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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Der Messias.
Neben nächtlicher Vögel Geschrey, und Zischen der Drachen,
Und gesunknen Palästen. So gar der Araber hatte
Keine Hütten hier, sein Sclav hier keine Gehege.
Jetzo fand der Engel das Grab. Mit Wasser und Schilfe
War es bedeckt. Ein moosiger Grabstein ragte darüber
Unter wehenden Schilfen hervor. Und Daniels Seele
Dacht an das Schicksal Vieler zurück, die lange schon schliefen,
Jenes zurück, der hoch gen Himmel mit stolzem Wipfel
Stand, ein großer Schatten der Müden, und schnell hinstürzte,
Als es: Hauet ihn um! vom Himmel erscholl. Der lernte!
Aber der andere nicht, sein Sohn. Der Stolzere wollt' es
Niemals lernen, daß Gott der Königreiche Gewalt hat,
Und, wie er will, die Könige stürzt. Drum ging die Hand auch
Gegen den goldenen Leuchter hervor, drum schrieb sie den Tod auch:

König! die Jahre deiner Gewalt sind gezählt, und vollendet!
Siehe, gewogen hat dich auf seiner Wage der Richter!
Und zu leicht dich gefunden! dein Reich ist getheilt, und dem Meder
Und dem Perser gegeben! ... Den Stolzen, und seine Genossen
Hügel, die mit dem Berge zur Zeit der Zerstörung versanken!
Ließ, wie erscheinende Schatten, vor sich des Heiligen Seele
Schnell vorbeygehn. Aber itzt war das Ende der Tage
Auch für Daniel da. Der Liebling Gottes erwachte,
Schwebt', und strahlt' auf Babylons liegende Trümmern herunter,
Wie von dem einsamen Himmel der Stern der Dämmrung herabstrahlt.
Thränen säet' er einst, und erndtete Freuden Hilkias
Zärtlicher Sohn, als er mit des neuen Lebens Empfindung
Ueber dem Grabe stand, und ganz unsterblich sich fühlte.
Und

Der Meſſias.
Neben naͤchtlicher Voͤgel Geſchrey, und Ziſchen der Drachen,
Und geſunknen Palaͤſten. So gar der Araber hatte
Keine Huͤtten hier, ſein Sclav hier keine Gehege.
Jetzo fand der Engel das Grab. Mit Waſſer und Schilfe
War es bedeckt. Ein mooſiger Grabſtein ragte daruͤber
Unter wehenden Schilfen hervor. Und Daniels Seele
Dacht an das Schickſal Vieler zuruͤck, die lange ſchon ſchliefen,
Jenes zuruͤck, der hoch gen Himmel mit ſtolzem Wipfel
Stand, ein großer Schatten der Muͤden, und ſchnell hinſtuͤrzte,
Als es: Hauet ihn um! vom Himmel erſcholl. Der lernte!
Aber der andere nicht, ſein Sohn. Der Stolzere wollt’ es
Niemals lernen, daß Gott der Koͤnigreiche Gewalt hat,
Und, wie er will, die Koͤnige ſtuͤrzt. Drum ging die Hand auch
Gegen den goldenen Leuchter hervor, drum ſchrieb ſie den Tod auch:

Koͤnig! die Jahre deiner Gewalt ſind gezaͤhlt, und vollendet!
Siehe, gewogen hat dich auf ſeiner Wage der Richter!
Und zu leicht dich gefunden! dein Reich iſt getheilt, und dem Meder
Und dem Perſer gegeben! … Den Stolzen, und ſeine Genoſſen
Huͤgel, die mit dem Berge zur Zeit der Zerſtoͤrung verſanken!
Ließ, wie erſcheinende Schatten, vor ſich des Heiligen Seele
Schnell vorbeygehn. Aber itzt war das Ende der Tage
Auch fuͤr Daniel da. Der Liebling Gottes erwachte,
Schwebt’, und ſtrahlt’ auf Babylons liegende Truͤmmern herunter,
Wie von dem einſamen Himmel der Stern der Daͤmmrung herabſtrahlt.
Thraͤnen ſaͤet’ er einſt, und erndtete Freuden Hilkias
Zaͤrtlicher Sohn, als er mit des neuen Lebens Empfindung
Ueber dem Grabe ſtand, und ganz unſterblich ſich fuͤhlte.
Und
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[28/0044] Der Meſſias. Neben naͤchtlicher Voͤgel Geſchrey, und Ziſchen der Drachen, Und geſunknen Palaͤſten. So gar der Araber hatte Keine Huͤtten hier, ſein Sclav hier keine Gehege. Jetzo fand der Engel das Grab. Mit Waſſer und Schilfe War es bedeckt. Ein mooſiger Grabſtein ragte daruͤber Unter wehenden Schilfen hervor. Und Daniels Seele Dacht an das Schickſal Vieler zuruͤck, die lange ſchon ſchliefen, Jenes zuruͤck, der hoch gen Himmel mit ſtolzem Wipfel Stand, ein großer Schatten der Muͤden, und ſchnell hinſtuͤrzte, Als es: Hauet ihn um! vom Himmel erſcholl. Der lernte! Aber der andere nicht, ſein Sohn. Der Stolzere wollt’ es Niemals lernen, daß Gott der Koͤnigreiche Gewalt hat, Und, wie er will, die Koͤnige ſtuͤrzt. Drum ging die Hand auch Gegen den goldenen Leuchter hervor, drum ſchrieb ſie den Tod auch: Koͤnig! die Jahre deiner Gewalt ſind gezaͤhlt, und vollendet! Siehe, gewogen hat dich auf ſeiner Wage der Richter! Und zu leicht dich gefunden! dein Reich iſt getheilt, und dem Meder Und dem Perſer gegeben! … Den Stolzen, und ſeine Genoſſen Huͤgel, die mit dem Berge zur Zeit der Zerſtoͤrung verſanken! Ließ, wie erſcheinende Schatten, vor ſich des Heiligen Seele Schnell vorbeygehn. Aber itzt war das Ende der Tage Auch fuͤr Daniel da. Der Liebling Gottes erwachte, Schwebt’, und ſtrahlt’ auf Babylons liegende Truͤmmern herunter, Wie von dem einſamen Himmel der Stern der Daͤmmrung herabſtrahlt. Thraͤnen ſaͤet’ er einſt, und erndtete Freuden Hilkias Zaͤrtlicher Sohn, als er mit des neuen Lebens Empfindung Ueber dem Grabe ſtand, und ganz unſterblich ſich fuͤhlte. Und

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/44>, abgerufen am 29.03.2024.