Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

die Schmetterlinge und Insekten, die sich als
leichtsinnige Jugend von ihren Müttern trenn-
ten und doch zu ihnen zurückkehren um ihre
Milch zu trinken und an der Mutter Brust zu
schlummern und zu sterben. *) -- Aber dies
winzige Stäubchen, dem ich einen lebendigen
Athem einbließ und es Mensch nannte, ärgert
mich wohl hin und wieder mit seinem Fünk-
chen Gottheit, das ich ihm in der Uebereilung
anerschuf, und worüber es verrükt wurde.
Ich hätte es gleich einsehen sollen, daß so we-
nig Gottheit nur zum Bösen führen müsse,
denn die arme Kreatur weiß nicht mehr, wo-
hin sie sich wenden soll, und die Ahnung von
Gott, die sie in sich herumträgt, macht daß
sie sich immer tiefer verwirret, ohne jemals
damit aufs Reine zu kommen. In der einen
Sekunde, die sie das goldene Zeitalter nannte,

*) Irgend ein Naturforscher stellt die Hypothese
auf, daß die ersten Insekten nur Staubfäden
an Pflanzen waren, die sich durch ein Ohnge-
fähr von ihnen trennten.

die Schmetterlinge und Inſekten, die ſich als
leichtſinnige Jugend von ihren Muͤttern trenn-
ten und doch zu ihnen zuruͤckkehren um ihre
Milch zu trinken und an der Mutter Bruſt zu
ſchlummern und zu ſterben. *) — Aber dies
winzige Staͤubchen, dem ich einen lebendigen
Athem einbließ und es Menſch nannte, aͤrgert
mich wohl hin und wieder mit ſeinem Fuͤnk-
chen Gottheit, das ich ihm in der Uebereilung
anerſchuf, und woruͤber es verruͤkt wurde.
Ich haͤtte es gleich einſehen ſollen, daß ſo we-
nig Gottheit nur zum Boͤſen fuͤhren muͤſſe,
denn die arme Kreatur weiß nicht mehr, wo-
hin ſie ſich wenden ſoll, und die Ahnung von
Gott, die ſie in ſich herumtraͤgt, macht daß
ſie ſich immer tiefer verwirret, ohne jemals
damit aufs Reine zu kommen. In der einen
Sekunde, die ſie das goldene Zeitalter nannte,

*) Irgend ein Naturforſcher ſtellt die Hypotheſe
auf, daß die erſten Inſekten nur Staubfaͤden
an Pflanzen waren, die ſich durch ein Ohnge-
faͤhr von ihnen trennten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0164" n="162"/>
die Schmetterlinge und In&#x017F;ekten, die &#x017F;ich als<lb/>
leicht&#x017F;innige Jugend von ihren Mu&#x0364;ttern trenn-<lb/>
ten und doch zu ihnen zuru&#x0364;ckkehren um ihre<lb/>
Milch zu trinken und an der Mutter Bru&#x017F;t zu<lb/>
&#x017F;chlummern und zu &#x017F;terben. <note place="foot" n="*)">Irgend ein Naturfor&#x017F;cher &#x017F;tellt die Hypothe&#x017F;e<lb/>
auf, daß die er&#x017F;ten In&#x017F;ekten nur Staubfa&#x0364;den<lb/>
an Pflanzen waren, die &#x017F;ich durch ein Ohnge-<lb/>
fa&#x0364;hr von ihnen trennten.</note> &#x2014; Aber dies<lb/>
winzige Sta&#x0364;ubchen, dem ich einen lebendigen<lb/>
Athem einbließ und es Men&#x017F;ch nannte, a&#x0364;rgert<lb/>
mich wohl hin und wieder mit &#x017F;einem Fu&#x0364;nk-<lb/>
chen Gottheit, das ich ihm in der Uebereilung<lb/>
aner&#x017F;chuf, und woru&#x0364;ber es verru&#x0364;kt wurde.<lb/>
Ich ha&#x0364;tte es gleich ein&#x017F;ehen &#x017F;ollen, daß &#x017F;o we-<lb/>
nig Gottheit nur zum Bo&#x0364;&#x017F;en fu&#x0364;hren mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
denn die arme Kreatur weiß nicht mehr, wo-<lb/>
hin &#x017F;ie &#x017F;ich wenden &#x017F;oll, und die Ahnung von<lb/>
Gott, die &#x017F;ie in &#x017F;ich herumtra&#x0364;gt, macht daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich immer tiefer verwirret, ohne jemals<lb/>
damit aufs Reine zu kommen. In der einen<lb/>
Sekunde, die &#x017F;ie das goldene Zeitalter nannte,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0164] die Schmetterlinge und Inſekten, die ſich als leichtſinnige Jugend von ihren Muͤttern trenn- ten und doch zu ihnen zuruͤckkehren um ihre Milch zu trinken und an der Mutter Bruſt zu ſchlummern und zu ſterben. *) — Aber dies winzige Staͤubchen, dem ich einen lebendigen Athem einbließ und es Menſch nannte, aͤrgert mich wohl hin und wieder mit ſeinem Fuͤnk- chen Gottheit, das ich ihm in der Uebereilung anerſchuf, und woruͤber es verruͤkt wurde. Ich haͤtte es gleich einſehen ſollen, daß ſo we- nig Gottheit nur zum Boͤſen fuͤhren muͤſſe, denn die arme Kreatur weiß nicht mehr, wo- hin ſie ſich wenden ſoll, und die Ahnung von Gott, die ſie in ſich herumtraͤgt, macht daß ſie ſich immer tiefer verwirret, ohne jemals damit aufs Reine zu kommen. In der einen Sekunde, die ſie das goldene Zeitalter nannte, *) Irgend ein Naturforſcher ſtellt die Hypotheſe auf, daß die erſten Inſekten nur Staubfaͤden an Pflanzen waren, die ſich durch ein Ohnge- faͤhr von ihnen trennten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/164
Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/164>, abgerufen am 22.11.2024.