"Ach wenn ein gemeiner Mensch so eine "Stirne, so eine Nase, so einen Mund, ja "nur solch ein Haar haben kann, so stehts "schlecht mit der Physiognomik.
"Es ist vielleicht kein Mensch, den dein "Anblick nicht wechselsweise anziehe und zu- "rückstoße -- o der kindlichen Einfalt und "der Last von Heldengröße! So gekannt, "und so mißkannt werden wenige Sterbliche "seyn können.
"Adler! Löwe! Zerbrecher! Reformator "der Menschen! Steure zu, und rufe die "Sterblichen von ihrer Blindheit zurück, "theile ihnen deine Kraft mit, die Natur "hat dich zu allen dem gestempelt, was ich "dir verkündige."
Faust biß wild die Zähne zusammen, während der Mönch alle die herrlichen und erhabnen Sachen über das Angesicht des Teufels, begeistert herausstieß. Der Teu- fel wandte sich kalt zu dem Seher:
"Und was hältst du von diesem hier?
Mönch.
P 4
„Ach wenn ein gemeiner Menſch ſo eine „Stirne, ſo eine Naſe, ſo einen Mund, ja „nur ſolch ein Haar haben kann, ſo ſtehts „ſchlecht mit der Phyſiognomik.
„Es iſt vielleicht kein Menſch, den dein „Anblick nicht wechſelsweiſe anziehe und zu- „ruͤckſtoße — o der kindlichen Einfalt und „der Laſt von Heldengroͤße! So gekannt, „und ſo mißkannt werden wenige Sterbliche „ſeyn koͤnnen.
„Adler! Loͤwe! Zerbrecher! Reformator „der Menſchen! Steure zu, und rufe die „Sterblichen von ihrer Blindheit zuruͤck, „theile ihnen deine Kraft mit, die Natur „hat dich zu allen dem geſtempelt, was ich „dir verkuͤndige.“
Fauſt biß wild die Zaͤhne zuſammen, waͤhrend der Moͤnch alle die herrlichen und erhabnen Sachen uͤber das Angeſicht des Teufels, begeiſtert herausſtieß. Der Teu- fel wandte ſich kalt zu dem Seher:
„Und was haͤltſt du von dieſem hier?
Moͤnch.
P 4
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„Ach wenn ein gemeiner Menſch ſo eine
„Stirne, ſo eine Naſe, ſo einen Mund, ja
„nur ſolch ein Haar haben kann, ſo ſtehts
„ſchlecht mit der Phyſiognomik.
„Es iſt vielleicht kein Menſch, den dein
„Anblick nicht wechſelsweiſe anziehe und zu-
„ruͤckſtoße — o der kindlichen Einfalt und
„der Laſt von Heldengroͤße! So gekannt,
„und ſo mißkannt werden wenige Sterbliche
„ſeyn koͤnnen.
„Adler! Loͤwe! Zerbrecher! Reformator
„der Menſchen! Steure zu, und rufe die
„Sterblichen von ihrer Blindheit zuruͤck,
„theile ihnen deine Kraft mit, die Natur
„hat dich zu allen dem geſtempelt, was ich
„dir verkuͤndige.“
Fauſt biß wild die Zaͤhne zuſammen,
waͤhrend der Moͤnch alle die herrlichen und
erhabnen Sachen uͤber das Angeſicht des
Teufels, begeiſtert herausſtieß. Der Teu-
fel wandte ſich kalt zu dem Seher:
„Und was haͤltſt du von dieſem hier?
Moͤnch.
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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/242>, abgerufen am 22.11.2024.
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