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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse.
als der homerische wird, einen schönen metrischen Ausdruck
haben. Jch glaube, Sie machen mir jetzt den Vorwurf der
Partheylichkeit nicht mehr. Gleichwohl will ich Jhnen meine
Unpartheylichkeit noch mehr zeigen. Jch behaupte es näm-
lich als einen Vorzug des homerischen Verses, daß er die
Schnelligkeit des Daktylus mehr durch seinen Spondeus,
als der unsrige durch seinen Trochäus aufhält. Unsere Dich-
ter können diesen Vorzug vermindern, wenn sie sich bemühen
wollen, theils Gebrauch von den nicht zu wenigen Spondeen
zu machen, die wir vornehmlich durch Hülfe unsrer einsylbi-
gen Worte haben können; und theils oft solche Trochäen
wählen, die nach der griechischen Aussprache Spondeen seyn
würden, und bey uns den Schein derselben haben.
Minna. Aber was hilft uns das, da wir Deutsche sind,
und an diese Vergleichung nicht denken? Denn was gehet
uns übrige der zwanzigste unter den wenigen Lesern des Homer
an, der so gar sein Sylbenmaaß versteht?
Selmer. Sie haben so sehr recht, als man nur haben
kann: Allein, auch ohne Vergleichung, bleibt doch auch für
uns ein Unterschied. Sie hören nämlich andre Trochäen,
wenn Sie spondeenähnliche hören. Man könnte vielleicht
sagen, geben Sie mir einmal den Homer her, Werthing,
daß die Griechen auch solche Trochäen hätten.

Doch ich sehe jetzt die Sache nicht mehr in dem Gesichts-
punkte an, daß wir durch diese Trochäen den Gang des Ver-
ses etwas spondeisch machen wollen. Jch vergleiche nur die
Quantität der Griechen mit unsrer. Um die Sache mehr
zu
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aus einer Abhandlung vom Sylbenmaaſſe.
als der homeriſche wird, einen ſchoͤnen metriſchen Ausdruck
haben. Jch glaube, Sie machen mir jetzt den Vorwurf der
Partheylichkeit nicht mehr. Gleichwohl will ich Jhnen meine
Unpartheylichkeit noch mehr zeigen. Jch behaupte es naͤm-
lich als einen Vorzug des homeriſchen Verſes, daß er die
Schnelligkeit des Daktylus mehr durch ſeinen Spondeus,
als der unſrige durch ſeinen Trochaͤus aufhaͤlt. Unſere Dich-
ter koͤnnen dieſen Vorzug vermindern, wenn ſie ſich bemuͤhen
wollen, theils Gebrauch von den nicht zu wenigen Spondeen
zu machen, die wir vornehmlich durch Huͤlfe unſrer einſylbi-
gen Worte haben koͤnnen; und theils oft ſolche Trochaͤen
waͤhlen, die nach der griechiſchen Ausſprache Spondeen ſeyn
wuͤrden, und bey uns den Schein derſelben haben.
Minna. Aber was hilft uns das, da wir Deutſche ſind,
und an dieſe Vergleichung nicht denken? Denn was gehet
uns uͤbrige der zwanzigſte unter den wenigen Leſern des Homer
an, der ſo gar ſein Sylbenmaaß verſteht?
Selmer. Sie haben ſo ſehr recht, als man nur haben
kann: Allein, auch ohne Vergleichung, bleibt doch auch fuͤr
uns ein Unterſchied. Sie hoͤren naͤmlich andre Trochaͤen,
wenn Sie ſpondeenaͤhnliche hoͤren. Man koͤnnte vielleicht
ſagen, geben Sie mir einmal den Homer her, Werthing,
daß die Griechen auch ſolche Trochaͤen haͤtten.

Doch ich ſehe jetzt die Sache nicht mehr in dem Geſichts-
punkte an, daß wir durch dieſe Trochaͤen den Gang des Ver-
ſes etwas ſpondeiſch machen wollen. Jch vergleiche nur die
Quantitaͤt der Griechen mit unſrer. Um die Sache mehr
zu
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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/5>, abgerufen am 19.04.2024.