"oder Neigung für seine Wissenschaft, den "geräderten Mörder heilet; ich will dir nun "Naturkündiger zeigen, die um Geheimnis- "se zu erforschen, die ihr nie ergründen "werdet, ihre Brüder lebendig schinden. "Du scheinst zu zweifeln? Komm und über- "zeuge dich. Wir wollen zwey Doktoren "vorstellen."
Er führte ihn in das entlegne Haus, sie traten in das gewölbte Arbeitszimmer, das kein Tageslicht erleuchtete. Hier sahen sie die Naturkündiger einen dieser Unglückli- chen, dessen Fleisch unter ihren Händen zit- terte, und dessen aufgerißne Brust unter dem peinlichsten Schmerz sich hub, zerschnei- den, und hörten sie über ihre Entdeckungen reden und streiten, als wenn sie eine Blume zergliederten. Sie waren mit ihrem Ge- genstand so beschäftigt, daß sie den Teufel und Fausten nicht einmal wahrnahmen. Faust fühlte Zuckungen in all seinen Ner- ven, er stürzte hinaus, schlug sich vor die Stirne, und gebot dem Teufel, das Haus
über
„oder Neigung fuͤr ſeine Wiſſenſchaft, den „geraͤderten Moͤrder heilet; ich will dir nun „Naturkuͤndiger zeigen, die um Geheimniſ- „ſe zu erforſchen, die ihr nie ergruͤnden „werdet, ihre Bruͤder lebendig ſchinden. „Du ſcheinſt zu zweifeln? Komm und uͤber- „zeuge dich. Wir wollen zwey Doktoren „vorſtellen.“
Er fuͤhrte ihn in das entlegne Haus, ſie traten in das gewoͤlbte Arbeitszimmer, das kein Tageslicht erleuchtete. Hier ſahen ſie die Naturkuͤndiger einen dieſer Ungluͤckli- chen, deſſen Fleiſch unter ihren Haͤnden zit- terte, und deſſen aufgerißne Bruſt unter dem peinlichſten Schmerz ſich hub, zerſchnei- den, und hoͤrten ſie uͤber ihre Entdeckungen reden und ſtreiten, als wenn ſie eine Blume zergliederten. Sie waren mit ihrem Ge- genſtand ſo beſchaͤftigt, daß ſie den Teufel und Fauſten nicht einmal wahrnahmen. Fauſt fuͤhlte Zuckungen in all ſeinen Ner- ven, er ſtuͤrzte hinaus, ſchlug ſich vor die Stirne, und gebot dem Teufel, das Haus
uͤber
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0287"n="276"/>„oder Neigung fuͤr ſeine Wiſſenſchaft, den<lb/>„geraͤderten Moͤrder heilet; ich will dir nun<lb/>„Naturkuͤndiger zeigen, die um Geheimniſ-<lb/>„ſe zu erforſchen, die ihr nie ergruͤnden<lb/>„werdet, ihre Bruͤder lebendig ſchinden.<lb/>„Du ſcheinſt zu zweifeln? Komm und uͤber-<lb/>„zeuge dich. Wir wollen zwey Doktoren<lb/>„vorſtellen.“</p><lb/><p>Er fuͤhrte ihn in das entlegne Haus, ſie<lb/>
traten in das gewoͤlbte Arbeitszimmer, das<lb/>
kein Tageslicht erleuchtete. Hier ſahen ſie<lb/>
die Naturkuͤndiger einen dieſer Ungluͤckli-<lb/>
chen, deſſen Fleiſch unter ihren Haͤnden zit-<lb/>
terte, und deſſen aufgerißne Bruſt unter<lb/>
dem peinlichſten Schmerz ſich hub, zerſchnei-<lb/>
den, und hoͤrten ſie uͤber ihre Entdeckungen<lb/>
reden und ſtreiten, als wenn ſie eine Blume<lb/>
zergliederten. Sie waren mit ihrem Ge-<lb/>
genſtand ſo beſchaͤftigt, daß ſie den Teufel<lb/>
und Fauſten nicht einmal wahrnahmen.<lb/>
Fauſt fuͤhlte Zuckungen in all ſeinen Ner-<lb/>
ven, er ſtuͤrzte hinaus, ſchlug ſich vor die<lb/>
Stirne, und gebot dem Teufel, das Haus<lb/><fwplace="bottom"type="catch">uͤber</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[276/0287]
„oder Neigung fuͤr ſeine Wiſſenſchaft, den
„geraͤderten Moͤrder heilet; ich will dir nun
„Naturkuͤndiger zeigen, die um Geheimniſ-
„ſe zu erforſchen, die ihr nie ergruͤnden
„werdet, ihre Bruͤder lebendig ſchinden.
„Du ſcheinſt zu zweifeln? Komm und uͤber-
„zeuge dich. Wir wollen zwey Doktoren
„vorſtellen.“
Er fuͤhrte ihn in das entlegne Haus, ſie
traten in das gewoͤlbte Arbeitszimmer, das
kein Tageslicht erleuchtete. Hier ſahen ſie
die Naturkuͤndiger einen dieſer Ungluͤckli-
chen, deſſen Fleiſch unter ihren Haͤnden zit-
terte, und deſſen aufgerißne Bruſt unter
dem peinlichſten Schmerz ſich hub, zerſchnei-
den, und hoͤrten ſie uͤber ihre Entdeckungen
reden und ſtreiten, als wenn ſie eine Blume
zergliederten. Sie waren mit ihrem Ge-
genſtand ſo beſchaͤftigt, daß ſie den Teufel
und Fauſten nicht einmal wahrnahmen.
Fauſt fuͤhlte Zuckungen in all ſeinen Ner-
ven, er ſtuͤrzte hinaus, ſchlug ſich vor die
Stirne, und gebot dem Teufel, das Haus
uͤber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/287>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.