, und wag es, und wolle mich troͤſten. Jch kenne
Keinen Troſt, als allein den Tod! den lieb’ ich, und der kann
Nur mich troͤſten, der oft des Todes Namen mir ausſpricht.
Sieh, er iſt mir ein lieblicher Schall zu der Blumenzeit! iſt mir
Tempelgeſang! Mich gruͤße kein Gruß vom Leben! und unſer
Liebſtes Geſpraͤch ſey deren Hinuͤberwallen, die jetzt ſchon
Gluͤckliche ſind! ſey Grab, und Todtengeſang, und Erde
Niedergeſchuͤttet auf Erde! Wie leichte Wanderer laßt uns
Fertig ſtehn, den Stab in der Hand! Jch liebe nicht mich nur:
Ach ich liebe, wie mich, und ſegn’ euch mit eben dem Segen,
Wie der iſt, um welchen ich, meine Geliebten, euch flehte:
Sterbt! .. Und Kephas rufte: Sterben! ja ſterben! Jm Grab’ iſts
Nun gut ſeyn! Die Huͤtten laß uns, o Erbarmer, einander
Baun! … Kaum hatt’ ers geſagt, ſo trat der leidende Thomas
Auch herein. Sein wankender Fuß verweilt’ an der Schwelle.
Welcher Anblick drang in die Seele des Zoͤgernden: Menſchen
Fromm, wie wenige waren, und ſeine Freunde, verlaſſen
Von dem Helfer im Himmel, und von dem Helfer auf Erden,
Jeſus,
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[78/0094] Der Meſſias. Bitterſten Schmerzen; allein die Schmerzen ſiegten, und bald ward Aller Seele von neuem zur Nacht! Jetzt ſagte Lebbaͤus: Ja, erbarme dich ihrer, o Richter, und Vater! doch unſer, Unſer erbarme dich auch! und laß uns ſterben! Was koͤnnen Wir auf der Erde noch thun? Was ſind wir ohne den Todten? Ach ſein Vater! er ſagt’ es uns einſt, in deinem Hauſe Sind der Wohnungen viel! O laß nur an deines Hauſes Schwellen uns liegen, und nicht in des Elends Huͤtten uns bleiben! Keiner komm, und wag es, und wolle mich troͤſten. Jch kenne Keinen Troſt, als allein den Tod! den lieb’ ich, und der kann Nur mich troͤſten, der oft des Todes Namen mir ausſpricht. Sieh, er iſt mir ein lieblicher Schall zu der Blumenzeit! iſt mir Tempelgeſang! Mich gruͤße kein Gruß vom Leben! und unſer Liebſtes Geſpraͤch ſey deren Hinuͤberwallen, die jetzt ſchon Gluͤckliche ſind! ſey Grab, und Todtengeſang, und Erde Niedergeſchuͤttet auf Erde! Wie leichte Wanderer laßt uns Fertig ſtehn, den Stab in der Hand! Jch liebe nicht mich nur: Ach ich liebe, wie mich, und ſegn’ euch mit eben dem Segen, Wie der iſt, um welchen ich, meine Geliebten, euch flehte: Sterbt! .. Und Kephas rufte: Sterben! ja ſterben! Jm Grab’ iſts Nun gut ſeyn! Die Huͤtten laß uns, o Erbarmer, einander Baun! … Kaum hatt’ ers geſagt, ſo trat der leidende Thomas Auch herein. Sein wankender Fuß verweilt’ an der Schwelle. Welcher Anblick drang in die Seele des Zoͤgernden: Menſchen Fromm, wie wenige waren, und ſeine Freunde, verlaſſen Von dem Helfer im Himmel, und von dem Helfer auf Erden, Jeſus,

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/94>, abgerufen am 27.04.2024.