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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Dreyzehnter Gesang.
Jhn dem Unbekannten, dem schrecklichen Unbekannten
Aufzuopfern? und weß ist die Stimm' in der innersten Seele,
Der ich zu widerstehn nicht vermag? Wenn du, Jupiter, mehr bist,
Als der Gott der Götter; so donnr' in den Abgrund mich nieder:
Ach, wo bin ich? O Wut der furchtbaren Ungewißheit!
Nein! nicht Ungewißheit! So hätt ich Jehova beleidigt!
Bey dem Strome Cocytus, bey dem nur, Jupiter, du schwörst,
Fleh ich: Donnre mich nieder! O du, nach dessen Erkenntniß
Jch mit dieser entflammten Begier verlange, Jehova,
Offenbare dich mir! bin ichs werth? ... kanns ein Sterblicher werth seyn?
Offenbare dich mir! Er dacht' es gen Himmel, und senkte
Dann sein Haupt auf die Brust. Ach, warum sah ich den Frommen
Seine Wunder nicht thun? und warum säumt' ich, zu hören,
Was er, von Gott, und von sich, und den Menschen sagte; so kennt' ich
Nun die Menschen, und ihn, und Gott! ... Die am meisten ihn horten,
Waren Männer voll Einfalt. Ach besser, als wären sie Weise,
Die so selten sich nicht verirren, und Grübler gewesen!
Aber wo such' ich sie? Er ist todt, und wird mich nicht lehren!
Und sie find ich nicht! Doch in jenem besserem Leben,
Wo er jetzt ist, wird er mich lehren! Jm besseren Leben?
Jst denn ein künftiges? wirds, wenn es ist, denn besser für mich seyn?
Da, der so unschuldig gewesen, so vieles gelitten;
Ach, was wird der Schuldige leiden! Du Unbekannter!
O du Unbekannter! ja meine Seele verirrt sich
Jn dem Forschen nach dir! O könnt ich deiner Propheten
Offenbarung und Lehren verstehn, aufdecken die Hülle,
Welche sie meinem Auge verbirgt! So gar noch am Kreuze

Hätt'
III Band. H

Dreyzehnter Geſang.
Jhn dem Unbekannten, dem ſchrecklichen Unbekannten
Aufzuopfern? und weß iſt die Stimm’ in der innerſten Seele,
Der ich zu widerſtehn nicht vermag? Wenn du, Jupiter, mehr biſt,
Als der Gott der Goͤtter; ſo donnr’ in den Abgrund mich nieder:
Ach, wo bin ich? O Wut der furchtbaren Ungewißheit!
Nein! nicht Ungewißheit! So haͤtt ich Jehova beleidigt!
Bey dem Strome Cocytus, bey dem nur, Jupiter, du ſchwoͤrſt,
Fleh ich: Donnre mich nieder! O du, nach deſſen Erkenntniß
Jch mit dieſer entflammten Begier verlange, Jehova,
Offenbare dich mir! bin ichs werth? … kanns ein Sterblicher werth ſeyn?
Offenbare dich mir! Er dacht’ es gen Himmel, und ſenkte
Dann ſein Haupt auf die Bruſt. Ach, warum ſah ich den Frommen
Seine Wunder nicht thun? und warum ſaͤumt’ ich, zu hoͤren,
Was er, von Gott, und von ſich, und den Menſchen ſagte; ſo kennt’ ich
Nun die Menſchen, und ihn, und Gott! … Die am meiſten ihn horten,
Waren Maͤnner voll Einfalt. Ach beſſer, als waͤren ſie Weiſe,
Die ſo ſelten ſich nicht verirren, und Gruͤbler geweſen!
Aber wo ſuch’ ich ſie? Er iſt todt, und wird mich nicht lehren!
Und ſie find ich nicht! Doch in jenem beſſerem Leben,
Wo er jetzt iſt, wird er mich lehren! Jm beſſeren Leben?
Jſt denn ein kuͤnftiges? wirds, wenn es iſt, denn beſſer fuͤr mich ſeyn?
Da, der ſo unſchuldig geweſen, ſo vieles gelitten;
Ach, was wird der Schuldige leiden! Du Unbekannter!
O du Unbekannter! ja meine Seele verirrt ſich
Jn dem Forſchen nach dir! O koͤnnt ich deiner Propheten
Offenbarung und Lehren verſtehn, aufdecken die Huͤlle,
Welche ſie meinem Auge verbirgt! So gar noch am Kreuze

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III Band. H
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[113/0129] Dreyzehnter Geſang. Jhn dem Unbekannten, dem ſchrecklichen Unbekannten Aufzuopfern? und weß iſt die Stimm’ in der innerſten Seele, Der ich zu widerſtehn nicht vermag? Wenn du, Jupiter, mehr biſt, Als der Gott der Goͤtter; ſo donnr’ in den Abgrund mich nieder: Ach, wo bin ich? O Wut der furchtbaren Ungewißheit! Nein! nicht Ungewißheit! So haͤtt ich Jehova beleidigt! Bey dem Strome Cocytus, bey dem nur, Jupiter, du ſchwoͤrſt, Fleh ich: Donnre mich nieder! O du, nach deſſen Erkenntniß Jch mit dieſer entflammten Begier verlange, Jehova, Offenbare dich mir! bin ichs werth? … kanns ein Sterblicher werth ſeyn? Offenbare dich mir! Er dacht’ es gen Himmel, und ſenkte Dann ſein Haupt auf die Bruſt. Ach, warum ſah ich den Frommen Seine Wunder nicht thun? und warum ſaͤumt’ ich, zu hoͤren, Was er, von Gott, und von ſich, und den Menſchen ſagte; ſo kennt’ ich Nun die Menſchen, und ihn, und Gott! … Die am meiſten ihn horten, Waren Maͤnner voll Einfalt. Ach beſſer, als waͤren ſie Weiſe, Die ſo ſelten ſich nicht verirren, und Gruͤbler geweſen! Aber wo ſuch’ ich ſie? Er iſt todt, und wird mich nicht lehren! Und ſie find ich nicht! Doch in jenem beſſerem Leben, Wo er jetzt iſt, wird er mich lehren! Jm beſſeren Leben? Jſt denn ein kuͤnftiges? wirds, wenn es iſt, denn beſſer fuͤr mich ſeyn? Da, der ſo unſchuldig geweſen, ſo vieles gelitten; Ach, was wird der Schuldige leiden! Du Unbekannter! O du Unbekannter! ja meine Seele verirrt ſich Jn dem Forſchen nach dir! O koͤnnt ich deiner Propheten Offenbarung und Lehren verſtehn, aufdecken die Huͤlle, Welche ſie meinem Auge verbirgt! So gar noch am Kreuze Haͤtt’ III Band. H

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/129>, abgerufen am 19.04.2024.