Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierzehnter Gesang.
Stehn. Es war des Todten Gestalt, und Gewand, die Stimm' auch?
Aber er schwieg jetzt, und immer weiter im Strome der Zweifel
Fortgerissen, begann er von neuen: Jetzt seyd ihr zu lebhaft
Durch das alles getäuscht, was ihr erzählet. Jch will euch,
Wenn ihr es erst zu tragen vermögt, der Zweifel Ursach,
Die mir anders zu denken gebieten, offen entdecken,
Nichts verschweigen! Jhr glaubt, ihr Jünger Jesus, die Mährlein,
Die sie erzählen, doch nicht? Er sprachs, und setzte sich wieder.

Und der stürzenden Freudenthräne der Zeuginnen folgte
Nun des Mitleids sanftzerrinnende Thräne. Sie schwiegen.
Müde vor Angst der Freude, voll Schweiß die Stirne, die Wange
Bleich, mit bebenden Lippen, mit starrer lechzender Zunge,
Trat Maria Magdala, unter die Weinenden, strebte
Jhre Hände gen Himmel zu heben, sie sanken ihr nieder,
Und sie faltet sie fest. Er ist erstanden! erstanden!
Also ruft sie mit einer Stimme des freudigen Schreckens,
Die nicht Harfen der Seraphim, nicht ihr Gesang ausdrückte,
Dunkel wird es um sie. Sie sucht nach Stützen. Johannes
Hält sie, sie lehnt sich an ihn. Als er zu reden vermochte,
Sprach Lebbäus: So hast auch du die Engel gesehen?
Sanfter schlug itzt ihr Herz. Sie sprach mit himmlischem Lächeln:
Ach nicht Engel nur, Jhn! Da huben Alle die Augen
Still gen Himmel; nur Didymus nicht. Er nahte sich, sagte
Kalt, mit trübem Ernste: Wer so sich täuscht, daß sein Auge
Engel erblickt, der kann auch wähnen, ihn selber zu sehen.
Didymus ach! was haben wir dir, was hat dir, Geliebter,
Jesus Christus gethan? antwortete Magdale ruhig.
Dieß
K 3

Vierzehnter Geſang.
Stehn. Es war des Todten Geſtalt, und Gewand, die Stimm’ auch?
Aber er ſchwieg jetzt, und immer weiter im Strome der Zweifel
Fortgeriſſen, begann er von neuen: Jetzt ſeyd ihr zu lebhaft
Durch das alles getaͤuſcht, was ihr erzaͤhlet. Jch will euch,
Wenn ihr es erſt zu tragen vermoͤgt, der Zweifel Urſach,
Die mir anders zu denken gebieten, offen entdecken,
Nichts verſchweigen! Jhr glaubt, ihr Juͤnger Jeſus, die Maͤhrlein,
Die ſie erzaͤhlen, doch nicht? Er ſprachs, und ſetzte ſich wieder.

Und der ſtuͤrzenden Freudenthraͤne der Zeuginnen folgte
Nun des Mitleids ſanftzerrinnende Thraͤne. Sie ſchwiegen.
Muͤde vor Angſt der Freude, voll Schweiß die Stirne, die Wange
Bleich, mit bebenden Lippen, mit ſtarrer lechzender Zunge,
Trat Maria Magdala, unter die Weinenden, ſtrebte
Jhre Haͤnde gen Himmel zu heben, ſie ſanken ihr nieder,
Und ſie faltet ſie feſt. Er iſt erſtanden! erſtanden!
Alſo ruft ſie mit einer Stimme des freudigen Schreckens,
Die nicht Harfen der Seraphim, nicht ihr Geſang ausdruͤckte,
Dunkel wird es um ſie. Sie ſucht nach Stuͤtzen. Johannes
Haͤlt ſie, ſie lehnt ſich an ihn. Als er zu reden vermochte,
Sprach Lebbaͤus: So haſt auch du die Engel geſehen?
Sanfter ſchlug itzt ihr Herz. Sie ſprach mit himmliſchem Laͤcheln:
Ach nicht Engel nur, Jhn! Da huben Alle die Augen
Still gen Himmel; nur Didymus nicht. Er nahte ſich, ſagte
Kalt, mit truͤbem Ernſte: Wer ſo ſich taͤuſcht, daß ſein Auge
Engel erblickt, der kann auch waͤhnen, ihn ſelber zu ſehen.
Didymus ach! was haben wir dir, was hat dir, Geliebter,
Jeſus Chriſtus gethan? antwortete Magdale ruhig.
Dieß
K 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="21">
            <pb facs="#f0165" n="149"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vierzehnter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
            <l>Stehn. Es war des Todten Ge&#x017F;talt, und Gewand, die Stimm&#x2019; auch?</l><lb/>
            <l>Aber er &#x017F;chwieg jetzt, und immer weiter im Strome der Zweifel</l><lb/>
            <l>Fortgeri&#x017F;&#x017F;en, begann er von neuen: Jetzt &#x017F;eyd ihr zu lebhaft</l><lb/>
            <l>Durch das alles geta&#x0364;u&#x017F;cht, was ihr erza&#x0364;hlet. Jch will euch,</l><lb/>
            <l>Wenn ihr es er&#x017F;t zu tragen vermo&#x0364;gt, der Zweifel Ur&#x017F;ach,</l><lb/>
            <l>Die mir anders zu denken gebieten, offen entdecken,</l><lb/>
            <l>Nichts ver&#x017F;chweigen! Jhr glaubt, ihr Ju&#x0364;nger Je&#x017F;us, die Ma&#x0364;hrlein,</l><lb/>
            <l>Die &#x017F;ie erza&#x0364;hlen, doch nicht? Er &#x017F;prachs, und &#x017F;etzte &#x017F;ich wieder.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="22">
            <l>Und der &#x017F;tu&#x0364;rzenden Freudenthra&#x0364;ne der Zeuginnen folgte</l><lb/>
            <l>Nun des Mitleids &#x017F;anftzerrinnende Thra&#x0364;ne. Sie &#x017F;chwiegen.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="23">
            <l>Mu&#x0364;de vor Ang&#x017F;t der Freude, voll Schweiß die Stirne, die Wange</l><lb/>
            <l>Bleich, mit bebenden Lippen, mit &#x017F;tarrer lechzender Zunge,</l><lb/>
            <l>Trat Maria Magdala, unter die Weinenden, &#x017F;trebte</l><lb/>
            <l>Jhre Ha&#x0364;nde gen Himmel zu heben, &#x017F;ie &#x017F;anken ihr nieder,</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;ie faltet &#x017F;ie fe&#x017F;t. Er i&#x017F;t er&#x017F;tanden! er&#x017F;tanden!</l><lb/>
            <l>Al&#x017F;o ruft &#x017F;ie mit einer Stimme des freudigen Schreckens,</l><lb/>
            <l>Die nicht Harfen der Seraphim, nicht ihr Ge&#x017F;ang ausdru&#x0364;ckte,</l><lb/>
            <l>Dunkel wird es um &#x017F;ie. Sie &#x017F;ucht nach Stu&#x0364;tzen. Johannes</l><lb/>
            <l>Ha&#x0364;lt &#x017F;ie, &#x017F;ie lehnt &#x017F;ich an ihn. Als er zu reden vermochte,</l><lb/>
            <l>Sprach Lebba&#x0364;us: So ha&#x017F;t auch du die Engel ge&#x017F;ehen?</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="24">
            <l>Sanfter &#x017F;chlug itzt ihr Herz. Sie &#x017F;prach mit himmli&#x017F;chem La&#x0364;cheln:</l><lb/>
            <l>Ach nicht Engel nur, Jhn! Da huben Alle die Augen</l><lb/>
            <l>Still gen Himmel; nur Didymus nicht. Er nahte &#x017F;ich, &#x017F;agte</l><lb/>
            <l>Kalt, mit tru&#x0364;bem Ern&#x017F;te: Wer &#x017F;o &#x017F;ich ta&#x0364;u&#x017F;cht, daß &#x017F;ein Auge</l><lb/>
            <l>Engel erblickt, der kann auch wa&#x0364;hnen, ihn &#x017F;elber zu &#x017F;ehen.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="25">
            <l>Didymus ach! was haben wir dir, was hat dir, Geliebter,</l><lb/>
            <l>Je&#x017F;us Chri&#x017F;tus gethan? antwortete Magdale ruhig.</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">K 3</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Dieß</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0165] Vierzehnter Geſang. Stehn. Es war des Todten Geſtalt, und Gewand, die Stimm’ auch? Aber er ſchwieg jetzt, und immer weiter im Strome der Zweifel Fortgeriſſen, begann er von neuen: Jetzt ſeyd ihr zu lebhaft Durch das alles getaͤuſcht, was ihr erzaͤhlet. Jch will euch, Wenn ihr es erſt zu tragen vermoͤgt, der Zweifel Urſach, Die mir anders zu denken gebieten, offen entdecken, Nichts verſchweigen! Jhr glaubt, ihr Juͤnger Jeſus, die Maͤhrlein, Die ſie erzaͤhlen, doch nicht? Er ſprachs, und ſetzte ſich wieder. Und der ſtuͤrzenden Freudenthraͤne der Zeuginnen folgte Nun des Mitleids ſanftzerrinnende Thraͤne. Sie ſchwiegen. Muͤde vor Angſt der Freude, voll Schweiß die Stirne, die Wange Bleich, mit bebenden Lippen, mit ſtarrer lechzender Zunge, Trat Maria Magdala, unter die Weinenden, ſtrebte Jhre Haͤnde gen Himmel zu heben, ſie ſanken ihr nieder, Und ſie faltet ſie feſt. Er iſt erſtanden! erſtanden! Alſo ruft ſie mit einer Stimme des freudigen Schreckens, Die nicht Harfen der Seraphim, nicht ihr Geſang ausdruͤckte, Dunkel wird es um ſie. Sie ſucht nach Stuͤtzen. Johannes Haͤlt ſie, ſie lehnt ſich an ihn. Als er zu reden vermochte, Sprach Lebbaͤus: So haſt auch du die Engel geſehen? Sanfter ſchlug itzt ihr Herz. Sie ſprach mit himmliſchem Laͤcheln: Ach nicht Engel nur, Jhn! Da huben Alle die Augen Still gen Himmel; nur Didymus nicht. Er nahte ſich, ſagte Kalt, mit truͤbem Ernſte: Wer ſo ſich taͤuſcht, daß ſein Auge Engel erblickt, der kann auch waͤhnen, ihn ſelber zu ſehen. Didymus ach! was haben wir dir, was hat dir, Geliebter, Jeſus Chriſtus gethan? antwortete Magdale ruhig. Dieß K 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/165
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/165>, abgerufen am 24.11.2024.