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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Vierzehnter Gesang.
Hört uns, ihr weint, o hört uns! Wir haben ihn lebend gesehen,
Und auch Engel zuvor! Erst Einen Engel am Grabe;
Und denn zweene mit diesem darinn, die sprachen, was sagten
Sie, o Salome? denn ich war zu erschrocken, der Boten
Himmlische Stimme recht zu verstehn. ... Jhr wart zu erschrocken,
Trat jetzt Thomas hervor, zu verstehn, was ihr hörtet? Vielleicht auch
Recht zu sehn, was ihr saht? ... Ach Jünger Jesus, erschreck du
Uns mit deinen Zweifeln nicht mehr, wir sind, vor Freuden,
Ohne dich, noch erschrocken genung. Der Lebende sagt' uns:
Fürchtet euch nicht! und du, sein Jünger, erschreckst uns von neuen.
Ach ich wollte das nicht, Geliebte. Doch laßt mich euch fragen,
Und seyd ruhig, indem ich genau die Wahrheit erforsche.
Einen Engel saht ihr zuerst? Wie war er gestaltet?
Sieh ein Jüngling! sein Antlitz dem Blitze, dem Schnee sein Gewand gleich!..
Der war Gabriel! rief die Mutter des Lebenden. War denn,
Sprach drauf Thomas, die Sonne schon da? Du hast nicht vernommen,
Salome, daß ein römischer Hauptmann mit einer Wache,
Auf Pilatus Befehl, erfleht von den wütenden Priestern,
Gestern das Grab des Todten umringte. Die Nüstung der Römer
Glänzet täuschend, indem darauf der Schimmer des Tags fällt.
Aber euch täuschte ja schon der Schrecken genung, und ihr brauchtet
Keines Glanzes in Fernen, um Engelgestalten zu sehen.
Aber es war erst Dämmerung, o Didymus, und der Jüngling
War kein Römer. Sein Antlitz, nicht seine Rüstung, er hatte
Keine Rüstung, schimmerte! Was den Unsterblichen deckte,
War ein weißes Gewand. ... Wohlan, was sagt' er zu euch denn,
Dieser Unsterbliche? ... Fürchten sollten wir uns nicht, er wüßte,
Daß
K 2
Vierzehnter Geſang.
Hoͤrt uns, ihr weint, o hoͤrt uns! Wir haben ihn lebend geſehen,
Und auch Engel zuvor! Erſt Einen Engel am Grabe;
Und denn zweene mit dieſem darinn, die ſprachen, was ſagten
Sie, o Salome? denn ich war zu erſchrocken, der Boten
Himmliſche Stimme recht zu verſtehn. … Jhr wart zu erſchrocken,
Trat jetzt Thomas hervor, zu verſtehn, was ihr hoͤrtet? Vielleicht auch
Recht zu ſehn, was ihr ſaht? … Ach Juͤnger Jeſus, erſchreck du
Uns mit deinen Zweifeln nicht mehr, wir ſind, vor Freuden,
Ohne dich, noch erſchrocken genung. Der Lebende ſagt’ uns:
Fuͤrchtet euch nicht! und du, ſein Juͤnger, erſchreckſt uns von neuen.
Ach ich wollte das nicht, Geliebte. Doch laßt mich euch fragen,
Und ſeyd ruhig, indem ich genau die Wahrheit erforſche.
Einen Engel ſaht ihr zuerſt? Wie war er geſtaltet?
Sieh ein Juͤngling! ſein Antlitz dem Blitze, dem Schnee ſein Gewand gleich!..
Der war Gabriel! rief die Mutter des Lebenden. War denn,
Sprach drauf Thomas, die Sonne ſchon da? Du haſt nicht vernommen,
Salome, daß ein roͤmiſcher Hauptmann mit einer Wache,
Auf Pilatus Befehl, erfleht von den wuͤtenden Prieſtern,
Geſtern das Grab des Todten umringte. Die Nuͤſtung der Roͤmer
Glaͤnzet taͤuſchend, indem darauf der Schimmer des Tags faͤllt.
Aber euch taͤuſchte ja ſchon der Schrecken genung, und ihr brauchtet
Keines Glanzes in Fernen, um Engelgeſtalten zu ſehen.
Aber es war erſt Daͤmmerung, o Didymus, und der Juͤngling
War kein Roͤmer. Sein Antlitz, nicht ſeine Ruͤſtung, er hatte
Keine Ruͤſtung, ſchimmerte! Was den Unſterblichen deckte,
War ein weißes Gewand. … Wohlan, was ſagt’ er zu euch denn,
Dieſer Unſterbliche? … Fuͤrchten ſollten wir uns nicht, er wuͤßte,
Daß
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[147/0163] Vierzehnter Geſang. Hoͤrt uns, ihr weint, o hoͤrt uns! Wir haben ihn lebend geſehen, Und auch Engel zuvor! Erſt Einen Engel am Grabe; Und denn zweene mit dieſem darinn, die ſprachen, was ſagten Sie, o Salome? denn ich war zu erſchrocken, der Boten Himmliſche Stimme recht zu verſtehn. … Jhr wart zu erſchrocken, Trat jetzt Thomas hervor, zu verſtehn, was ihr hoͤrtet? Vielleicht auch Recht zu ſehn, was ihr ſaht? … Ach Juͤnger Jeſus, erſchreck du Uns mit deinen Zweifeln nicht mehr, wir ſind, vor Freuden, Ohne dich, noch erſchrocken genung. Der Lebende ſagt’ uns: Fuͤrchtet euch nicht! und du, ſein Juͤnger, erſchreckſt uns von neuen. Ach ich wollte das nicht, Geliebte. Doch laßt mich euch fragen, Und ſeyd ruhig, indem ich genau die Wahrheit erforſche. Einen Engel ſaht ihr zuerſt? Wie war er geſtaltet? Sieh ein Juͤngling! ſein Antlitz dem Blitze, dem Schnee ſein Gewand gleich!.. Der war Gabriel! rief die Mutter des Lebenden. War denn, Sprach drauf Thomas, die Sonne ſchon da? Du haſt nicht vernommen, Salome, daß ein roͤmiſcher Hauptmann mit einer Wache, Auf Pilatus Befehl, erfleht von den wuͤtenden Prieſtern, Geſtern das Grab des Todten umringte. Die Nuͤſtung der Roͤmer Glaͤnzet taͤuſchend, indem darauf der Schimmer des Tags faͤllt. Aber euch taͤuſchte ja ſchon der Schrecken genung, und ihr brauchtet Keines Glanzes in Fernen, um Engelgeſtalten zu ſehen. Aber es war erſt Daͤmmerung, o Didymus, und der Juͤngling War kein Roͤmer. Sein Antlitz, nicht ſeine Ruͤſtung, er hatte Keine Ruͤſtung, ſchimmerte! Was den Unſterblichen deckte, War ein weißes Gewand. … Wohlan, was ſagt’ er zu euch denn, Dieſer Unſterbliche? … Fuͤrchten ſollten wir uns nicht, er wuͤßte, Daß K 2

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/163>, abgerufen am 20.04.2024.