Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von: Asiatische Banise. 2. Aufl. Leipzig, 1700.Der Asiatischen Banise. Augen und benetzten Wangen: Ach Herr Va-ter! mein Herr! mein König! ich bitte umb der getreuesten Liebe willen/ die ich allezeit zu ihm ge- tragen/ und er gleichfalls gegen mir dessen gehor- samstes Kind hat: Er lasse sich doch gefallen/ mich also mitzunehmen/ wie ich hier in seinen Armen liege/ damit ich ihn bey diesem traurigen Gange mit einem kalten Trunck Wasser labe/ weiln mir die Welt verweigert/ auf andere Art meine schul- dige Kindes-Pflicht zu erweisen. Dieses alles ge- schahe auff dem Marckte in Anschauung vieler tausend Menschen/ inmittelst/ daß sich der Ty- ranne in etwas von diesem traurigen Anblick ent- fernet hatte/ vielleicht befürchtende/ es möchte ei- nige Wehmuth den grausamen Vorsatz besiegen. Auff vorerwehnte Trauer-Worte wolte Xemin- do der Princeßin antworten/ er vermochte aber nicht/ solches zu bewerckstelligen/ indem ihn hier- an die grosse väterliche Liebe verhinderte/ und der- massen von hertzlichem Betrübniß übernommen ward/ daß er in eine tieffe Ohnmacht fiel/ und eine geraume Zeit darinnen verharrete. Worü- ber etliche grosse Herren/ wie auch ich selbst/ weil wir zugegen waren/ dermassen beweget worden/ daß uns aus natürlichen Mitleiden die Thränen in die Augen stiegen. Aber wir wusten nicht/ daß uns das Unglück am nächstem war/ denn der Tyrann nahm solches auch von fernen in acht/ und weil wir alle aus Pegu waren/ deutete er un- sere Thränen anders aus/ und befahl/ ohn alle Gna-
Der Aſiatiſchen Baniſe. Augen und benetzten Wangen: Ach Herr Va-ter! mein Herr! mein Koͤnig! ich bitte umb der getreueſten Liebe willen/ die ich allezeit zu ihm ge- tragen/ und er gleichfalls gegen mir deſſen gehor- ſamſtes Kind hat: Er laſſe ſich doch gefallen/ mich alſo mitzunehmen/ wie ich hier in ſeinen Armen liege/ damit ich ihn bey dieſem traurigen Gange mit einem kalten Trunck Waſſer labe/ weiln mir die Welt verweigert/ auf andere Art meine ſchul- dige Kindes-Pflicht zu erweiſen. Dieſes alles ge- ſchahe auff dem Marckte in Anſchauung vieler tauſend Menſchen/ inmittelſt/ daß ſich der Ty- ranne in etwas von dieſem traurigen Anblick ent- fernet hatte/ vielleicht befuͤrchtende/ es moͤchte ei- nige Wehmuth den grauſamen Vorſatz beſiegen. Auff vorerwehnte Trauer-Worte wolte Xemin- do der Princeßin antworten/ er vermochte aber nicht/ ſolches zu bewerckſtelligen/ indem ihn hier- an die groſſe vaͤterliche Liebe verhinderte/ und der- maſſen von hertzlichem Betruͤbniß uͤbernommen ward/ daß er in eine tieffe Ohnmacht fiel/ und eine geraume Zeit darinnen verharrete. Woruͤ- ber etliche groſſe Herren/ wie auch ich ſelbſt/ weil wir zugegen waren/ dermaſſen beweget worden/ daß uns aus natuͤrlichen Mitleiden die Thraͤnen in die Augen ſtiegen. Aber wir wuſten nicht/ daß uns das Ungluͤck am naͤchſtem war/ denn der Tyrann nahm ſolches auch von fernen in acht/ und weil wir alle aus Pegu waren/ deutete er un- ſere Thraͤnen anders aus/ und befahl/ ohn alle Gna-
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Der Aſiatiſchen Baniſe.
Augen und benetzten Wangen: Ach Herr Va-
ter! mein Herr! mein Koͤnig! ich bitte umb der
getreueſten Liebe willen/ die ich allezeit zu ihm ge-
tragen/ und er gleichfalls gegen mir deſſen gehor-
ſamſtes Kind hat: Er laſſe ſich doch gefallen/ mich
alſo mitzunehmen/ wie ich hier in ſeinen Armen
liege/ damit ich ihn bey dieſem traurigen Gange
mit einem kalten Trunck Waſſer labe/ weiln mir
die Welt verweigert/ auf andere Art meine ſchul-
dige Kindes-Pflicht zu erweiſen. Dieſes alles ge-
ſchahe auff dem Marckte in Anſchauung vieler
tauſend Menſchen/ inmittelſt/ daß ſich der Ty-
ranne in etwas von dieſem traurigen Anblick ent-
fernet hatte/ vielleicht befuͤrchtende/ es moͤchte ei-
nige Wehmuth den grauſamen Vorſatz beſiegen.
Auff vorerwehnte Trauer-Worte wolte Xemin-
do der Princeßin antworten/ er vermochte aber
nicht/ ſolches zu bewerckſtelligen/ indem ihn hier-
an die groſſe vaͤterliche Liebe verhinderte/ und der-
maſſen von hertzlichem Betruͤbniß uͤbernommen
ward/ daß er in eine tieffe Ohnmacht fiel/ und
eine geraume Zeit darinnen verharrete. Woruͤ-
ber etliche groſſe Herren/ wie auch ich ſelbſt/ weil
wir zugegen waren/ dermaſſen beweget worden/
daß uns aus natuͤrlichen Mitleiden die Thraͤnen
in die Augen ſtiegen. Aber wir wuſten nicht/ daß
uns das Ungluͤck am naͤchſtem war/ denn der
Tyrann nahm ſolches auch von fernen in acht/
und weil wir alle aus Pegu waren/ deutete er un-
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