Welche weise Einrichtung des Staats da- hero, die Bürger -- wie die Hunde die man zu Künstlern ausbilden will -- periodisch hun- gern zu lassen! Für eine Mahlzeit schlagen die Dichter wie die Nachtigallen, bilden die Philo- sophen Systeme, richten die Richter, heilen die Aerzte, heulen die Pfaffen, hämmern, klo- pfen, zimmern, ackern die Arbeiter, und der Staat frißt sich zur höchsten Kultur hinauf. Ja hätte der Schöpfer den Magen vergessen, behaupte ich, so läge die Welt noch so roh da wie bei der Schöpfung, und sei jezt nicht der Rede werth.
Was denken Sie nun aber von jenem Le- ben, in das Sie diese innere Seele aller Bil- dung nicht mit hinüber nehmen, und wo sie nur geistig hineindringen wollen! -- Reißen Sie sich nicht los, ich schlinge jezt erst die Schleife, wodurch ich ihr Haar wieder mit dem Zopfe verbinde! -- Freund, der Geist ohne Magen gleicht dem Bären, der träg an seinen
Welche weiſe Einrichtung des Staats da- hero, die Buͤrger — wie die Hunde die man zu Kuͤnſtlern ausbilden will — periodiſch hun- gern zu laſſen! Fuͤr eine Mahlzeit ſchlagen die Dichter wie die Nachtigallen, bilden die Philo- ſophen Syſteme, richten die Richter, heilen die Aerzte, heulen die Pfaffen, haͤmmern, klo- pfen, zimmern, ackern die Arbeiter, und der Staat frißt ſich zur hoͤchſten Kultur hinauf. Ja haͤtte der Schoͤpfer den Magen vergeſſen, behaupte ich, ſo laͤge die Welt noch ſo roh da wie bei der Schoͤpfung, und ſei jezt nicht der Rede werth.
Was denken Sie nun aber von jenem Le- ben, in das Sie dieſe innere Seele aller Bil- dung nicht mit hinuͤber nehmen, und wo ſie nur geiſtig hineindringen wollen! — Reißen Sie ſich nicht los, ich ſchlinge jezt erſt die Schleife, wodurch ich ihr Haar wieder mit dem Zopfe verbinde! — Freund, der Geiſt ohne Magen gleicht dem Baͤren, der traͤg an ſeinen
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Welche weiſe Einrichtung des Staats da-
hero, die Buͤrger — wie die Hunde die man
zu Kuͤnſtlern ausbilden will — periodiſch hun-
gern zu laſſen! Fuͤr eine Mahlzeit ſchlagen die
Dichter wie die Nachtigallen, bilden die Philo-
ſophen Syſteme, richten die Richter, heilen die
Aerzte, heulen die Pfaffen, haͤmmern, klo-
pfen, zimmern, ackern die Arbeiter, und der
Staat frißt ſich zur hoͤchſten Kultur hinauf.
Ja haͤtte der Schoͤpfer den Magen vergeſſen,
behaupte ich, ſo laͤge die Welt noch ſo roh da
wie bei der Schoͤpfung, und ſei jezt nicht der
Rede werth.
Was denken Sie nun aber von jenem Le-
ben, in das Sie dieſe innere Seele aller Bil-
dung nicht mit hinuͤber nehmen, und wo ſie
nur geiſtig hineindringen wollen! — Reißen
Sie ſich nicht los, ich ſchlinge jezt erſt die
Schleife, wodurch ich ihr Haar wieder mit dem
Zopfe verbinde! — Freund, der Geiſt ohne
Magen gleicht dem Baͤren, der traͤg an ſeinen
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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/214>, abgerufen am 24.11.2024.
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