[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.
Gött-
Goͤtt-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="7"> <l> <pb facs="#f0123" n="95"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Neunter Geſang.</hi> </fw> </l><lb/> <l>Jn die Quelle des Hells eintauchte, gingen mit Staunen</l><lb/> <l>Hin nach Golgatha. Petrus entdekte von ferne Lebbaͤum,</l><lb/> <l>Wie er, im Truͤben, an einem verdorrten Baume, gebuͤckt ſtand,</l><lb/> <l>Und ging gegen ihn hin. Nun kam er nahe; Lebbaͤus</l><lb/> <l>Aber erkannt’ ihn noch nicht. Jhn redte Petrus mit leiſem,</l><lb/> <l>Brechenden Laut an: O haſt du ihn auch am Kreuze geſehen?</l><lb/> <l>Zwar auch du biſt elend, doch darfſt du dein ofneres Auge</l><lb/> <l>Zu ihm erheben. Jch aber … o lindre, lindre mein Elend!</l><lb/> <l>Hier, hier blutet ſie mir, hier blutet die brennende Wunde!</l><lb/> <l>Einen Laut nur, den einzigen Troſt nur von meinem Geliebten!</l><lb/> <l>Aber du ſchweigſt? … Noch ſchwieg er. Vergebens rang ſein Gefuͤhl ſich</l><lb/> <l>Nun zur Stimme zu werden. Doch waren ſein bebendes Antliz,</l><lb/> <l>Seine Thraͤnen, nicht ſprachlos! Allein die Troͤſtung beruͤhrte</l><lb/> <l>Simons Seele nur leiſe. Mit ſchwerem Herzen entweicht er;</l><lb/> <l>Ueberlaͤßt ſich von neuem der Menge Wogen, und treibt ſo</l><lb/> <l>Mit der Menge. Da er izt einem der eilenden Haufen,</l><lb/> <l>Weggedrungen, entkoͤmmt, ſieht er auf einmal Andream,</l><lb/> <l>Seinen Bruder, vor ſich. Er wollt’ ihn fliehen; allein izt</l><lb/> <l>Winkt er ihm zu, daß er ſich mit ihm noch weiter entferne.</l><lb/> <l>Nunmehr wendet Petrus ſich um: Mein Bruder! mein Bruder!</l><lb/> <l>Und umarmt ihn, nicht feurig wie ſonſt; mit muͤder Umarmung</l><lb/> <l>Faßt er ihn um, und weint an des Bruders Halſe. Mein Bruder!</l><lb/> <l>Ach mein Bruder! erwiedert mit ſanfter Wehmut Andreas.</l><lb/> <l>Gerne wollt ich; allein ich kann, ich kanns nicht verſchweigen!</l><lb/> <l>Simon, es blutet mein Herz mit deinem Herzen! … Den Beſten</l><lb/> <l>Unter den Menſchen, den Treuſten, den Liebevollſten der Freunde,</l><lb/> <l>Gottes Sohn! … den haſt du … vor ſeinen Feinden … verleugnet!</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Goͤtt-</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [95/0123]
Neunter Geſang.
Jn die Quelle des Hells eintauchte, gingen mit Staunen
Hin nach Golgatha. Petrus entdekte von ferne Lebbaͤum,
Wie er, im Truͤben, an einem verdorrten Baume, gebuͤckt ſtand,
Und ging gegen ihn hin. Nun kam er nahe; Lebbaͤus
Aber erkannt’ ihn noch nicht. Jhn redte Petrus mit leiſem,
Brechenden Laut an: O haſt du ihn auch am Kreuze geſehen?
Zwar auch du biſt elend, doch darfſt du dein ofneres Auge
Zu ihm erheben. Jch aber … o lindre, lindre mein Elend!
Hier, hier blutet ſie mir, hier blutet die brennende Wunde!
Einen Laut nur, den einzigen Troſt nur von meinem Geliebten!
Aber du ſchweigſt? … Noch ſchwieg er. Vergebens rang ſein Gefuͤhl ſich
Nun zur Stimme zu werden. Doch waren ſein bebendes Antliz,
Seine Thraͤnen, nicht ſprachlos! Allein die Troͤſtung beruͤhrte
Simons Seele nur leiſe. Mit ſchwerem Herzen entweicht er;
Ueberlaͤßt ſich von neuem der Menge Wogen, und treibt ſo
Mit der Menge. Da er izt einem der eilenden Haufen,
Weggedrungen, entkoͤmmt, ſieht er auf einmal Andream,
Seinen Bruder, vor ſich. Er wollt’ ihn fliehen; allein izt
Winkt er ihm zu, daß er ſich mit ihm noch weiter entferne.
Nunmehr wendet Petrus ſich um: Mein Bruder! mein Bruder!
Und umarmt ihn, nicht feurig wie ſonſt; mit muͤder Umarmung
Faßt er ihn um, und weint an des Bruders Halſe. Mein Bruder!
Ach mein Bruder! erwiedert mit ſanfter Wehmut Andreas.
Gerne wollt ich; allein ich kann, ich kanns nicht verſchweigen!
Simon, es blutet mein Herz mit deinem Herzen! … Den Beſten
Unter den Menſchen, den Treuſten, den Liebevollſten der Freunde,
Gottes Sohn! … den haſt du … vor ſeinen Feinden … verleugnet!
Goͤtt-
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