[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.Siebender Gesang. Aber so bist du denn doch ein König? ... Jch bin es! Jch ließ mich Zu der Erden herunter, ich wurde gebohren, die Menschen Wahrheit zu lehren. Wer sich der heiligen weihte, versteht mich! Hier bricht Pontius ab, und sagt mit der Mine des Weltmanns, Die kurzsichtig, doch lächelnd, des Ernstes Sache verurtheilt: Was ist Wahrheit? Er hatt es gesagt, und begleitet' ihn wieder Jn die Versammlung zurück. Jch finde, sagt er den Priestern, Keine Schuld des Todes an ihm. Jhr nanntet vorher mir Galiläa. Dort lehnt' er sich auf. Drum sehet, ich send ihn Zu Herodes. Es ist sein Gebiet. Er bestraf ihn! Und sollte, Wie mir es scheint, die Frage vielmehr von euerm Gesetze Als von Empörungen seyn; so ist es wieder Herodes, Der sie besser entscheidet als ich. So sagte Pilatus. Unterdeß kam die Mutter des Liebsten unter den Söhnen, Nach durchwachter einsamer Nacht, mit den Schauern der Dämmrung, Nach Jerusalem. Doch sie fand ihn im Tempel nicht, wo sie ihn suchte, Fand den göttlichen Sohn nicht! ... Versenkt in ängstliches Staunen Hört sie von den Palästen der Römer herüber ein dumpfes Tiefaufsteigend Getöse. Sie ging dem Getös' entgegen, Ohne daran zu denken, woher es entstünde? Nun geht sie Unter dem Volke, das rings durch Jerusalem gegen den Richtstul Eilte. Beklommen, doch wegen des Aufruhrs Ursach noch ruhig, Nahte sie sich dem Richtstul. Hier sah sie von ferne Lebbäum. Doch kaum sah Lebbäus die Mutter, da floh er. Ach flieht er? Warum wendet er sich? So dachte Maria. Sie dacht es. Mit dem Gedanken zückte die Vorsicht das Schwert, so bestimmt war, Jhr durch die Seele zu gehn. Maria erhub sich, und sahe Jesum! C 4
Siebender Geſang. Aber ſo biſt du denn doch ein Koͤnig? … Jch bin es! Jch ließ mich Zu der Erden herunter, ich wurde gebohren, die Menſchen Wahrheit zu lehren. Wer ſich der heiligen weihte, verſteht mich! Hier bricht Pontius ab, und ſagt mit der Mine des Weltmanns, Die kurzſichtig, doch laͤchelnd, des Ernſtes Sache verurtheilt: Was iſt Wahrheit? Er hatt es geſagt, und begleitet’ ihn wieder Jn die Verſammlung zuruͤck. Jch finde, ſagt er den Prieſtern, Keine Schuld des Todes an ihm. Jhr nanntet vorher mir Galilaͤa. Dort lehnt’ er ſich auf. Drum ſehet, ich ſend ihn Zu Herodes. Es iſt ſein Gebiet. Er beſtraf ihn! Und ſollte, Wie mir es ſcheint, die Frage vielmehr von euerm Geſetze Als von Empoͤrungen ſeyn; ſo iſt es wieder Herodes, Der ſie beſſer entſcheidet als ich. So ſagte Pilatus. Unterdeß kam die Mutter des Liebſten unter den Soͤhnen, Nach durchwachter einſamer Nacht, mit den Schauern der Daͤmmrung, Nach Jeruſalem. Doch ſie fand ihn im Tempel nicht, wo ſie ihn ſuchte, Fand den goͤttlichen Sohn nicht! … Verſenkt in aͤngſtliches Staunen Hoͤrt ſie von den Palaͤſten der Roͤmer heruͤber ein dumpfes Tiefaufſteigend Getoͤſe. Sie ging dem Getoͤſ’ entgegen, Ohne daran zu denken, woher es entſtuͤnde? Nun geht ſie Unter dem Volke, das rings durch Jeruſalem gegen den Richtſtul Eilte. Beklommen, doch wegen des Aufruhrs Urſach noch ruhig, Nahte ſie ſich dem Richtſtul. Hier ſah ſie von ferne Lebbaͤum. Doch kaum ſah Lebbaͤus die Mutter, da floh er. Ach flieht er? Warum wendet er ſich? So dachte Maria. Sie dacht es. Mit dem Gedanken zuͤckte die Vorſicht das Schwert, ſo beſtimmt war, Jhr durch die Seele zu gehn. Maria erhub ſich, und ſahe Jeſum! C 4
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Siebender Geſang.
Aber ſo biſt du denn doch ein Koͤnig? … Jch bin es! Jch ließ mich
Zu der Erden herunter, ich wurde gebohren, die Menſchen
Wahrheit zu lehren. Wer ſich der heiligen weihte, verſteht mich!
Hier bricht Pontius ab, und ſagt mit der Mine des Weltmanns,
Die kurzſichtig, doch laͤchelnd, des Ernſtes Sache verurtheilt:
Was iſt Wahrheit? Er hatt es geſagt, und begleitet’ ihn wieder
Jn die Verſammlung zuruͤck. Jch finde, ſagt er den Prieſtern,
Keine Schuld des Todes an ihm. Jhr nanntet vorher mir
Galilaͤa. Dort lehnt’ er ſich auf. Drum ſehet, ich ſend ihn
Zu Herodes. Es iſt ſein Gebiet. Er beſtraf ihn! Und ſollte,
Wie mir es ſcheint, die Frage vielmehr von euerm Geſetze
Als von Empoͤrungen ſeyn; ſo iſt es wieder Herodes,
Der ſie beſſer entſcheidet als ich. So ſagte Pilatus.
Unterdeß kam die Mutter des Liebſten unter den Soͤhnen,
Nach durchwachter einſamer Nacht, mit den Schauern der Daͤmmrung,
Nach Jeruſalem. Doch ſie fand ihn im Tempel nicht, wo ſie ihn ſuchte,
Fand den goͤttlichen Sohn nicht! … Verſenkt in aͤngſtliches Staunen
Hoͤrt ſie von den Palaͤſten der Roͤmer heruͤber ein dumpfes
Tiefaufſteigend Getoͤſe. Sie ging dem Getoͤſ’ entgegen,
Ohne daran zu denken, woher es entſtuͤnde? Nun geht ſie
Unter dem Volke, das rings durch Jeruſalem gegen den Richtſtul
Eilte. Beklommen, doch wegen des Aufruhrs Urſach noch ruhig,
Nahte ſie ſich dem Richtſtul. Hier ſah ſie von ferne Lebbaͤum.
Doch kaum ſah Lebbaͤus die Mutter, da floh er. Ach flieht er?
Warum wendet er ſich? So dachte Maria. Sie dacht es.
Mit dem Gedanken zuͤckte die Vorſicht das Schwert, ſo beſtimmt war,
Jhr durch die Seele zu gehn. Maria erhub ſich, und ſahe
Jeſum!
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