Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von: Asiatische Banise. 2. Aufl. Leipzig, 1700.

Bild:
<< vorherige Seite

Drittes Buch.
mit Freuden wartete/ und nichts anders vermey-
nete/ als daß Balacin ihr so erwünscht zu Hülffe
erschienen sey. Ob sie auch gleich lauter Siam-
mer um sich sahe/ welche sie der unanständigen
Pracht befreyeten/ so stund sie doch in den Ge-
dancken/ solche Völcker wären nur von dem Ba-
lacin/ ihrer Tapfferkeit wegen angenommen/
oder Nherandi habe sie ihm zu Hülffe geschicket.
Jn solcher Uberlegung näherte sich Nherandi/
und sprang/ ungeachtet der schmertzenden Wun-
de hurtig vom Pferde: welchem die Princeßin
mit offenen Armen entgegen eilte/ und ihn/ weil
die bereits eingebrochene Abend-Demmerung ihr
die eigentliche Erkäntniß verhinderte/ als einen
lieben Bruder inbrünstig/ und mit diesen Worten
küssete: Ach trautester Seelen-Bruder! so setzet
ihr mir nun die Krone von Ava noch einmal auf?
Ja/ was noch weit höher zu schätzen ist/ so schencket
ihr mir die güldene Freyheit. Jhr erlöset mich
aus feindlicher/ und bindet mich mit freundlicher
Hand dermassen/ daß ich auch mein Leben zu ei-
nem würdigen Schuld-Opffer viel zu wenig ach-
te. Doch nehmet die treuen Küsse von Schwe-
sterlichen Lippen/ als wahre Zeugen an/ daß ich
mich von einem werthen Bruder überwunden er-
kenne/ und mich in diesen angenehmen Liebes-
Fesseln/ als eine Sclavin ewiger Treue/ euch
ergebe. Nherandi merckte zwar wohl den be-
liebten Jrrthum/ iedoch weil ihm die Zucker-
Speise von ihren Lippen so wohl schmeckte/ so trug

er

Drittes Buch.
mit Freuden wartete/ und nichts anders vermey-
nete/ als daß Balacin ihr ſo erwuͤnſcht zu Huͤlffe
erſchienen ſey. Ob ſie auch gleich lauter Siam-
mer um ſich ſahe/ welche ſie der unanſtaͤndigen
Pracht befreyeten/ ſo ſtund ſie doch in den Ge-
dancken/ ſolche Voͤlcker waͤren nur von dem Ba-
lacin/ ihrer Tapfferkeit wegen angenommen/
oder Nherandi habe ſie ihm zu Huͤlffe geſchicket.
Jn ſolcher Uberlegung naͤherte ſich Nherandi/
und ſprang/ ungeachtet der ſchmertzenden Wun-
de hurtig vom Pferde: welchem die Princeßin
mit offenen Armen entgegen eilte/ und ihn/ weil
die bereits eingebrochene Abend-Demmerung ihr
die eigentliche Erkaͤntniß verhinderte/ als einen
lieben Bruder inbruͤnſtig/ und mit dieſen Worten
kuͤſſete: Ach trauteſter Seelen-Bruder! ſo ſetzet
ihr mir nun die Krone von Ava noch einmal auf?
Ja/ was noch weit hoͤher zu ſchaͤtzen iſt/ ſo ſchencket
ihr mir die guͤldene Freyheit. Jhr erloͤſet mich
aus feindlicher/ und bindet mich mit freundlicher
Hand dermaſſen/ daß ich auch mein Leben zu ei-
nem wuͤrdigen Schuld-Opffer viel zu wenig ach-
te. Doch nehmet die treuen Kuͤſſe von Schwe-
ſterlichen Lippen/ als wahre Zeugen an/ daß ich
mich von einem werthen Bruder uͤberwunden er-
kenne/ und mich in dieſen angenehmen Liebes-
Feſſeln/ als eine Sclavin ewiger Treue/ euch
ergebe. Nherandi merckte zwar wohl den be-
liebten Jrrthum/ iedoch weil ihm die Zucker-
Speiſe von ihren Lippen ſo wohl ſchmeckte/ ſo trug

er
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0659" n="639"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Drittes Buch.</hi></fw><lb/>
mit Freuden wartete/ und nichts anders vermey-<lb/>
nete/ als daß Balacin ihr &#x017F;o erwu&#x0364;n&#x017F;cht zu Hu&#x0364;lffe<lb/>
er&#x017F;chienen &#x017F;ey. Ob &#x017F;ie auch gleich lauter Siam-<lb/>
mer um &#x017F;ich &#x017F;ahe/ welche &#x017F;ie der unan&#x017F;ta&#x0364;ndigen<lb/>
Pracht befreyeten/ &#x017F;o &#x017F;tund &#x017F;ie doch in den Ge-<lb/>
dancken/ &#x017F;olche Vo&#x0364;lcker wa&#x0364;ren nur von dem Ba-<lb/>
lacin/ ihrer Tapfferkeit wegen angenommen/<lb/>
oder Nherandi habe &#x017F;ie ihm zu Hu&#x0364;lffe ge&#x017F;chicket.<lb/>
Jn &#x017F;olcher Uberlegung na&#x0364;herte &#x017F;ich Nherandi/<lb/>
und &#x017F;prang/ ungeachtet der &#x017F;chmertzenden Wun-<lb/>
de hurtig vom Pferde: welchem die Princeßin<lb/>
mit offenen Armen entgegen eilte/ und ihn/ weil<lb/>
die bereits eingebrochene Abend-Demmerung ihr<lb/>
die eigentliche Erka&#x0364;ntniß verhinderte/ als einen<lb/>
lieben Bruder inbru&#x0364;n&#x017F;tig/ und mit die&#x017F;en Worten<lb/>
ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;ete: Ach traute&#x017F;ter Seelen-Bruder! &#x017F;o &#x017F;etzet<lb/>
ihr mir nun die Krone von Ava noch einmal auf?<lb/>
Ja/ was noch weit ho&#x0364;her zu &#x017F;cha&#x0364;tzen i&#x017F;t/ &#x017F;o &#x017F;chencket<lb/>
ihr mir die gu&#x0364;ldene Freyheit. Jhr erlo&#x0364;&#x017F;et mich<lb/>
aus feindlicher/ und bindet mich mit freundlicher<lb/>
Hand derma&#x017F;&#x017F;en/ daß ich auch mein Leben zu ei-<lb/>
nem wu&#x0364;rdigen Schuld-Opffer viel zu wenig ach-<lb/>
te. Doch nehmet die treuen Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;e von Schwe-<lb/>
&#x017F;terlichen Lippen/ als wahre Zeugen an/ daß ich<lb/>
mich von einem werthen Bruder u&#x0364;berwunden er-<lb/>
kenne/ und mich in die&#x017F;en angenehmen Liebes-<lb/>
Fe&#x017F;&#x017F;eln/ als eine Sclavin ewiger Treue/ euch<lb/>
ergebe. Nherandi merckte zwar wohl den be-<lb/>
liebten Jrrthum/ iedoch weil ihm die Zucker-<lb/>
Spei&#x017F;e von ihren Lippen &#x017F;o wohl &#x017F;chmeckte/ &#x017F;o trug<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">er</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[639/0659] Drittes Buch. mit Freuden wartete/ und nichts anders vermey- nete/ als daß Balacin ihr ſo erwuͤnſcht zu Huͤlffe erſchienen ſey. Ob ſie auch gleich lauter Siam- mer um ſich ſahe/ welche ſie der unanſtaͤndigen Pracht befreyeten/ ſo ſtund ſie doch in den Ge- dancken/ ſolche Voͤlcker waͤren nur von dem Ba- lacin/ ihrer Tapfferkeit wegen angenommen/ oder Nherandi habe ſie ihm zu Huͤlffe geſchicket. Jn ſolcher Uberlegung naͤherte ſich Nherandi/ und ſprang/ ungeachtet der ſchmertzenden Wun- de hurtig vom Pferde: welchem die Princeßin mit offenen Armen entgegen eilte/ und ihn/ weil die bereits eingebrochene Abend-Demmerung ihr die eigentliche Erkaͤntniß verhinderte/ als einen lieben Bruder inbruͤnſtig/ und mit dieſen Worten kuͤſſete: Ach trauteſter Seelen-Bruder! ſo ſetzet ihr mir nun die Krone von Ava noch einmal auf? Ja/ was noch weit hoͤher zu ſchaͤtzen iſt/ ſo ſchencket ihr mir die guͤldene Freyheit. Jhr erloͤſet mich aus feindlicher/ und bindet mich mit freundlicher Hand dermaſſen/ daß ich auch mein Leben zu ei- nem wuͤrdigen Schuld-Opffer viel zu wenig ach- te. Doch nehmet die treuen Kuͤſſe von Schwe- ſterlichen Lippen/ als wahre Zeugen an/ daß ich mich von einem werthen Bruder uͤberwunden er- kenne/ und mich in dieſen angenehmen Liebes- Feſſeln/ als eine Sclavin ewiger Treue/ euch ergebe. Nherandi merckte zwar wohl den be- liebten Jrrthum/ iedoch weil ihm die Zucker- Speiſe von ihren Lippen ſo wohl ſchmeckte/ ſo trug er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zum Zeitpunkt der Volltextdigitalisierung im Deut… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kliphausen_helikon_1689
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kliphausen_helikon_1689/659
Zitationshilfe: Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von: Asiatische Banise. 2. Aufl. Leipzig, 1700, S. 639. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kliphausen_helikon_1689/659>, abgerufen am 23.11.2024.