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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Vierzehnter Gesang.
Ach, wir hofften auf ihn, und hielten ihn für den Messias!
Jsrael, hofften wir, sollt er erlösen! Und über das alles
Brach der dritte der Tage schon an, seit dieses geschehn ist.

Und Matthias begann: Auch haben die Weiber der Unsern
Uns erschreckt. Heut gingen sie in der Frühe zum Grabe.
Seinen Leichnam fanden sie nicht. Sie kamen mit Zittern,
Hatten Gesichte der Engel gesehn, die sagten, Er lebe!
Ach, wir vermochten uns nicht zu freuen! Einige gingen
Auch zu dem Grab', und fanden es offen, und ohne den Todten!
Jetzo kamen sie unter umschattende Palmen. Der Wandrer
Sah sie mit der Erhabenheit an, die Größe der Seele,
Und nicht Stolz ist, und sprach mit der mächtigen Stimme der Wahrheit:
Jhr Unweisen! und langsamen, harten Herzen zu glauben,
Dem zu glauben, was euch die Propheten verkündiget haben!
Mußte nicht dieß der Messias leiden? und, nach der Vollendung
Seiner Leiden, erst dann zu seiner Herrlichkeit eingehn?
Mit Erstaunen sahn sie sich an; mit bebender Ehrfurcht,
Jhn! ... Gern hätten sie ihn, doch nur Augenblicke, verlassen,
Und von ihm mit einander gesprochen. Jhr trübes Auge
Wurde Licht, und begegnete sich mit feurigen Fragen:
O, wer ist er, wer ist, der unsre Seele mit Ehrfurcht
Und mit Staunen erfüllt? ... Doch hatt' er nur angefangen
Ueber sie durch die Gewalt der siegenden Wahrheit zu herrschen.
Wie ein Sturm, der beginnt, mit gehaltner Stärke noch wehet,
Noch den kühleren Wald nicht ganz füllt; Stille ruhet
Noch in seinen Thalen, noch liegen blässere Schatten,
Ganz ist die Sonne noch nicht von des Sturmes Wolken umnachtet!
Also
L 3

Vierzehnter Geſang.
Ach, wir hofften auf ihn, und hielten ihn fuͤr den Meſſias!
Jſrael, hofften wir, ſollt er erloͤſen! Und uͤber das alles
Brach der dritte der Tage ſchon an, ſeit dieſes geſchehn iſt.

Und Matthias begann: Auch haben die Weiber der Unſern
Uns erſchreckt. Heut gingen ſie in der Fruͤhe zum Grabe.
Seinen Leichnam fanden ſie nicht. Sie kamen mit Zittern,
Hatten Geſichte der Engel geſehn, die ſagten, Er lebe!
Ach, wir vermochten uns nicht zu freuen! Einige gingen
Auch zu dem Grab’, und fanden es offen, und ohne den Todten!
Jetzo kamen ſie unter umſchattende Palmen. Der Wandrer
Sah ſie mit der Erhabenheit an, die Groͤße der Seele,
Und nicht Stolz iſt, und ſprach mit der maͤchtigen Stimme der Wahrheit:
Jhr Unweiſen! und langſamen, harten Herzen zu glauben,
Dem zu glauben, was euch die Propheten verkuͤndiget haben!
Mußte nicht dieß der Meſſias leiden? und, nach der Vollendung
Seiner Leiden, erſt dann zu ſeiner Herrlichkeit eingehn?
Mit Erſtaunen ſahn ſie ſich an; mit bebender Ehrfurcht,
Jhn! … Gern haͤtten ſie ihn, doch nur Augenblicke, verlaſſen,
Und von ihm mit einander geſprochen. Jhr truͤbes Auge
Wurde Licht, und begegnete ſich mit feurigen Fragen:
O, wer iſt er, wer iſt, der unſre Seele mit Ehrfurcht
Und mit Staunen erfuͤllt? … Doch hatt’ er nur angefangen
Ueber ſie durch die Gewalt der ſiegenden Wahrheit zu herrſchen.
Wie ein Sturm, der beginnt, mit gehaltner Staͤrke noch wehet,
Noch den kuͤhleren Wald nicht ganz fuͤllt; Stille ruhet
Noch in ſeinen Thalen, noch liegen blaͤſſere Schatten,
Ganz iſt die Sonne noch nicht von des Sturmes Wolken umnachtet!
Alſo
L 3
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[165/0181] Vierzehnter Geſang. Ach, wir hofften auf ihn, und hielten ihn fuͤr den Meſſias! Jſrael, hofften wir, ſollt er erloͤſen! Und uͤber das alles Brach der dritte der Tage ſchon an, ſeit dieſes geſchehn iſt. Und Matthias begann: Auch haben die Weiber der Unſern Uns erſchreckt. Heut gingen ſie in der Fruͤhe zum Grabe. Seinen Leichnam fanden ſie nicht. Sie kamen mit Zittern, Hatten Geſichte der Engel geſehn, die ſagten, Er lebe! Ach, wir vermochten uns nicht zu freuen! Einige gingen Auch zu dem Grab’, und fanden es offen, und ohne den Todten! Jetzo kamen ſie unter umſchattende Palmen. Der Wandrer Sah ſie mit der Erhabenheit an, die Groͤße der Seele, Und nicht Stolz iſt, und ſprach mit der maͤchtigen Stimme der Wahrheit: Jhr Unweiſen! und langſamen, harten Herzen zu glauben, Dem zu glauben, was euch die Propheten verkuͤndiget haben! Mußte nicht dieß der Meſſias leiden? und, nach der Vollendung Seiner Leiden, erſt dann zu ſeiner Herrlichkeit eingehn? Mit Erſtaunen ſahn ſie ſich an; mit bebender Ehrfurcht, Jhn! … Gern haͤtten ſie ihn, doch nur Augenblicke, verlaſſen, Und von ihm mit einander geſprochen. Jhr truͤbes Auge Wurde Licht, und begegnete ſich mit feurigen Fragen: O, wer iſt er, wer iſt, der unſre Seele mit Ehrfurcht Und mit Staunen erfuͤllt? … Doch hatt’ er nur angefangen Ueber ſie durch die Gewalt der ſiegenden Wahrheit zu herrſchen. Wie ein Sturm, der beginnt, mit gehaltner Staͤrke noch wehet, Noch den kuͤhleren Wald nicht ganz fuͤllt; Stille ruhet Noch in ſeinen Thalen, noch liegen blaͤſſere Schatten, Ganz iſt die Sonne noch nicht von des Sturmes Wolken umnachtet! Alſo L 3

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/181>, abgerufen am 25.11.2024.