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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774.

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ich es nicht für überfliessig hielte, bey dem Zeit-
worte
, ausser dem Begriffe der Zeit, noch etwas
anders zu bestimmen; so würde dieses Andre dasje-
nige nicht seyn, was die lateinischen Grammatiker
und ihre Nachsprecher gewählt haben.

Ein lateinisches Kunstwort ist auch genus neu-
trum
oder keines von beiden Geschlechtern. Aber
das Wort Geschlecht kann ja hier dem Begriffe nach
gar nicht mehr statt finden. Jch habe daher die
Hauptwörter in mänliche, weibliche, und geschlecht-
lose
abgetheilt.

Wer diese Kunstwörter den deutschen vorzöge,
müste, ausser den angeführten, noch viele die ihnen
ähnlich sind, lernen. Dazu komt nun noch, daß
eine deutsche Grammatik, in welcher die fremden
Kunstwörter gebraucht würden, dennoch nicht ganz
ohne deutsche seyn könte. Denn fürs erste haben
diese alten Grammatiker verschiednes nicht unter-
sucht, was sie hatten untersuchen sollen; man müste
also noch einige Kunstwörter mehr haben, als man
bey ihnen antrift: fürs zweyte erfodert das Eigen-
thümliche unsrer Sprache einige, die in den latei-
nischen Grammatiken nicht vorkommen konten. Also
lateinische und deutsche Kunstwörter durch einander,
ein Gemisch, das mir wenigstens sehr widrig vor-
komt. Jch hoffe, daß ich die, für welche ich schrei-
be, auf meiner Seite habe. Diejenigen, denen die
fremden Kunstwörter durch lange Angewönung ge-
läufig sind, können von dieser Sache nicht unpar-
theyisch urtheilen, wenn sie sich nicht an die Stelle
derer sezen, welche diese Kunstwörter nun erst in
spatern Jahren, und ohne die geringste Kentnis des
Lateins, viel mühsamer lernen müsten, als sie die-
selben in früheren, mit dem Lateine zugleich, gelernt

haben.
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ich es nicht fuͤr uͤberflieſſig hielte, bey dem Zeit-
worte
, auſſer dem Begriffe der Zeit, noch etwas
anders zu beſtimmen; ſo wuͤrde dieſes Andre dasje-
nige nicht ſeyn, was die lateiniſchen Grammatiker
und ihre Nachſprecher gewaͤhlt haben.

Ein lateiniſches Kunſtwort iſt auch genus neu-
trum
oder keines von beiden Geſchlechtern. Aber
das Wort Geſchlecht kann ja hier dem Begriffe nach
gar nicht mehr ſtatt finden. Jch habe daher die
Hauptwoͤrter in maͤnliche, weibliche, und geſchlecht-
loſe
abgetheilt.

Wer dieſe Kunſtwoͤrter den deutſchen vorzoͤge,
muͤſte, auſſer den angefuͤhrten, noch viele die ihnen
aͤhnlich ſind, lernen. Dazu komt nun noch, daß
eine deutſche Grammatik, in welcher die fremden
Kunſtwoͤrter gebraucht wuͤrden, dennoch nicht ganz
ohne deutſche ſeyn koͤnte. Denn fuͤrs erſte haben
dieſe alten Grammatiker verſchiednes nicht unter-
ſucht, was ſie hatten unterſuchen ſollen; man muͤſte
alſo noch einige Kunſtwoͤrter mehr haben, als man
bey ihnen antrift: fuͤrs zweyte erfodert das Eigen-
thuͤmliche unſrer Sprache einige, die in den latei-
niſchen Grammatiken nicht vorkommen konten. Alſo
lateiniſche und deutſche Kunſtwoͤrter durch einander,
ein Gemiſch, das mir wenigſtens ſehr widrig vor-
komt. Jch hoffe, daß ich die, fuͤr welche ich ſchrei-
be, auf meiner Seite habe. Diejenigen, denen die
fremden Kunſtwoͤrter durch lange Angewoͤnung ge-
laͤufig ſind, koͤnnen von dieſer Sache nicht unpar-
theyiſch urtheilen, wenn ſie ſich nicht an die Stelle
derer ſezen, welche dieſe Kunſtwoͤrter nun erſt in
ſpatern Jahren, und ohne die geringſte Kentnis des
Lateins, viel muͤhſamer lernen muͤſten, als ſie die-
ſelben in fruͤheren, mit dem Lateine zugleich, gelernt

haben.
P 4
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[231/0307] ich es nicht fuͤr uͤberflieſſig hielte, bey dem Zeit- worte, auſſer dem Begriffe der Zeit, noch etwas anders zu beſtimmen; ſo wuͤrde dieſes Andre dasje- nige nicht ſeyn, was die lateiniſchen Grammatiker und ihre Nachſprecher gewaͤhlt haben. Ein lateiniſches Kunſtwort iſt auch genus neu- trum oder keines von beiden Geſchlechtern. Aber das Wort Geſchlecht kann ja hier dem Begriffe nach gar nicht mehr ſtatt finden. Jch habe daher die Hauptwoͤrter in maͤnliche, weibliche, und geſchlecht- loſe abgetheilt. Wer dieſe Kunſtwoͤrter den deutſchen vorzoͤge, muͤſte, auſſer den angefuͤhrten, noch viele die ihnen aͤhnlich ſind, lernen. Dazu komt nun noch, daß eine deutſche Grammatik, in welcher die fremden Kunſtwoͤrter gebraucht wuͤrden, dennoch nicht ganz ohne deutſche ſeyn koͤnte. Denn fuͤrs erſte haben dieſe alten Grammatiker verſchiednes nicht unter- ſucht, was ſie hatten unterſuchen ſollen; man muͤſte alſo noch einige Kunſtwoͤrter mehr haben, als man bey ihnen antrift: fuͤrs zweyte erfodert das Eigen- thuͤmliche unſrer Sprache einige, die in den latei- niſchen Grammatiken nicht vorkommen konten. Alſo lateiniſche und deutſche Kunſtwoͤrter durch einander, ein Gemiſch, das mir wenigſtens ſehr widrig vor- komt. Jch hoffe, daß ich die, fuͤr welche ich ſchrei- be, auf meiner Seite habe. Diejenigen, denen die fremden Kunſtwoͤrter durch lange Angewoͤnung ge- laͤufig ſind, koͤnnen von dieſer Sache nicht unpar- theyiſch urtheilen, wenn ſie ſich nicht an die Stelle derer ſezen, welche dieſe Kunſtwoͤrter nun erſt in ſpatern Jahren, und ohne die geringſte Kentnis des Lateins, viel muͤhſamer lernen muͤſten, als ſie die- ſelben in fruͤheren, mit dem Lateine zugleich, gelernt haben. P 4

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Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/307>, abgerufen am 09.05.2024.