Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.
Als der Gegenwart Gottes! Von allen Seiten der Erde
Wehet es her! Wenn einer von seinen Hauchen den Staub hier
Unter uns rührte? Nun schlummern sie wieder die athmenden Lüfte,
Ach, nun erwachen sie wieder. Er sprachs, und es weht' in des Engels
Goldner Locke. Hesekiel! rief der hellere Seraph,
Doch schon hört' er nicht mehr, schon rauscht', und regte sein Staub sich,
Schon kam Odem in ihn, ein Hauch zu dem ewigen Leben!
Und der Unsterbliche trat auf seine Füße, zu freudig,
Auszusprechen, was er empfand, doch hub er gefaltet
Seine Hände gen Himmel, und nun umarmt' er den Engel.
Und sie schwebten, geführt von dem Säuseln der Gegenwart Gottes,
Nach den andern Todten, sie auch erwachen zu sehen.

Asnath schien in Schlummer zu sinken. So schwebt in der Aue
Leicht ein werdender Duft, den der Mond in Silber wandelt.
Wie sie mit zweifelndem Schweben den Staub des Grabes berührte.
Ach, mein Hüter, was ists, das so mich umdämmert? was gleiten
Mir vor Bilder vorbey, die ich sonst nicht kannte? Was fühl' ich
Neues in mir? Jch habe für diese neue Gefühle
Keine Namen, allein sie gleichen, doch ferne nur, denen,
Die ich im ersten Leben empfand, da der Tod mich wegrief.
Sterb ich, Engel Gottes, noch Einmal? Mich deucht, die Stimme
Bebt mir! und ach zum leisen, schwachen, unhörbaren Laute
Wird ihr Silberton. Jch sterbe wieder, du Engel
Gottes! Jn sanftem Geräusch, als rauschten Quellen Edens,
Seraph, in lieblichem Wehen des schattenden Paradieses,
Schlummer' ich hin ... So entsanken Asnath die letzten Laute.
Aber, umgeben von lichten Gedanken, als wärens des Aufgangs
Röthen,

Der Meſſias.
Als der Gegenwart Gottes! Von allen Seiten der Erde
Wehet es her! Wenn einer von ſeinen Hauchen den Staub hier
Unter uns ruͤhrte? Nun ſchlummern ſie wieder die athmenden Luͤfte,
Ach, nun erwachen ſie wieder. Er ſprachs, und es weht’ in des Engels
Goldner Locke. Heſekiel! rief der hellere Seraph,
Doch ſchon hoͤrt’ er nicht mehr, ſchon rauſcht’, und regte ſein Staub ſich,
Schon kam Odem in ihn, ein Hauch zu dem ewigen Leben!
Und der Unſterbliche trat auf ſeine Fuͤße, zu freudig,
Auszuſprechen, was er empfand, doch hub er gefaltet
Seine Haͤnde gen Himmel, und nun umarmt’ er den Engel.
Und ſie ſchwebten, gefuͤhrt von dem Saͤuſeln der Gegenwart Gottes,
Nach den andern Todten, ſie auch erwachen zu ſehen.

Asnath ſchien in Schlummer zu ſinken. So ſchwebt in der Aue
Leicht ein werdender Duft, den der Mond in Silber wandelt.
Wie ſie mit zweifelndem Schweben den Staub des Grabes beruͤhrte.
Ach, mein Huͤter, was iſts, das ſo mich umdaͤmmert? was gleiten
Mir vor Bilder vorbey, die ich ſonſt nicht kannte? Was fuͤhl’ ich
Neues in mir? Jch habe fuͤr dieſe neue Gefuͤhle
Keine Namen, allein ſie gleichen, doch ferne nur, denen,
Die ich im erſten Leben empfand, da der Tod mich wegrief.
Sterb ich, Engel Gottes, noch Einmal? Mich deucht, die Stimme
Bebt mir! und ach zum leiſen, ſchwachen, unhoͤrbaren Laute
Wird ihr Silberton. Jch ſterbe wieder, du Engel
Gottes! Jn ſanftem Geraͤuſch, als rauſchten Quellen Edens,
Seraph, in lieblichem Wehen des ſchattenden Paradieſes,
Schlummer’ ich hin … So entſanken Asnath die letzten Laute.
Aber, umgeben von lichten Gedanken, als waͤrens des Aufgangs
Roͤthen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="100">
            <pb facs="#f0062" n="46"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw><lb/>
            <l>Als der Gegenwart Gottes! Von allen Seiten der Erde</l><lb/>
            <l>Wehet es her! Wenn einer von &#x017F;einen Hauchen den Staub hier</l><lb/>
            <l>Unter uns ru&#x0364;hrte? Nun &#x017F;chlummern &#x017F;ie wieder die athmenden Lu&#x0364;fte,</l><lb/>
            <l>Ach, nun erwachen &#x017F;ie wieder. Er &#x017F;prachs, und es weht&#x2019; in des Engels</l><lb/>
            <l>Goldner Locke. He&#x017F;ekiel! rief der hellere Seraph,</l><lb/>
            <l>Doch &#x017F;chon ho&#x0364;rt&#x2019; er nicht mehr, &#x017F;chon rau&#x017F;cht&#x2019;, und regte &#x017F;ein Staub &#x017F;ich,</l><lb/>
            <l>Schon kam Odem in ihn, ein Hauch zu dem ewigen Leben!</l><lb/>
            <l>Und der Un&#x017F;terbliche trat auf &#x017F;eine Fu&#x0364;ße, zu freudig,</l><lb/>
            <l>Auszu&#x017F;prechen, was er empfand, doch hub er gefaltet</l><lb/>
            <l>Seine Ha&#x0364;nde gen Himmel, und nun umarmt&#x2019; er den Engel.</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;ie &#x017F;chwebten, gefu&#x0364;hrt von dem Sa&#x0364;u&#x017F;eln der Gegenwart Gottes,</l><lb/>
            <l>Nach den andern Todten, &#x017F;ie auch erwachen zu &#x017F;ehen.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="101">
            <l>Asnath &#x017F;chien in Schlummer zu &#x017F;inken. So &#x017F;chwebt in der Aue</l><lb/>
            <l>Leicht ein werdender Duft, den der Mond in Silber wandelt.</l><lb/>
            <l>Wie &#x017F;ie mit zweifelndem Schweben den Staub des Grabes beru&#x0364;hrte.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="102">
            <l>Ach, mein Hu&#x0364;ter, was i&#x017F;ts, das &#x017F;o mich umda&#x0364;mmert? was gleiten</l><lb/>
            <l>Mir vor Bilder vorbey, die ich &#x017F;on&#x017F;t nicht kannte? Was fu&#x0364;hl&#x2019; ich</l><lb/>
            <l>Neues in mir? Jch habe fu&#x0364;r die&#x017F;e neue Gefu&#x0364;hle</l><lb/>
            <l>Keine Namen, allein &#x017F;ie gleichen, doch ferne nur, denen,</l><lb/>
            <l>Die ich im er&#x017F;ten Leben empfand, da der Tod mich wegrief.</l><lb/>
            <l>Sterb ich, Engel Gottes, noch Einmal? Mich deucht, die Stimme</l><lb/>
            <l>Bebt mir! und ach zum lei&#x017F;en, &#x017F;chwachen, unho&#x0364;rbaren Laute</l><lb/>
            <l>Wird ihr Silberton. Jch &#x017F;terbe wieder, du Engel</l><lb/>
            <l>Gottes! Jn &#x017F;anftem Gera&#x0364;u&#x017F;ch, als rau&#x017F;chten Quellen Edens,</l><lb/>
            <l>Seraph, in lieblichem Wehen des &#x017F;chattenden Paradie&#x017F;es,</l><lb/>
            <l>Schlummer&#x2019; ich hin &#x2026; So ent&#x017F;anken Asnath die letzten Laute.</l><lb/>
            <l>Aber, umgeben von lichten Gedanken, als wa&#x0364;rens des Aufgangs</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Ro&#x0364;then,</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0062] Der Meſſias. Als der Gegenwart Gottes! Von allen Seiten der Erde Wehet es her! Wenn einer von ſeinen Hauchen den Staub hier Unter uns ruͤhrte? Nun ſchlummern ſie wieder die athmenden Luͤfte, Ach, nun erwachen ſie wieder. Er ſprachs, und es weht’ in des Engels Goldner Locke. Heſekiel! rief der hellere Seraph, Doch ſchon hoͤrt’ er nicht mehr, ſchon rauſcht’, und regte ſein Staub ſich, Schon kam Odem in ihn, ein Hauch zu dem ewigen Leben! Und der Unſterbliche trat auf ſeine Fuͤße, zu freudig, Auszuſprechen, was er empfand, doch hub er gefaltet Seine Haͤnde gen Himmel, und nun umarmt’ er den Engel. Und ſie ſchwebten, gefuͤhrt von dem Saͤuſeln der Gegenwart Gottes, Nach den andern Todten, ſie auch erwachen zu ſehen. Asnath ſchien in Schlummer zu ſinken. So ſchwebt in der Aue Leicht ein werdender Duft, den der Mond in Silber wandelt. Wie ſie mit zweifelndem Schweben den Staub des Grabes beruͤhrte. Ach, mein Huͤter, was iſts, das ſo mich umdaͤmmert? was gleiten Mir vor Bilder vorbey, die ich ſonſt nicht kannte? Was fuͤhl’ ich Neues in mir? Jch habe fuͤr dieſe neue Gefuͤhle Keine Namen, allein ſie gleichen, doch ferne nur, denen, Die ich im erſten Leben empfand, da der Tod mich wegrief. Sterb ich, Engel Gottes, noch Einmal? Mich deucht, die Stimme Bebt mir! und ach zum leiſen, ſchwachen, unhoͤrbaren Laute Wird ihr Silberton. Jch ſterbe wieder, du Engel Gottes! Jn ſanftem Geraͤuſch, als rauſchten Quellen Edens, Seraph, in lieblichem Wehen des ſchattenden Paradieſes, Schlummer’ ich hin … So entſanken Asnath die letzten Laute. Aber, umgeben von lichten Gedanken, als waͤrens des Aufgangs Roͤthen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/62
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/62>, abgerufen am 18.04.2024.