Klinger, Friedrich Maximilian von: Die Zwillinge. Hannover, 1796. Guelfo. Hat nicht alles den Stachel zur Rache? Wenn Du den Wurm trittst, windet er sich unter Deiner Sohle, und sucht sich zu rä- chen. -- Jch haß' ihn von der Wiege, haß' ihn von der Stunde, als seine Eitelkeit über mich hinaus wollte -- ich haß' ihn von seinen ersten Stammeln. Ha! nannt' er mich nicht einst beim Spiel kleiner Guelfo! und ich schlug ihm vor die Stirne drüber! Siehst Du, wie das, was das Kind dachte, der Mann ausführte? Seine Klei- der, die er trug, haßt' ich. Trug er einen Rock von der Farbe des meinigen, zerriß ich meinen. Weil die Jungens alle meine festen Tritte gien- gen, wollt' ers auch nachmachen; aber ich zerar- beitete meine Kniee so lange, bis sie anders schrit- ten; und die Kammeraden riefen: "Guelfo, du gehst anders!" -- Mich deucht manchmal, ich hasse Kamilla, weil ich sie an seinen Lippen hän- gen sah. Und wenn ich denk', Grimaldi, was das Leben ist; wie einer, der eine vermögende Seele hat, tief bei der Erde liegt, und ein andrer mit einem schwachen, eitlen, schmeichlerischen Geist über ihn hinaus schreitet und hoch sitzt! Jch bin nur Guelfo -- ein Mensch, der wegen seiner Thaten schrecklich nnter Freunden und Feinden ist. Da ist Ferdinando, ein eitles, schwaches, elendes, püppi-
Guelfo. Hat nicht alles den Stachel zur Rache? Wenn Du den Wurm trittſt, windet er ſich unter Deiner Sohle, und ſucht ſich zu raͤ- chen. — Jch haß’ ihn von der Wiege, haß’ ihn von der Stunde, als ſeine Eitelkeit uͤber mich hinaus wollte — ich haß’ ihn von ſeinen erſten Stammeln. Ha! nannt’ er mich nicht einſt beim Spiel kleiner Guelfo! und ich ſchlug ihm vor die Stirne druͤber! Siehſt Du, wie das, was das Kind dachte, der Mann ausfuͤhrte? Seine Klei- der, die er trug, haßt’ ich. Trug er einen Rock von der Farbe des meinigen, zerriß ich meinen. Weil die Jungens alle meine feſten Tritte gien- gen, wollt’ ers auch nachmachen; aber ich zerar- beitete meine Kniee ſo lange, bis ſie anders ſchrit- ten; und die Kammeraden riefen: „Guelfo, du gehſt anders!„ — Mich deucht manchmal, ich haſſe Kamilla, weil ich ſie an ſeinen Lippen haͤn- gen ſah. Und wenn ich denk’, Grimaldi, was das Leben iſt; wie einer, der eine vermoͤgende Seele hat, tief bei der Erde liegt, und ein andrer mit einem ſchwachen, eitlen, ſchmeichleriſchen Geiſt uͤber ihn hinaus ſchreitet und hoch ſitzt! Jch bin nur Guelfo — ein Menſch, der wegen ſeiner Thaten ſchrecklich nnter Freunden und Feinden iſt. Da iſt Ferdinando, ein eitles, ſchwaches, elendes, puͤppi-
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Guelfo. Hat nicht alles den Stachel zur
Rache? Wenn Du den Wurm trittſt, windet er
ſich unter Deiner Sohle, und ſucht ſich zu raͤ-
chen. — Jch haß’ ihn von der Wiege, haß’ ihn
von der Stunde, als ſeine Eitelkeit uͤber mich
hinaus wollte — ich haß’ ihn von ſeinen erſten
Stammeln. Ha! nannt’ er mich nicht einſt beim
Spiel kleiner Guelfo! und ich ſchlug ihm vor die
Stirne druͤber! Siehſt Du, wie das, was das
Kind dachte, der Mann ausfuͤhrte? Seine Klei-
der, die er trug, haßt’ ich. Trug er einen Rock
von der Farbe des meinigen, zerriß ich meinen.
Weil die Jungens alle meine feſten Tritte gien-
gen, wollt’ ers auch nachmachen; aber ich zerar-
beitete meine Kniee ſo lange, bis ſie anders ſchrit-
ten; und die Kammeraden riefen: „Guelfo, du
gehſt anders!„ — Mich deucht manchmal, ich
haſſe Kamilla, weil ich ſie an ſeinen Lippen haͤn-
gen ſah. Und wenn ich denk’, Grimaldi, was
das Leben iſt; wie einer, der eine vermoͤgende
Seele hat, tief bei der Erde liegt, und ein andrer
mit einem ſchwachen, eitlen, ſchmeichleriſchen Geiſt
uͤber ihn hinaus ſchreitet und hoch ſitzt! Jch bin
nur Guelfo — ein Menſch, der wegen ſeiner
Thaten ſchrecklich nnter Freunden und Feinden iſt.
Da iſt Ferdinando, ein eitles, ſchwaches, elendes,
puͤppi-
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