Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

Es hat kräftige Züge und zeigt an, daß der
Mann nicht blos bei den Füssen stehen geblie-
ben, sondern ultra crepidam gegangen ist. Er
ist ein satirischer Beitrag zu den Fehlgriffen
des Genies, und macht es einleuchtend, wie
derjenige, der ein guter Hutmacher geworden
wäre, einen schlechten Schuhmacher abgeben
muß, und auch im Gegentheile, wenn man
das Beispiel auf den Kopf stellt. -- Das Lo-
kale ist ein Kreuzweg, die schwarzen Striche
sollen die Nacht anschaulich machen und das
Zikzak am Himmel einen Blitz bedeuten. Es
ist klar, ein anderer ehrlicher Mann von Hand-
werke liefe bei solchen Umgebungen davon; un-
ser Genie aber läßt sich nicht stören. Er hat
bereits aus einer Vertiefung eine schwere
Truhe gehoben; und ist auch schon darüber
aus gewesen, sein erobertes Schatzkästlein zu
öffnen. Doch, o Himmel, sein Inhalt ist
wohl nur allein für den kuriosen Liebhaber ein
Schatz zu nennen -- denn ich selbst befinde
mich leibhaft in dem Kästlein, und zwar ohne

Es hat kraͤftige Zuͤge und zeigt an, daß der
Mann nicht blos bei den Fuͤſſen ſtehen geblie-
ben, ſondern ultra crepidam gegangen iſt. Er
iſt ein ſatiriſcher Beitrag zu den Fehlgriffen
des Genies, und macht es einleuchtend, wie
derjenige, der ein guter Hutmacher geworden
waͤre, einen ſchlechten Schuhmacher abgeben
muß, und auch im Gegentheile, wenn man
das Beiſpiel auf den Kopf ſtellt. — Das Lo-
kale iſt ein Kreuzweg, die ſchwarzen Striche
ſollen die Nacht anſchaulich machen und das
Zikzak am Himmel einen Blitz bedeuten. Es
iſt klar, ein anderer ehrlicher Mann von Hand-
werke liefe bei ſolchen Umgebungen davon; un-
ſer Genie aber laͤßt ſich nicht ſtoͤren. Er hat
bereits aus einer Vertiefung eine ſchwere
Truhe gehoben; und iſt auch ſchon daruͤber
aus geweſen, ſein erobertes Schatzkaͤſtlein zu
oͤffnen. Doch, o Himmel, ſein Inhalt iſt
wohl nur allein fuͤr den kurioſen Liebhaber ein
Schatz zu nennen — denn ich ſelbſt befinde
mich leibhaft in dem Kaͤſtlein, und zwar ohne

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0048" n="46"/>
Es hat kra&#x0364;ftige Zu&#x0364;ge und zeigt an, daß der<lb/>
Mann nicht blos bei den Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;tehen geblie-<lb/>
ben, &#x017F;ondern <hi rendition="#aq">ultra crepidam</hi> gegangen i&#x017F;t. Er<lb/>
i&#x017F;t ein &#x017F;atiri&#x017F;cher Beitrag zu den Fehlgriffen<lb/>
des Genies, und macht es einleuchtend, wie<lb/>
derjenige, der ein guter Hutmacher geworden<lb/>
wa&#x0364;re, einen &#x017F;chlechten Schuhmacher abgeben<lb/>
muß, und auch im Gegentheile, wenn man<lb/>
das Bei&#x017F;piel auf den Kopf &#x017F;tellt. &#x2014; Das Lo-<lb/>
kale i&#x017F;t ein Kreuzweg, die &#x017F;chwarzen Striche<lb/>
&#x017F;ollen die Nacht an&#x017F;chaulich machen und das<lb/>
Zikzak am Himmel einen Blitz bedeuten. Es<lb/>
i&#x017F;t klar, ein anderer ehrlicher Mann von Hand-<lb/>
werke liefe bei &#x017F;olchen Umgebungen davon; un-<lb/>
&#x017F;er Genie aber la&#x0364;ßt &#x017F;ich nicht &#x017F;to&#x0364;ren. Er hat<lb/>
bereits aus einer Vertiefung eine &#x017F;chwere<lb/>
Truhe gehoben; und i&#x017F;t auch &#x017F;chon daru&#x0364;ber<lb/>
aus gewe&#x017F;en, &#x017F;ein erobertes Schatzka&#x0364;&#x017F;tlein zu<lb/>
o&#x0364;ffnen. Doch, o Himmel, &#x017F;ein Inhalt i&#x017F;t<lb/>
wohl nur allein fu&#x0364;r den kurio&#x017F;en Liebhaber ein<lb/>
Schatz zu nennen &#x2014; denn ich &#x017F;elb&#x017F;t befinde<lb/>
mich leibhaft in dem Ka&#x0364;&#x017F;tlein, und zwar ohne<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0048] Es hat kraͤftige Zuͤge und zeigt an, daß der Mann nicht blos bei den Fuͤſſen ſtehen geblie- ben, ſondern ultra crepidam gegangen iſt. Er iſt ein ſatiriſcher Beitrag zu den Fehlgriffen des Genies, und macht es einleuchtend, wie derjenige, der ein guter Hutmacher geworden waͤre, einen ſchlechten Schuhmacher abgeben muß, und auch im Gegentheile, wenn man das Beiſpiel auf den Kopf ſtellt. — Das Lo- kale iſt ein Kreuzweg, die ſchwarzen Striche ſollen die Nacht anſchaulich machen und das Zikzak am Himmel einen Blitz bedeuten. Es iſt klar, ein anderer ehrlicher Mann von Hand- werke liefe bei ſolchen Umgebungen davon; un- ſer Genie aber laͤßt ſich nicht ſtoͤren. Er hat bereits aus einer Vertiefung eine ſchwere Truhe gehoben; und iſt auch ſchon daruͤber aus geweſen, ſein erobertes Schatzkaͤſtlein zu oͤffnen. Doch, o Himmel, ſein Inhalt iſt wohl nur allein fuͤr den kurioſen Liebhaber ein Schatz zu nennen — denn ich ſelbſt befinde mich leibhaft in dem Kaͤſtlein, und zwar ohne

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/48
Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/48>, abgerufen am 21.11.2024.