als die Seele ist, Zeit und Mühe zu ver- schwenden.
Ich möchte einige von den Betrachtungen, die ich über mich selbst in diesem Augenblicke gemacht hatte, laut geäußert haben, denn die Zigeunerin sprach wie ein Orakel: "Es ist größer die Welt zu hassen, als sie zu lieben; wer liebt begehrt, wer haßt, ist sich selbst ge- nug, und bedarf nichts weiter als seinen Haß in der Brust und keinen dritten!"
Die Worte dienten ihr zur Parole, und ich erkannte durch sie, daß sie zu meiner Fa- milie gehöre. -- Nach einer Weile sagte sie ganz heimlich: "Ich möchte den Alten da un- ten in seinem lezten chemischen Prozesse, den er mit sich selbst anstellt, wohl noch einmal sehen; er liegt schon lange im Boden -- ob wohl noch was von ihm übrig ist? -- Wir wollen's doch anschauen!" -- Nach diesen Worten schlich sie über Schädel und Todten-
als die Seele iſt, Zeit und Muͤhe zu ver- ſchwenden.
Ich moͤchte einige von den Betrachtungen, die ich uͤber mich ſelbſt in dieſem Augenblicke gemacht hatte, laut geaͤußert haben, denn die Zigeunerin ſprach wie ein Orakel: „Es iſt groͤßer die Welt zu haſſen, als ſie zu lieben; wer liebt begehrt, wer haßt, iſt ſich ſelbſt ge- nug, und bedarf nichts weiter als ſeinen Haß in der Bruſt und keinen dritten!“
Die Worte dienten ihr zur Parole, und ich erkannte durch ſie, daß ſie zu meiner Fa- milie gehoͤre. — Nach einer Weile ſagte ſie ganz heimlich: „Ich moͤchte den Alten da un- ten in ſeinem lezten chemiſchen Prozeſſe, den er mit ſich ſelbſt anſtellt, wohl noch einmal ſehen; er liegt ſchon lange im Boden — ob wohl noch was von ihm uͤbrig iſt? — Wir wollen’s doch anſchauen!“ — Nach dieſen Worten ſchlich ſie uͤber Schaͤdel und Todten-
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als die Seele iſt, Zeit und Muͤhe zu ver-
ſchwenden.
Ich moͤchte einige von den Betrachtungen,
die ich uͤber mich ſelbſt in dieſem Augenblicke
gemacht hatte, laut geaͤußert haben, denn die
Zigeunerin ſprach wie ein Orakel: „Es iſt
groͤßer die Welt zu haſſen, als ſie zu lieben;
wer liebt begehrt, wer haßt, iſt ſich ſelbſt ge-
nug, und bedarf nichts weiter als ſeinen Haß
in der Bruſt und keinen dritten!“
Die Worte dienten ihr zur Parole, und
ich erkannte durch ſie, daß ſie zu meiner Fa-
milie gehoͤre. — Nach einer Weile ſagte ſie
ganz heimlich: „Ich moͤchte den Alten da un-
ten in ſeinem lezten chemiſchen Prozeſſe, den
er mit ſich ſelbſt anſtellt, wohl noch einmal
ſehen; er liegt ſchon lange im Boden — ob
wohl noch was von ihm uͤbrig iſt? — Wir
wollen’s doch anſchauen!“ — Nach dieſen
Worten ſchlich ſie uͤber Schaͤdel und Todten-
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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/284>, abgerufen am 18.12.2024.
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