Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

warst, hätten dich Dünkel, Stolz, Wahn
und Wollust, nicht aus der glücklichen, be-

schränk-
Der Mensch ist vermöge seines freren Wil-
lens, und seines ihm eingedrückten innern
Sinns, sein eigner Herr, Schöpfer seines
Schicksals und seiner Bestimmung. Er kann
durch seine Thaten und sein Würken, den
schönen Gang der moralischen Welt beför-
dern und stöhren, nach seiner Lage und Denk-
art oft ganze Völker, ja ganze Welttheile
glücklich oder unglücklich machen, und das gan-
ze Menschengeschlecht, vom Bettler bis zum
König, ist also, jeder nach seiner Kraft, zu-
sammengenommen, Werkmeister der sogenann-
ten moralischen Welt. Er entwickelt also nur
das einmal in ihn gelegte Streben, wie jedes
Ding der sichtbaren Welt, doch mit dem Un-
terschied, daß nur ihn sein freyer Wille, und
sein das Böse und Gute begreifender Sinn,
der Strafe und Belohnung fähig machen.
Diese Theorie greift die Vorsicht freylich nicht
an; aber doch die mittelbare Leitung und fesie
Bestimmung von oben und da sie von dem
Teufel herkommt, überdem sehr untheologisch
zu seyn scheint, und die moralische Welt so
unsichern Händen anvertraut, so laß ich sie
ohne weiteres da stehen, so vielen Glanz sie
auch auf die Moral zurückwirst. Der Leser
mache damit was er will.

warſt, haͤtten dich Duͤnkel, Stolz, Wahn
und Wolluſt, nicht aus der gluͤcklichen, be-

ſchraͤnk-
Der Menſch iſt vermoͤge ſeines freren Wil-
lens, und ſeines ihm eingedruͤckten innern
Sinns, ſein eigner Herr, Schoͤpfer ſeines
Schickſals und ſeiner Beſtimmung. Er kann
durch ſeine Thaten und ſein Wuͤrken, den
ſchoͤnen Gang der moraliſchen Welt befoͤr-
dern und ſtoͤhren, nach ſeiner Lage und Denk-
art oft ganze Voͤlker, ja ganze Welttheile
gluͤcklich oder ungluͤcklich machen, und das gan-
ze Menſchengeſchlecht, vom Bettler bis zum
Koͤnig, iſt alſo, jeder nach ſeiner Kraft, zu-
ſammengenommen, Werkmeiſter der ſogenann-
ten moraliſchen Welt. Er entwickelt alſo nur
das einmal in ihn gelegte Streben, wie jedes
Ding der ſichtbaren Welt, doch mit dem Un-
terſchied, daß nur ihn ſein freyer Wille, und
ſein das Boͤſe und Gute begreifender Sinn,
der Strafe und Belohnung faͤhig machen.
Dieſe Theorie greift die Vorſicht freylich nicht
an; aber doch die mittelbare Leitung und feſie
Beſtimmung von oben und da ſie von dem
Teufel herkommt, uͤberdem ſehr untheologiſch
zu ſeyn ſcheint, und die moraliſche Welt ſo
unſichern Haͤnden anvertraut, ſo laß ich ſie
ohne weiteres da ſtehen, ſo vielen Glanz ſie
auch auf die Moral zuruͤckwirſt. Der Leſer
mache damit was er will.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0405" n="394"/>
war&#x017F;t, ha&#x0364;tten dich Du&#x0364;nkel, Stolz, Wahn<lb/>
und Wollu&#x017F;t, nicht aus der glu&#x0364;cklichen, be-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chra&#x0364;nk-</fw><lb/><note xml:id="note-0405" prev="#note-0404" place="foot" n="*)">Der Men&#x017F;ch i&#x017F;t vermo&#x0364;ge &#x017F;eines freren Wil-<lb/>
lens, und &#x017F;eines ihm eingedru&#x0364;ckten innern<lb/>
Sinns, &#x017F;ein eigner Herr, Scho&#x0364;pfer &#x017F;eines<lb/>
Schick&#x017F;als und &#x017F;einer Be&#x017F;timmung. Er kann<lb/>
durch &#x017F;eine Thaten und &#x017F;ein Wu&#x0364;rken, den<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen Gang der morali&#x017F;chen Welt befo&#x0364;r-<lb/>
dern und &#x017F;to&#x0364;hren, nach &#x017F;einer Lage und Denk-<lb/>
art oft ganze Vo&#x0364;lker, ja ganze Welttheile<lb/>
glu&#x0364;cklich oder unglu&#x0364;cklich machen, und das gan-<lb/>
ze Men&#x017F;chenge&#x017F;chlecht, vom Bettler bis zum<lb/>
Ko&#x0364;nig, i&#x017F;t al&#x017F;o, jeder nach &#x017F;einer Kraft, zu-<lb/>
&#x017F;ammengenommen, Werkmei&#x017F;ter der &#x017F;ogenann-<lb/>
ten morali&#x017F;chen Welt. Er entwickelt al&#x017F;o nur<lb/>
das einmal in ihn gelegte Streben, wie jedes<lb/>
Ding der &#x017F;ichtbaren Welt, doch mit dem Un-<lb/>
ter&#x017F;chied, daß nur ihn &#x017F;ein freyer Wille, und<lb/>
&#x017F;ein das Bo&#x0364;&#x017F;e und Gute begreifender Sinn,<lb/>
der Strafe und Belohnung fa&#x0364;hig machen.<lb/>
Die&#x017F;e Theorie greift die Vor&#x017F;icht freylich nicht<lb/>
an; aber doch die mittelbare Leitung und fe&#x017F;ie<lb/>
Be&#x017F;timmung von oben und da &#x017F;ie von dem<lb/>
Teufel herkommt, u&#x0364;berdem &#x017F;ehr untheologi&#x017F;ch<lb/>
zu &#x017F;eyn &#x017F;cheint, und die morali&#x017F;che Welt &#x017F;o<lb/>
un&#x017F;ichern Ha&#x0364;nden anvertraut, &#x017F;o laß ich &#x017F;ie<lb/>
ohne weiteres da &#x017F;tehen, &#x017F;o vielen Glanz &#x017F;ie<lb/>
auch auf die Moral zuru&#x0364;ckwir&#x017F;t. Der Le&#x017F;er<lb/>
mache damit was er will.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[394/0405] warſt, haͤtten dich Duͤnkel, Stolz, Wahn und Wolluſt, nicht aus der gluͤcklichen, be- ſchraͤnk- *) *) Der Menſch iſt vermoͤge ſeines freren Wil- lens, und ſeines ihm eingedruͤckten innern Sinns, ſein eigner Herr, Schoͤpfer ſeines Schickſals und ſeiner Beſtimmung. Er kann durch ſeine Thaten und ſein Wuͤrken, den ſchoͤnen Gang der moraliſchen Welt befoͤr- dern und ſtoͤhren, nach ſeiner Lage und Denk- art oft ganze Voͤlker, ja ganze Welttheile gluͤcklich oder ungluͤcklich machen, und das gan- ze Menſchengeſchlecht, vom Bettler bis zum Koͤnig, iſt alſo, jeder nach ſeiner Kraft, zu- ſammengenommen, Werkmeiſter der ſogenann- ten moraliſchen Welt. Er entwickelt alſo nur das einmal in ihn gelegte Streben, wie jedes Ding der ſichtbaren Welt, doch mit dem Un- terſchied, daß nur ihn ſein freyer Wille, und ſein das Boͤſe und Gute begreifender Sinn, der Strafe und Belohnung faͤhig machen. Dieſe Theorie greift die Vorſicht freylich nicht an; aber doch die mittelbare Leitung und feſie Beſtimmung von oben und da ſie von dem Teufel herkommt, uͤberdem ſehr untheologiſch zu ſeyn ſcheint, und die moraliſche Welt ſo unſichern Haͤnden anvertraut, ſo laß ich ſie ohne weiteres da ſtehen, ſo vielen Glanz ſie auch auf die Moral zuruͤckwirſt. Der Leſer mache damit was er will.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/405
Zitationshilfe: Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/405>, abgerufen am 06.05.2024.