Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite

geben, als wir nur immer können. Wir ha-
ben daher Oberküster, Unterküster, Klökner,
Thurmbläser, Klockenspieler, Organisten.
Diese lezten wissen wir genung zu beschäftigen;
aber die Cantoren, die wir auch haben, nicht.
Denn was solten wir wol singen lassen? Wir
schränken uns daher weislich auf die Jnstru-
mentalmusik ein. Unterdeß durften wir es
doch, des Aeusserlichen halben, an den Canto-
ren nicht fehlen lassen. Diese Leute haben ins-
gesamt grosse Einkünfte. (Die Cantoren essen
ihr Brodt mit Sünden; mögen sie doch!)
Aber diejenigen, die unsre Schazkammer am
meisten leeren, sind die Todtengräber. Gleich-
wol wär es auch grausam, wenn wir Leute,
die sich mit so sehr widrigen Dingen beschäfti-
gen müssen, nicht gut bezahlen wolten. Auch
der Kirchenarzt kriegt sein gutes Theil. Wen
es Wunder nimt, daß wir einen Kirchenarzt
haben, der ist noch ein Neuling. Kann denn
einem ehrlichen Manne nicht mitten in der
Kirche unvermutet eine Todesfurcht dergestalt
anwandeln, daß er der schleunigen Hülfe ei-
nes zu rechter Zeit angebrachten Aderschlages
bedarf? Der Kirchenarzt führet den Titel
Grosmächtiger. Auch unsre andern Kirchen-
diener haben gehörige Titel. Denn wir müs-
sen allen diesen Sachen ein gewisses Ansehn

geben.
A a 3

geben, als wir nur immer koͤnnen. Wir ha-
ben daher Oberkuͤſter, Unterkuͤſter, Kloͤkner,
Thurmblaͤſer, Klockenſpieler, Organiſten.
Dieſe lezten wiſſen wir genung zu beſchaͤftigen;
aber die Cantoren, die wir auch haben, nicht.
Denn was ſolten wir wol ſingen laſſen? Wir
ſchraͤnken uns daher weislich auf die Jnſtru-
mentalmuſik ein. Unterdeß durften wir es
doch, des Aeuſſerlichen halben, an den Canto-
ren nicht fehlen laſſen. Dieſe Leute haben ins-
geſamt groſſe Einkuͤnfte. (Die Cantoren eſſen
ihr Brodt mit Suͤnden; moͤgen ſie doch!)
Aber diejenigen, die unſre Schazkammer am
meiſten leeren, ſind die Todtengraͤber. Gleich-
wol waͤr es auch grauſam, wenn wir Leute,
die ſich mit ſo ſehr widrigen Dingen beſchaͤfti-
gen muͤſſen, nicht gut bezahlen wolten. Auch
der Kirchenarzt kriegt ſein gutes Theil. Wen
es Wunder nimt, daß wir einen Kirchenarzt
haben, der iſt noch ein Neuling. Kann denn
einem ehrlichen Manne nicht mitten in der
Kirche unvermutet eine Todesfurcht dergeſtalt
anwandeln, daß er der ſchleunigen Huͤlfe ei-
nes zu rechter Zeit angebrachten Aderſchlages
bedarf? Der Kirchenarzt fuͤhret den Titel
Grosmaͤchtiger. Auch unſre andern Kirchen-
diener haben gehoͤrige Titel. Denn wir muͤſ-
ſen allen dieſen Sachen ein gewiſſes Anſehn

geben.
A a 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0449" n="373"/>
geben, als wir nur immer ko&#x0364;nnen. Wir ha-<lb/>
ben daher Oberku&#x0364;&#x017F;ter, Unterku&#x0364;&#x017F;ter, Klo&#x0364;kner,<lb/>
Thurmbla&#x0364;&#x017F;er, Klocken&#x017F;pieler, Organi&#x017F;ten.<lb/>
Die&#x017F;e lezten wi&#x017F;&#x017F;en wir genung zu be&#x017F;cha&#x0364;ftigen;<lb/>
aber die Cantoren, die wir auch haben, nicht.<lb/>
Denn was &#x017F;olten wir wol &#x017F;ingen la&#x017F;&#x017F;en? Wir<lb/>
&#x017F;chra&#x0364;nken uns daher weislich auf die Jn&#x017F;tru-<lb/>
mentalmu&#x017F;ik ein. Unterdeß durften wir es<lb/>
doch, des Aeu&#x017F;&#x017F;erlichen halben, an den Canto-<lb/>
ren nicht fehlen la&#x017F;&#x017F;en. Die&#x017F;e Leute haben ins-<lb/>
ge&#x017F;amt gro&#x017F;&#x017F;e Einku&#x0364;nfte. (Die Cantoren e&#x017F;&#x017F;en<lb/>
ihr Brodt mit Su&#x0364;nden; mo&#x0364;gen &#x017F;ie doch!)<lb/>
Aber diejenigen, die un&#x017F;re Schazkammer am<lb/>
mei&#x017F;ten leeren, &#x017F;ind die Todtengra&#x0364;ber. Gleich-<lb/>
wol wa&#x0364;r es auch grau&#x017F;am, wenn wir Leute,<lb/>
die &#x017F;ich mit &#x017F;o &#x017F;ehr widrigen Dingen be&#x017F;cha&#x0364;fti-<lb/>
gen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, nicht gut bezahlen wolten. Auch<lb/>
der Kirchenarzt kriegt &#x017F;ein gutes Theil. Wen<lb/>
es Wunder nimt, daß wir einen Kirchenarzt<lb/>
haben, der i&#x017F;t noch ein Neuling. Kann denn<lb/>
einem ehrlichen Manne nicht mitten in der<lb/>
Kirche unvermutet eine Todesfurcht derge&#x017F;talt<lb/>
anwandeln, daß er der &#x017F;chleunigen Hu&#x0364;lfe ei-<lb/>
nes zu rechter Zeit angebrachten Ader&#x017F;chlages<lb/>
bedarf? Der Kirchenarzt fu&#x0364;hret den Titel<lb/><hi rendition="#fr">Grosma&#x0364;chtiger.</hi> Auch un&#x017F;re andern Kirchen-<lb/>
diener haben geho&#x0364;rige Titel. Denn wir mu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en allen die&#x017F;en Sachen ein gewi&#x017F;&#x017F;es An&#x017F;ehn<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A a 3</fw><fw place="bottom" type="catch">geben.</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[373/0449] geben, als wir nur immer koͤnnen. Wir ha- ben daher Oberkuͤſter, Unterkuͤſter, Kloͤkner, Thurmblaͤſer, Klockenſpieler, Organiſten. Dieſe lezten wiſſen wir genung zu beſchaͤftigen; aber die Cantoren, die wir auch haben, nicht. Denn was ſolten wir wol ſingen laſſen? Wir ſchraͤnken uns daher weislich auf die Jnſtru- mentalmuſik ein. Unterdeß durften wir es doch, des Aeuſſerlichen halben, an den Canto- ren nicht fehlen laſſen. Dieſe Leute haben ins- geſamt groſſe Einkuͤnfte. (Die Cantoren eſſen ihr Brodt mit Suͤnden; moͤgen ſie doch!) Aber diejenigen, die unſre Schazkammer am meiſten leeren, ſind die Todtengraͤber. Gleich- wol waͤr es auch grauſam, wenn wir Leute, die ſich mit ſo ſehr widrigen Dingen beſchaͤfti- gen muͤſſen, nicht gut bezahlen wolten. Auch der Kirchenarzt kriegt ſein gutes Theil. Wen es Wunder nimt, daß wir einen Kirchenarzt haben, der iſt noch ein Neuling. Kann denn einem ehrlichen Manne nicht mitten in der Kirche unvermutet eine Todesfurcht dergeſtalt anwandeln, daß er der ſchleunigen Huͤlfe ei- nes zu rechter Zeit angebrachten Aderſchlages bedarf? Der Kirchenarzt fuͤhret den Titel Grosmaͤchtiger. Auch unſre andern Kirchen- diener haben gehoͤrige Titel. Denn wir muͤſ- ſen allen dieſen Sachen ein gewiſſes Anſehn geben. A a 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/449
Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/449>, abgerufen am 09.05.2024.