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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

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Der Meßias.

Fern in der Tiefe. Wie mitten in heiligen Einsiedleyen,
Jn zukünftige Folgen vertieft, prophetische Weisen
Dich, von fern sanftwandelnde Stimme des Ewigen, hören.
Jesus gieng den Oelberg hinab. An der Mitte des Oelbergs
Stand ein Palmbaum auf niedrigen Hügeln vor allen erhaben,
Von leichtschimmernden Wolken des Morgennebels umflossen.
Unter dem Palmbaum vernahm der Meßias den Schutzgeist Johannes,
Raphael ist sein Name, der ihn hier betend verehrte.
Liebliche Winde zerflossen vom Palmbaum, und trugen die Stimme
Die sonst keine Geschöpfe nicht hörten, zum Mittler hernieder.

Raphael komm, rief ihm der Meßias mit freundlichem Anblick,
Wandle mir hier ungesehen zur Seite. Wie hast du die Nacht durch
Unsers lieben Johannes unschuldige Seele bewachet?
Was für Gedanken, die deinen Gedanken, o Raphael, glichen,
Hatte sie? Wo ist er itzt? Jch bewacht ihn, sagte der Seraph,
Wie man die Erstlinge deiner Erwählten, o Mittler, bewachet.
Seinen eröffneten Geist umschatteten heilige Träume,
Träume von dir. O hättest du ihn da schlummern gesehen,
Als er dich, Göttlicher, sah! Ein heiliges Frühlingslächeln
Füllte sein Antlitz. Dein Seraph hat auch in Edens Gefilden
Adam gesehn, da er schlief, und das Bild der werdenden Eva
Und des bauenden Schöpfers vor seine Gedanken herabkam.
Aber so schön war er nicht, wie dein göttlicher Jünger Johannes.
Doch itzt ist er dort unten in traurigen nächtlichen Gräbern,
Und klagt einen besessenen Mann, der im Staube der Todten
Fürchterlich bleich, wie ein bebend Gerippe, hin ausgestreckt lieget.
Jesus,

Der Meßias.

Fern in der Tiefe. Wie mitten in heiligen Einſiedleyen,
Jn zukuͤnftige Folgen vertieft, prophetiſche Weiſen
Dich, von fern ſanftwandelnde Stimme des Ewigen, hoͤren.
Jeſus gieng den Oelberg hinab. An der Mitte des Oelbergs
Stand ein Palmbaum auf niedrigen Huͤgeln vor allen erhaben,
Von leichtſchimmernden Wolken des Morgennebels umfloſſen.
Unter dem Palmbaum vernahm der Meßias den Schutzgeiſt Johannes,
Raphael iſt ſein Name, der ihn hier betend verehrte.
Liebliche Winde zerfloſſen vom Palmbaum, und trugen die Stimme
Die ſonſt keine Geſchoͤpfe nicht hoͤrten, zum Mittler hernieder.

Raphael komm, rief ihm der Meßias mit freundlichem Anblick,
Wandle mir hier ungeſehen zur Seite. Wie haſt du die Nacht durch
Unſers lieben Johannes unſchuldige Seele bewachet?
Was fuͤr Gedanken, die deinen Gedanken, o Raphael, glichen,
Hatte ſie? Wo iſt er itzt? Jch bewacht ihn, ſagte der Seraph,
Wie man die Erſtlinge deiner Erwaͤhlten, o Mittler, bewachet.
Seinen eroͤffneten Geiſt umſchatteten heilige Traͤume,
Traͤume von dir. O haͤtteſt du ihn da ſchlummern geſehen,
Als er dich, Goͤttlicher, ſah! Ein heiliges Fruͤhlingslaͤcheln
Fuͤllte ſein Antlitz. Dein Seraph hat auch in Edens Gefilden
Adam geſehn, da er ſchlief, und das Bild der werdenden Eva
Und des bauenden Schoͤpfers vor ſeine Gedanken herabkam.
Aber ſo ſchoͤn war er nicht, wie dein goͤttlicher Juͤnger Johannes.
Doch itzt iſt er dort unten in traurigen naͤchtlichen Graͤbern,
Und klagt einen beſeſſenen Mann, der im Staube der Todten
Fuͤrchterlich bleich, wie ein bebend Gerippe, hin ausgeſtreckt lieget.
Jeſus,
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[36/0048] Der Meßias. Fern in der Tiefe. Wie mitten in heiligen Einſiedleyen, Jn zukuͤnftige Folgen vertieft, prophetiſche Weiſen Dich, von fern ſanftwandelnde Stimme des Ewigen, hoͤren. Jeſus gieng den Oelberg hinab. An der Mitte des Oelbergs Stand ein Palmbaum auf niedrigen Huͤgeln vor allen erhaben, Von leichtſchimmernden Wolken des Morgennebels umfloſſen. Unter dem Palmbaum vernahm der Meßias den Schutzgeiſt Johannes, Raphael iſt ſein Name, der ihn hier betend verehrte. Liebliche Winde zerfloſſen vom Palmbaum, und trugen die Stimme Die ſonſt keine Geſchoͤpfe nicht hoͤrten, zum Mittler hernieder. Raphael komm, rief ihm der Meßias mit freundlichem Anblick, Wandle mir hier ungeſehen zur Seite. Wie haſt du die Nacht durch Unſers lieben Johannes unſchuldige Seele bewachet? Was fuͤr Gedanken, die deinen Gedanken, o Raphael, glichen, Hatte ſie? Wo iſt er itzt? Jch bewacht ihn, ſagte der Seraph, Wie man die Erſtlinge deiner Erwaͤhlten, o Mittler, bewachet. Seinen eroͤffneten Geiſt umſchatteten heilige Traͤume, Traͤume von dir. O haͤtteſt du ihn da ſchlummern geſehen, Als er dich, Goͤttlicher, ſah! Ein heiliges Fruͤhlingslaͤcheln Fuͤllte ſein Antlitz. Dein Seraph hat auch in Edens Gefilden Adam geſehn, da er ſchlief, und das Bild der werdenden Eva Und des bauenden Schoͤpfers vor ſeine Gedanken herabkam. Aber ſo ſchoͤn war er nicht, wie dein goͤttlicher Juͤnger Johannes. Doch itzt iſt er dort unten in traurigen naͤchtlichen Graͤbern, Und klagt einen beſeſſenen Mann, der im Staube der Todten Fuͤrchterlich bleich, wie ein bebend Gerippe, hin ausgeſtreckt lieget. Jeſus,

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/48>, abgerufen am 26.04.2024.