Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

Wechsel. Unten in den Straßen herrschte
Todtenstille, nur hoch oben in der Luft hauste
der Sturm, wie ein unsichtbarer Geist.

Es war mir schon recht, und ich freute
mich über meinen einsam wiederhallenden Fuß-
tritt, denn ich kam mir unter den vielen Schlä-
fern vor wie der Prinz im Mährchen in der
bezauberten Stadt, wo eine böse Macht jedes
lebende Wesen in Stein verwandelt hatte;
oder wie ein einzig Uebriggebliebener nach ei-
ner allgemeinen Pest oder Sündfluth.

Der letzte Vergleich machte mich schaudern,
und ich war froh ein einzelnes mattes Lämp-
chen noch hoch oben über der Stadt auf ei-
nem freien Dachkämmerchen brennen zu
sehen.

Ich wußte wohl, wer da so hoch in den
Lüften regierte; es war ein verunglückter Poet,
der nur in der Nacht wachte, weil dann seine

Wechſel. Unten in den Straßen herrſchte
Todtenſtille, nur hoch oben in der Luft hauſte
der Sturm, wie ein unſichtbarer Geiſt.

Es war mir ſchon recht, und ich freute
mich uͤber meinen einſam wiederhallenden Fuß-
tritt, denn ich kam mir unter den vielen Schlaͤ-
fern vor wie der Prinz im Maͤhrchen in der
bezauberten Stadt, wo eine boͤſe Macht jedes
lebende Weſen in Stein verwandelt hatte;
oder wie ein einzig Uebriggebliebener nach ei-
ner allgemeinen Peſt oder Suͤndfluth.

Der letzte Vergleich machte mich ſchaudern,
und ich war froh ein einzelnes mattes Laͤmp-
chen noch hoch oben uͤber der Stadt auf ei-
nem freien Dachkaͤmmerchen brennen zu
ſehen.

Ich wußte wohl, wer da ſo hoch in den
Luͤften regierte; es war ein verungluͤckter Poet,
der nur in der Nacht wachte, weil dann ſeine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0004" n="2"/>
Wech&#x017F;el. Unten in den Straßen herr&#x017F;chte<lb/>
Todten&#x017F;tille, nur hoch oben in der Luft hau&#x017F;te<lb/>
der Sturm, wie ein un&#x017F;ichtbarer Gei&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Es war mir &#x017F;chon recht, und ich freute<lb/>
mich u&#x0364;ber meinen ein&#x017F;am wiederhallenden Fuß-<lb/>
tritt, denn ich kam mir unter den vielen Schla&#x0364;-<lb/>
fern vor wie der Prinz im Ma&#x0364;hrchen in der<lb/>
bezauberten Stadt, wo eine bo&#x0364;&#x017F;e Macht jedes<lb/>
lebende We&#x017F;en in Stein verwandelt hatte;<lb/>
oder wie ein einzig Uebriggebliebener nach ei-<lb/>
ner allgemeinen Pe&#x017F;t oder Su&#x0364;ndfluth.</p><lb/>
        <p>Der letzte Vergleich machte mich &#x017F;chaudern,<lb/>
und ich war froh ein einzelnes mattes La&#x0364;mp-<lb/>
chen noch hoch oben u&#x0364;ber der Stadt auf ei-<lb/>
nem freien Dachka&#x0364;mmerchen brennen zu<lb/>
&#x017F;ehen.</p><lb/>
        <p>Ich wußte wohl, wer da &#x017F;o hoch in den<lb/>
Lu&#x0364;ften regierte; es war ein verunglu&#x0364;ckter Poet,<lb/>
der nur in der Nacht wachte, weil dann &#x017F;eine<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0004] Wechſel. Unten in den Straßen herrſchte Todtenſtille, nur hoch oben in der Luft hauſte der Sturm, wie ein unſichtbarer Geiſt. Es war mir ſchon recht, und ich freute mich uͤber meinen einſam wiederhallenden Fuß- tritt, denn ich kam mir unter den vielen Schlaͤ- fern vor wie der Prinz im Maͤhrchen in der bezauberten Stadt, wo eine boͤſe Macht jedes lebende Weſen in Stein verwandelt hatte; oder wie ein einzig Uebriggebliebener nach ei- ner allgemeinen Peſt oder Suͤndfluth. Der letzte Vergleich machte mich ſchaudern, und ich war froh ein einzelnes mattes Laͤmp- chen noch hoch oben uͤber der Stadt auf ei- nem freien Dachkaͤmmerchen brennen zu ſehen. Ich wußte wohl, wer da ſo hoch in den Luͤften regierte; es war ein verungluͤckter Poet, der nur in der Nacht wachte, weil dann ſeine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/4
Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/4>, abgerufen am 04.10.2024.