Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierter Gesang.

Hoch gen Himmel, sich unter der Engel Gedanken zu mischen.
Warum weckt von der Lippe der Cidli die silberne Stimme,
Warum vom Auge der mächtige Blick, mein schlagendes Herz mir
Zu Empfindungen auf, die mich allmächtig ergreifen?
Die sich rund um mich her, wie in helle Versammlungen, drängen,
Jede, gleich einer schönen That, edel, und rein, wie die Unschuld!
Warum decket der Schmerz, mit mitternächtlichem Flügel
Ewig mein Haupt; und begräbt mich hinab in die Schlummer des Todes?
Ach, dann sitz ich, und weine, hin auf mein Grabmal gebeuget,
Meinen Jammer. Mir horchet die schauernde Todesstille.
Oft will ich dann mit gewaltigem Arm den Kummer bestreiten.
Meine Seele versammelt in sich die Empfindungen alle,
Die ihr, von ihrer hohen Geburt, und Unsterblichkeit zeugen.
Sey, (so red ich sie an,) sey wieder dein, die du himmlisch,
Die du bist unsterblich erschaffen! So red ich ihr Hoheit
Und Standhaftigkeit zu. Sie aber verstummt, sich zu trösten,
Schaut auf ihre Wunden herab, und weinet, und zittert.
Warum bin ichs allein, der so ewig, ungeliebt, liebet?
Warum erhebt sich mein Herz, auch über die edelsten Herzen,
Groß und elend zu seyn? Was ist, das in mir, das noch immer,
Sie beym Namen mir nennt? Will ich ihr Gedächtniß vertilgen!
Welche Stimme Gottes ist das? Die mit heiligem Lispeln,
Und mit Harmonien, den zärtern Seelen nur hörbar,
Meinem Herzen leise gebietet, sie ewig zu lieben!
Und so will ich denn ewig dich lieben! Du seyst noch so schweigend,
Noch so verstummend vor mir! Ach, da ichs, Cidli, noch wagte,
Zitternd zu denken, du seyst mir geschaffen; wie war ich so selig!

Welchen
J 3

Vierter Geſang.

Hoch gen Himmel, ſich unter der Engel Gedanken zu miſchen.
Warum weckt von der Lippe der Cidli die ſilberne Stimme,
Warum vom Auge der maͤchtige Blick, mein ſchlagendes Herz mir
Zu Empfindungen auf, die mich allmaͤchtig ergreifen?
Die ſich rund um mich her, wie in helle Verſammlungen, draͤngen,
Jede, gleich einer ſchoͤnen That, edel, und rein, wie die Unſchuld!
Warum decket der Schmerz, mit mitternaͤchtlichem Fluͤgel
Ewig mein Haupt; und begraͤbt mich hinab in die Schlummer des Todes?
Ach, dann ſitz ich, und weine, hin auf mein Grabmal gebeuget,
Meinen Jammer. Mir horchet die ſchauernde Todesſtille.
Oft will ich dann mit gewaltigem Arm den Kummer beſtreiten.
Meine Seele verſammelt in ſich die Empfindungen alle,
Die ihr, von ihrer hohen Geburt, und Unſterblichkeit zeugen.
Sey, (ſo red ich ſie an,) ſey wieder dein, die du himmliſch,
Die du biſt unſterblich erſchaffen! So red ich ihr Hoheit
Und Standhaftigkeit zu. Sie aber verſtummt, ſich zu troͤſten,
Schaut auf ihre Wunden herab, und weinet, und zittert.
Warum bin ichs allein, der ſo ewig, ungeliebt, liebet?
Warum erhebt ſich mein Herz, auch uͤber die edelſten Herzen,
Groß und elend zu ſeyn? Was iſt, das in mir, das noch immer,
Sie beym Namen mir nennt? Will ich ihr Gedaͤchtniß vertilgen!
Welche Stimme Gottes iſt das? Die mit heiligem Lispeln,
Und mit Harmonien, den zaͤrtern Seelen nur hoͤrbar,
Meinem Herzen leiſe gebietet, ſie ewig zu lieben!
Und ſo will ich denn ewig dich lieben! Du ſeyſt noch ſo ſchweigend,
Noch ſo verſtummend vor mir! Ach, da ichs, Cidli, noch wagte,
Zitternd zu denken, du ſeyſt mir geſchaffen; wie war ich ſo ſelig!

Welchen
J 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="4">
              <l>
                <pb facs="#f0145" n="133"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vierter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Hoch gen Himmel, &#x017F;ich unter der Engel Gedanken zu mi&#x017F;chen.</l><lb/>
              <l>Warum weckt von der Lippe der Cidli die &#x017F;ilberne Stimme,</l><lb/>
              <l>Warum vom Auge der ma&#x0364;chtige Blick, mein &#x017F;chlagendes Herz mir</l><lb/>
              <l>Zu Empfindungen auf, die mich allma&#x0364;chtig ergreifen?</l><lb/>
              <l>Die &#x017F;ich rund um mich her, wie in helle Ver&#x017F;ammlungen, dra&#x0364;ngen,</l><lb/>
              <l>Jede, gleich einer &#x017F;cho&#x0364;nen That, edel, und rein, wie die Un&#x017F;chuld!</l><lb/>
              <l>Warum decket der Schmerz, mit mitterna&#x0364;chtlichem Flu&#x0364;gel</l><lb/>
              <l>Ewig mein Haupt; und begra&#x0364;bt mich hinab in die Schlummer des Todes?</l><lb/>
              <l>Ach, dann &#x017F;itz ich, und weine, hin auf mein Grabmal gebeuget,</l><lb/>
              <l>Meinen Jammer. Mir horchet die &#x017F;chauernde Todes&#x017F;tille.</l><lb/>
              <l>Oft will ich dann mit gewaltigem Arm den Kummer be&#x017F;treiten.</l><lb/>
              <l>Meine Seele ver&#x017F;ammelt in &#x017F;ich die Empfindungen alle,</l><lb/>
              <l>Die ihr, von ihrer hohen Geburt, und Un&#x017F;terblichkeit zeugen.</l><lb/>
              <l>Sey, (&#x017F;o red ich &#x017F;ie an,) &#x017F;ey wieder dein, die du himmli&#x017F;ch,</l><lb/>
              <l>Die du bi&#x017F;t un&#x017F;terblich er&#x017F;chaffen! So red ich ihr Hoheit</l><lb/>
              <l>Und Standhaftigkeit zu. Sie aber ver&#x017F;tummt, &#x017F;ich zu tro&#x0364;&#x017F;ten,</l><lb/>
              <l>Schaut auf ihre Wunden herab, und weinet, und zittert.</l><lb/>
              <l>Warum bin ichs allein, der &#x017F;o ewig, ungeliebt, liebet?</l><lb/>
              <l>Warum erhebt &#x017F;ich mein Herz, auch u&#x0364;ber die edel&#x017F;ten Herzen,</l><lb/>
              <l>Groß und elend zu &#x017F;eyn? Was i&#x017F;t, das in mir, das noch immer,</l><lb/>
              <l>Sie beym Namen mir nennt? Will ich ihr Geda&#x0364;chtniß vertilgen!</l><lb/>
              <l>Welche Stimme Gottes i&#x017F;t das? Die mit heiligem Lispeln,</l><lb/>
              <l>Und mit Harmonien, den za&#x0364;rtern Seelen nur ho&#x0364;rbar,</l><lb/>
              <l>Meinem Herzen lei&#x017F;e gebietet, &#x017F;ie ewig zu lieben!</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;o will ich denn ewig dich lieben! Du &#x017F;ey&#x017F;t noch &#x017F;o &#x017F;chweigend,</l><lb/>
              <l>Noch &#x017F;o ver&#x017F;tummend vor mir! Ach, da ichs, Cidli, noch wagte,</l><lb/>
              <l>Zitternd zu denken, du &#x017F;ey&#x017F;t mir ge&#x017F;chaffen; wie war ich &#x017F;o &#x017F;elig!<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Welchen</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[133/0145] Vierter Geſang. Hoch gen Himmel, ſich unter der Engel Gedanken zu miſchen. Warum weckt von der Lippe der Cidli die ſilberne Stimme, Warum vom Auge der maͤchtige Blick, mein ſchlagendes Herz mir Zu Empfindungen auf, die mich allmaͤchtig ergreifen? Die ſich rund um mich her, wie in helle Verſammlungen, draͤngen, Jede, gleich einer ſchoͤnen That, edel, und rein, wie die Unſchuld! Warum decket der Schmerz, mit mitternaͤchtlichem Fluͤgel Ewig mein Haupt; und begraͤbt mich hinab in die Schlummer des Todes? Ach, dann ſitz ich, und weine, hin auf mein Grabmal gebeuget, Meinen Jammer. Mir horchet die ſchauernde Todesſtille. Oft will ich dann mit gewaltigem Arm den Kummer beſtreiten. Meine Seele verſammelt in ſich die Empfindungen alle, Die ihr, von ihrer hohen Geburt, und Unſterblichkeit zeugen. Sey, (ſo red ich ſie an,) ſey wieder dein, die du himmliſch, Die du biſt unſterblich erſchaffen! So red ich ihr Hoheit Und Standhaftigkeit zu. Sie aber verſtummt, ſich zu troͤſten, Schaut auf ihre Wunden herab, und weinet, und zittert. Warum bin ichs allein, der ſo ewig, ungeliebt, liebet? Warum erhebt ſich mein Herz, auch uͤber die edelſten Herzen, Groß und elend zu ſeyn? Was iſt, das in mir, das noch immer, Sie beym Namen mir nennt? Will ich ihr Gedaͤchtniß vertilgen! Welche Stimme Gottes iſt das? Die mit heiligem Lispeln, Und mit Harmonien, den zaͤrtern Seelen nur hoͤrbar, Meinem Herzen leiſe gebietet, ſie ewig zu lieben! Und ſo will ich denn ewig dich lieben! Du ſeyſt noch ſo ſchweigend, Noch ſo verſtummend vor mir! Ach, da ichs, Cidli, noch wagte, Zitternd zu denken, du ſeyſt mir geſchaffen; wie war ich ſo ſelig! Welchen J 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/145
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/145>, abgerufen am 22.11.2024.