und fühlte mich fast human und kleinlaut ge- gen die Welt gestimmt. Einmal meinte ich gar, sie könnte doch wohl die beste sein, und der Mensch selbst wäre etwas mehr, als das erste Thier darauf, ja er habe einigen Werth und könne vielleicht gar unsterblich sein.
Als es so weit gekommen war, gab ich mich selbst verloren, und betrieb es jetzt ganz so langweilig und alltäglich wie ein anderer Ver- liebter. Ich entsetzte mich schon nicht mehr, wenn ich versifizirte, ja ich konnte auf eine längere Zeit gerührt bleiben, und gewöhnte mich an manche Ausdrücke, die ich sonst gar nicht in den Mund genommen hätte. Jetzt ließ ich den ersten Liebesbrief vom Sta- pel laufen, den ich hier sammt dem andern Briefwechsel zur Erbauung anhänge:
Hamlet an Ophelia.
Himmlischer Abgott meiner Seele, reizer- füllteste Ophelia! Dieser Eingang zwar, mir
und fuͤhlte mich faſt human und kleinlaut ge- gen die Welt geſtimmt. Einmal meinte ich gar, ſie koͤnnte doch wohl die beſte ſein, und der Menſch ſelbſt waͤre etwas mehr, als das erſte Thier darauf, ja er habe einigen Werth und koͤnne vielleicht gar unſterblich ſein.
Als es ſo weit gekommen war, gab ich mich ſelbſt verloren, und betrieb es jetzt ganz ſo langweilig und alltaͤglich wie ein anderer Ver- liebter. Ich entſetzte mich ſchon nicht mehr, wenn ich verſifizirte, ja ich konnte auf eine laͤngere Zeit geruͤhrt bleiben, und gewoͤhnte mich an manche Ausdruͤcke, die ich ſonſt gar nicht in den Mund genommen haͤtte. Jetzt ließ ich den erſten Liebesbrief vom Sta- pel laufen, den ich hier ſammt dem andern Briefwechſel zur Erbauung anhaͤnge:
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0241"n="239"/>
und fuͤhlte mich faſt human und kleinlaut ge-<lb/>
gen die Welt geſtimmt. Einmal meinte ich<lb/>
gar, ſie koͤnnte doch wohl die beſte ſein, und<lb/>
der Menſch ſelbſt waͤre etwas mehr, als das<lb/>
erſte Thier darauf, ja er habe einigen Werth<lb/>
und koͤnne vielleicht gar unſterblich ſein.</p><lb/><p>Als es ſo weit gekommen war, gab ich mich<lb/>ſelbſt verloren, und betrieb es jetzt ganz ſo<lb/>
langweilig und alltaͤglich wie ein anderer Ver-<lb/>
liebter. Ich entſetzte mich ſchon nicht mehr,<lb/>
wenn ich verſifizirte, ja ich konnte auf eine<lb/>
laͤngere Zeit geruͤhrt bleiben, und gewoͤhnte<lb/>
mich an manche Ausdruͤcke, die ich ſonſt gar<lb/>
nicht in den Mund genommen haͤtte. Jetzt<lb/>
ließ ich den erſten Liebesbrief vom Sta-<lb/>
pel laufen, den ich hier ſammt dem andern<lb/>
Briefwechſel zur Erbauung anhaͤnge: </p><lb/><p><hirendition="#c"><hirendition="#g">Hamlet an Ophelia.</hi></hi></p><lb/><p>Himmliſcher Abgott meiner Seele, reizer-<lb/>
fuͤllteſte Ophelia! Dieſer Eingang zwar, mir<lb/></p></div></body></text></TEI>
[239/0241]
und fuͤhlte mich faſt human und kleinlaut ge-
gen die Welt geſtimmt. Einmal meinte ich
gar, ſie koͤnnte doch wohl die beſte ſein, und
der Menſch ſelbſt waͤre etwas mehr, als das
erſte Thier darauf, ja er habe einigen Werth
und koͤnne vielleicht gar unſterblich ſein.
Als es ſo weit gekommen war, gab ich mich
ſelbſt verloren, und betrieb es jetzt ganz ſo
langweilig und alltaͤglich wie ein anderer Ver-
liebter. Ich entſetzte mich ſchon nicht mehr,
wenn ich verſifizirte, ja ich konnte auf eine
laͤngere Zeit geruͤhrt bleiben, und gewoͤhnte
mich an manche Ausdruͤcke, die ich ſonſt gar
nicht in den Mund genommen haͤtte. Jetzt
ließ ich den erſten Liebesbrief vom Sta-
pel laufen, den ich hier ſammt dem andern
Briefwechſel zur Erbauung anhaͤnge:
Hamlet an Ophelia.
Himmliſcher Abgott meiner Seele, reizer-
fuͤllteſte Ophelia! Dieſer Eingang zwar, mir
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/241>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.