Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von: Asiatische Banise. 2. Aufl. Leipzig, 1700.Erstes Buch. nechst galt es der Königin/ welche von vier Frau-en nach dem Galgen geführet ward/ daran sie mit grössester Hertzens-Qvaal ihre Kinder solte zap- peln sehen/ welches ihr weit mehr als der eigene Tod zu Hertzen gieng. Der Rolimmunay/ als ein grosser Heiliger redete ihr fleißig zu/ wie sie den Tod unerschrocken leiden solte. Jndessen foder- te sie ein wenig Wasser/ nahm es in dem Mund/ und sprützte es über ihre vier Kinder/ deren iedes sie nach einander auf die Arme nahm/ ihnen ei- nen Abschieds-Ruß nach dem andern auf den Mund druckte/ mit so inbrünstiger Bewegung/ daß einem Tyger darvon die Augen hätten über- gehen mögen. Endlich brach sie in folgende Klag- Worte heraus: Ach/ meine Kinder/ die ich aufs neue in dem Eingeweide meiner Seelen gebohren/ wie wolte ich mich so hoch beglücket achten/ wann mir erlaubet wäre/ euer Leben durch einen tau- sendfachen Tod zu erkauffen! Alsdenn würde ich alle Furcht/ darinnen ihr mich/ und ich euch sehe/ verlassen/ und von diesen grausamen Henckern den Tod so willig erwarten/ als gerne ich werde vor dem HErrn aller Dinge/ in der Ruhe seiner himmlischen wohnung erscheinen. Diß gesagt/ ließ die betrübte Königin ihre Au- die
Erſtes Buch. nechſt galt es der Koͤnigin/ welche von vier Frau-en nach dem Galgen gefuͤhret ward/ daran ſie mit groͤſſeſter Hertzens-Qvaal ihre Kinder ſolte zap- peln ſehen/ welches ihr weit mehr als der eigene Tod zu Hertzen gieng. Der Rolimmunay/ als ein groſſer Heiliger redete ihr fleißig zu/ wie ſie den Tod unerſchrocken leiden ſolte. Jndeſſen foder- te ſie ein wenig Waſſer/ nahm es in dem Mund/ und ſpruͤtzte es uͤber ihre vier Kinder/ deren iedes ſie nach einander auf die Arme nahm/ ihnen ei- nen Abſchieds-Ruß nach dem andern auf den Mund druckte/ mit ſo inbruͤnſtiger Bewegung/ daß einem Tyger darvon die Augen haͤtten uͤber- gehen moͤgen. Endlich brach ſie in folgende Klag- Worte heraus: Ach/ meine Kinder/ die ich aufs neue in dem Eingeweide meiner Seelen gebohren/ wie wolte ich mich ſo hoch begluͤcket achten/ wann mir erlaubet waͤre/ euer Leben durch einen tau- ſendfachen Tod zu erkauffen! Alsdenn wuͤrde ich alle Furcht/ darinnen ihr mich/ und ich euch ſehe/ verlaſſen/ und von dieſen grauſamen Henckern den Tod ſo willig erwarten/ als gerne ich werde vor dem HErrn aller Dinge/ in der Ruhe ſeiner himmliſchen wohnung erſcheinen. Diß geſagt/ ließ die betruͤbte Koͤnigin ihre Au- die
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Erſtes Buch.
nechſt galt es der Koͤnigin/ welche von vier Frau-
en nach dem Galgen gefuͤhret ward/ daran ſie mit
groͤſſeſter Hertzens-Qvaal ihre Kinder ſolte zap-
peln ſehen/ welches ihr weit mehr als der eigene
Tod zu Hertzen gieng. Der Rolimmunay/ als
ein groſſer Heiliger redete ihr fleißig zu/ wie ſie den
Tod unerſchrocken leiden ſolte. Jndeſſen foder-
te ſie ein wenig Waſſer/ nahm es in dem Mund/
und ſpruͤtzte es uͤber ihre vier Kinder/ deren iedes
ſie nach einander auf die Arme nahm/ ihnen ei-
nen Abſchieds-Ruß nach dem andern auf den
Mund druckte/ mit ſo inbruͤnſtiger Bewegung/
daß einem Tyger darvon die Augen haͤtten uͤber-
gehen moͤgen. Endlich brach ſie in folgende Klag-
Worte heraus: Ach/ meine Kinder/ die ich aufs
neue in dem Eingeweide meiner Seelen gebohren/
wie wolte ich mich ſo hoch begluͤcket achten/ wann
mir erlaubet waͤre/ euer Leben durch einen tau-
ſendfachen Tod zu erkauffen! Alsdenn wuͤrde ich
alle Furcht/ darinnen ihr mich/ und ich euch ſehe/
verlaſſen/ und von dieſen grauſamen Henckern
den Tod ſo willig erwarten/ als gerne ich werde
vor dem HErrn aller Dinge/ in der Ruhe ſeiner
himmliſchen wohnung erſcheinen.
Diß geſagt/ ließ die betruͤbte Koͤnigin ihre Au-
gen auf den Nachrichter ſchieſſen/ welcher allbe-
reit die zwey kleinen Printzen gebunden hatte/ und
ſagte zu ihm: Sey nicht ſo unbarmhertzig/
daß du meine Kinder vor meinen Augen um-
bringeſt. Richte mich erſt hin/ und ſchlage mir
die
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