[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.
Hier verstummt ihr Herz. Der Strom der kommenden Menge Trieb sie seitwärts, und nahm ihr den Anblick des Sohns. Sie entriß sich Jzt dem Gedränge; sie stand; sie ging; sie suchte, sie fand nicht, Nicht
Hier verſtummt ihr Herz. Der Strom der kommenden Menge Trieb ſie ſeitwaͤrts, und nahm ihr den Anblick des Sohns. Sie entriß ſich Jzt dem Gedraͤnge; ſie ſtand; ſie ging; ſie ſuchte, ſie fand nicht, Nicht
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="19"> <l> <pb facs="#f0064" n="40"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Meſſias.</hi> </fw> </l><lb/> <l>Jeſum! … Jhr Engel, als er die Todesblaͤſſe, mit der ſie</l><lb/> <l>Bleich ward, als er die ſtarrenden Augen der Mutter erblickte,</l><lb/> <l>Wandt er ſein Antliz. Doch ſie, da ihrem Auge das Dunkel,</l><lb/> <l>Jhrem Ohr die Betaͤubung entſank, ging vorwaͤrts, und bebte</l><lb/> <l>Naͤher zum Richtſtul herauf, und ſah noch einmal den Sohn ſtehn,</l><lb/> <l>Sah die maͤchtigen Klaͤger um ihn, und den richtenden Roͤmer!</l><lb/> <l>Hoͤrte die Stimme des Volks, die rings mit Wuͤten vom Tode</l><lb/> <l>Wiederhallte. Was ſollte ſie thun? Zu welcher Erbarmung</l><lb/> <l>Sollte ſie flehn? Sie ſchaute ſich um, da war kein Erbarmer!</l><lb/> <l>Schaute gen Himmel empor, auch er verſtummte der Mutter;</l><lb/> <l>Jtzo betet ihr blutendes Herz: O, der durch Engel</l><lb/> <l>Mir ihn verkuͤndigen ließ, mir ihn in Bethlehems Thal gab,</l><lb/> <l>Daß ich mit Mutterfreuden mich freute, mit denen der Muͤtter</l><lb/> <l>Keine ſich iemals freute, mit Freuden, die ſelber die Engel</l><lb/> <l>Jn dem Liede von ſeiner Geburt nicht alle beſangen!</l><lb/> <l>Du, der Samuels Mutter erhoͤrte, da ſie am Altare</l><lb/> <l>Stand, und weint’, und betet’, erhoͤr, Erbarmer, den Jammer</l><lb/> <l>Meiner Seele, vernimm die Angſt, die mehr mich erſchuͤttert,</l><lb/> <l>Als der Gebaͤhrerinn Angſt! Das muͤtterlichſte der Herzen</l><lb/> <l>Gabſt du mir, und den beſten der Soͤhne, den beſten vor allen</l><lb/> <l>Erdegebohrnen! Ach laß ihn nicht ſterben, iſt anders mein Flehen</l><lb/> <l>Deinem goͤttlichen Willen gemaͤß, o du, der die Himmel</l><lb/> <l>Schuf, und der Thraͤne gebot, zu dir um Erbarmung zu flehen!</l> </lg><lb/> <lg n="20"> <l>Hier verſtummt ihr Herz. Der Strom der kommenden Menge</l><lb/> <l>Trieb ſie ſeitwaͤrts, und nahm ihr den Anblick des Sohns. Sie entriß ſich</l><lb/> <l>Jzt dem Gedraͤnge; ſie ſtand; ſie ging; ſie ſuchte, ſie fand nicht,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Nicht</fw><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [40/0064]
Der Meſſias.
Jeſum! … Jhr Engel, als er die Todesblaͤſſe, mit der ſie
Bleich ward, als er die ſtarrenden Augen der Mutter erblickte,
Wandt er ſein Antliz. Doch ſie, da ihrem Auge das Dunkel,
Jhrem Ohr die Betaͤubung entſank, ging vorwaͤrts, und bebte
Naͤher zum Richtſtul herauf, und ſah noch einmal den Sohn ſtehn,
Sah die maͤchtigen Klaͤger um ihn, und den richtenden Roͤmer!
Hoͤrte die Stimme des Volks, die rings mit Wuͤten vom Tode
Wiederhallte. Was ſollte ſie thun? Zu welcher Erbarmung
Sollte ſie flehn? Sie ſchaute ſich um, da war kein Erbarmer!
Schaute gen Himmel empor, auch er verſtummte der Mutter;
Jtzo betet ihr blutendes Herz: O, der durch Engel
Mir ihn verkuͤndigen ließ, mir ihn in Bethlehems Thal gab,
Daß ich mit Mutterfreuden mich freute, mit denen der Muͤtter
Keine ſich iemals freute, mit Freuden, die ſelber die Engel
Jn dem Liede von ſeiner Geburt nicht alle beſangen!
Du, der Samuels Mutter erhoͤrte, da ſie am Altare
Stand, und weint’, und betet’, erhoͤr, Erbarmer, den Jammer
Meiner Seele, vernimm die Angſt, die mehr mich erſchuͤttert,
Als der Gebaͤhrerinn Angſt! Das muͤtterlichſte der Herzen
Gabſt du mir, und den beſten der Soͤhne, den beſten vor allen
Erdegebohrnen! Ach laß ihn nicht ſterben, iſt anders mein Flehen
Deinem goͤttlichen Willen gemaͤß, o du, der die Himmel
Schuf, und der Thraͤne gebot, zu dir um Erbarmung zu flehen!
Hier verſtummt ihr Herz. Der Strom der kommenden Menge
Trieb ſie ſeitwaͤrts, und nahm ihr den Anblick des Sohns. Sie entriß ſich
Jzt dem Gedraͤnge; ſie ſtand; ſie ging; ſie ſuchte, ſie fand nicht,
Nicht
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