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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

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unsere moderne Kunstreligion betet in Kriti-
ken, und hat die Andacht im Kopfe, wie ächt
Religiöse im Herzen.

Ach, man soll die alten Götter wieder be-
graben! Küssen Sie den Hintern, junger Mann,
küssen Sie, und damit gut!

Auf der andern Seite, Freund, wollen Sie
nicht mehr anbeten, so sollen Sie auch nicht
weiter auf Kosten der Natur bewundern; denn
der Menschwerdung dieser Götter widersetze ich
mich standhaft. Sie haben die Wahl; entwe-
der beten, oder begraben! --

Nicht so aufgeschaut, Lieber! Führen Sie
die Natur, die ächte meine ich, wo möglich in
Person einmal in diesen Kunstsaal, und lassen
Sie sie reden. Beim Teufel, sie wird lachen
über die komische Menschenmaske, die ihr so
abgeschmackt wie der Popanz in Horazens
Briefe an die Pisonen erscheinen muß.

Lassen Sie sie sprechen, ob sie jemals zu
dieser Zehe diese Nase, zu diesem Munde jene
Stirn, zu dieser Hand jenen Hintern wirklich

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unſere moderne Kunſtreligion betet in Kriti-
ken, und hat die Andacht im Kopfe, wie aͤcht
Religioͤſe im Herzen.

Ach, man ſoll die alten Goͤtter wieder be-
graben! Kuͤſſen Sie den Hintern, junger Mann,
kuͤſſen Sie, und damit gut!

Auf der andern Seite, Freund, wollen Sie
nicht mehr anbeten, ſo ſollen Sie auch nicht
weiter auf Koſten der Natur bewundern; denn
der Menſchwerdung dieſer Goͤtter widerſetze ich
mich ſtandhaft. Sie haben die Wahl; entwe-
der beten, oder begraben! —

Nicht ſo aufgeſchaut, Lieber! Fuͤhren Sie
die Natur, die aͤchte meine ich, wo moͤglich in
Perſon einmal in dieſen Kunſtſaal, und laſſen
Sie ſie reden. Beim Teufel, ſie wird lachen
uͤber die komiſche Menſchenmaske, die ihr ſo
abgeſchmackt wie der Popanz in Horazens
Briefe an die Piſonen erſcheinen muß.

Laſſen Sie ſie ſprechen, ob ſie jemals zu
dieſer Zehe dieſe Naſe, zu dieſem Munde jene
Stirn, zu dieſer Hand jenen Hintern wirklich

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[225/0227] unſere moderne Kunſtreligion betet in Kriti- ken, und hat die Andacht im Kopfe, wie aͤcht Religioͤſe im Herzen. Ach, man ſoll die alten Goͤtter wieder be- graben! Kuͤſſen Sie den Hintern, junger Mann, kuͤſſen Sie, und damit gut! Auf der andern Seite, Freund, wollen Sie nicht mehr anbeten, ſo ſollen Sie auch nicht weiter auf Koſten der Natur bewundern; denn der Menſchwerdung dieſer Goͤtter widerſetze ich mich ſtandhaft. Sie haben die Wahl; entwe- der beten, oder begraben! — Nicht ſo aufgeſchaut, Lieber! Fuͤhren Sie die Natur, die aͤchte meine ich, wo moͤglich in Perſon einmal in dieſen Kunſtſaal, und laſſen Sie ſie reden. Beim Teufel, ſie wird lachen uͤber die komiſche Menſchenmaske, die ihr ſo abgeſchmackt wie der Popanz in Horazens Briefe an die Piſonen erſcheinen muß. Laſſen Sie ſie ſprechen, ob ſie jemals zu dieſer Zehe dieſe Naſe, zu dieſem Munde jene Stirn, zu dieſer Hand jenen Hintern wirklich 15

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Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/227>, abgerufen am 24.11.2024.