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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

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dem ich meinen ersten Brief an dich über-
schrieb, als wir noch blos auf dem Hoftheater
uns zum Vergnügen der Zuschauer liebten,
könnte dich vielleicht täuschen, und es dir ein-
reden wollen, als ob ich noch eben so wie da-
mals an einem fingirten Wahnsinn und allen
den metaphysischen Spitzfündigkeiten, die ich
von der hohen Schule mitbrachte, laborirte. --
Aber laß dich dadurch nicht täuschen Abgott,
denn ich bin für diesesmal wirklich toll -- so
sehr liegt alles in uns selbst und ist außer uns
nichts Reelles, ja wir wissen nach der neuesten
Schule nicht, ob wir in der That auf den
Füßen, oder auf dem Kopfe stehen, außer daß
wir das erste durch uns selbst auf Treu und
Glauben angenommen haben. -- Es ist dies
ein ganz verwünschter Ernst, Ophelia, und du
sollst nicht etwa glauben, daß ich es als Per-
siflage von mir gebe. -- Ach, wie ist es alles
jetzt verändert in deinem armen Hamlet --
diese ganze Erde, die ihm sonst wie ein verö-
deter Garten voll Dornen und Disteln, wie

dem ich meinen erſten Brief an dich uͤber-
ſchrieb, als wir noch blos auf dem Hoftheater
uns zum Vergnuͤgen der Zuſchauer liebten,
koͤnnte dich vielleicht taͤuſchen, und es dir ein-
reden wollen, als ob ich noch eben ſo wie da-
mals an einem fingirten Wahnſinn und allen
den metaphyſiſchen Spitzfuͤndigkeiten, die ich
von der hohen Schule mitbrachte, laborirte. —
Aber laß dich dadurch nicht taͤuſchen Abgott,
denn ich bin fuͤr dieſesmal wirklich toll — ſo
ſehr liegt alles in uns ſelbſt und iſt außer uns
nichts Reelles, ja wir wiſſen nach der neueſten
Schule nicht, ob wir in der That auf den
Fuͤßen, oder auf dem Kopfe ſtehen, außer daß
wir das erſte durch uns ſelbſt auf Treu und
Glauben angenommen haben. — Es iſt dies
ein ganz verwuͤnſchter Ernſt, Ophelia, und du
ſollſt nicht etwa glauben, daß ich es als Per-
ſiflage von mir gebe. — Ach, wie iſt es alles
jetzt veraͤndert in deinem armen Hamlet —
dieſe ganze Erde, die ihm ſonſt wie ein veroͤ-
deter Garten voll Dornen und Diſteln, wie

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[240/0242] dem ich meinen erſten Brief an dich uͤber- ſchrieb, als wir noch blos auf dem Hoftheater uns zum Vergnuͤgen der Zuſchauer liebten, koͤnnte dich vielleicht taͤuſchen, und es dir ein- reden wollen, als ob ich noch eben ſo wie da- mals an einem fingirten Wahnſinn und allen den metaphyſiſchen Spitzfuͤndigkeiten, die ich von der hohen Schule mitbrachte, laborirte. — Aber laß dich dadurch nicht taͤuſchen Abgott, denn ich bin fuͤr dieſesmal wirklich toll — ſo ſehr liegt alles in uns ſelbſt und iſt außer uns nichts Reelles, ja wir wiſſen nach der neueſten Schule nicht, ob wir in der That auf den Fuͤßen, oder auf dem Kopfe ſtehen, außer daß wir das erſte durch uns ſelbſt auf Treu und Glauben angenommen haben. — Es iſt dies ein ganz verwuͤnſchter Ernſt, Ophelia, und du ſollſt nicht etwa glauben, daß ich es als Per- ſiflage von mir gebe. — Ach, wie iſt es alles jetzt veraͤndert in deinem armen Hamlet — dieſe ganze Erde, die ihm ſonſt wie ein veroͤ- deter Garten voll Dornen und Diſteln, wie

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Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/242>, abgerufen am 05.05.2024.