einem Fieber scheuen, den Ton meines Nacht- wächterhorns als ein ächtes antipoeticum em- pfehlen. Das Mittel ist wohlfeil und von gro- ßer Wichtigkeit zugleich, da man in jetziger Zeit mit Plato die Poesie für eine Wuth zu halten pflegt, mit dem einzigen Unterschiede, daß jener diese Wuth vom Himmel und nicht aus dem Narrenhause herleitete.
Mag dem indeß sein, wie ihm wolle, so bleibt es doch heut zu Tage mit der Dichterei überall bedenklich, weil es so wenig Verrückte mehr giebt, und ein solcher Ueberfluß an Ver- nünftigen vorhanden ist, daß sie aus ihren eigenen Mitteln alle Fächer und sogar die Poe- sie besetzen können. Ein rein Toller, wie ich, findet unter solchen Umständen kein Unterkom- men. Ich gehe deshalb auch nur jezt blos noch um die Poesie herum, das heißt, ich bin ein Humorist worden, wozu ich als Nacht- wächter die meiste Muse habe. --
Meinen Beruf zum Humoristen müßte ich hier freilich wohl zuvor erst darthun, allein
einem Fieber ſcheuen, den Ton meines Nacht- waͤchterhorns als ein aͤchtes antipoeticum em- pfehlen. Das Mittel iſt wohlfeil und von gro- ßer Wichtigkeit zugleich, da man in jetziger Zeit mit Plato die Poeſie fuͤr eine Wuth zu halten pflegt, mit dem einzigen Unterſchiede, daß jener dieſe Wuth vom Himmel und nicht aus dem Narrenhauſe herleitete.
Mag dem indeß ſein, wie ihm wolle, ſo bleibt es doch heut zu Tage mit der Dichterei uͤberall bedenklich, weil es ſo wenig Verruͤckte mehr giebt, und ein ſolcher Ueberfluß an Ver- nuͤnftigen vorhanden iſt, daß ſie aus ihren eigenen Mitteln alle Faͤcher und ſogar die Poe- ſie beſetzen koͤnnen. Ein rein Toller, wie ich, findet unter ſolchen Umſtaͤnden kein Unterkom- men. Ich gehe deshalb auch nur jezt blos noch um die Poeſie herum, das heißt, ich bin ein Humoriſt worden, wozu ich als Nacht- waͤchter die meiſte Muſe habe. —
Meinen Beruf zum Humoriſten muͤßte ich hier freilich wohl zuvor erſt darthun, allein
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0016"n="14"/>
einem Fieber ſcheuen, den Ton meines Nacht-<lb/>
waͤchterhorns als ein aͤchtes <hirendition="#aq">antipoeticum</hi> em-<lb/>
pfehlen. Das Mittel iſt wohlfeil und von gro-<lb/>
ßer Wichtigkeit zugleich, da man in jetziger<lb/>
Zeit mit Plato die Poeſie fuͤr eine Wuth zu<lb/>
halten pflegt, mit dem einzigen Unterſchiede,<lb/>
daß jener dieſe Wuth vom Himmel und nicht<lb/>
aus dem Narrenhauſe herleitete.</p><lb/><p>Mag dem indeß ſein, wie ihm wolle, ſo<lb/>
bleibt es doch heut zu Tage mit der Dichterei<lb/>
uͤberall bedenklich, weil es ſo wenig Verruͤckte<lb/>
mehr giebt, und ein ſolcher Ueberfluß an Ver-<lb/>
nuͤnftigen vorhanden iſt, daß ſie aus ihren<lb/>
eigenen Mitteln alle Faͤcher und ſogar die Poe-<lb/>ſie beſetzen koͤnnen. Ein rein Toller, wie ich,<lb/>
findet unter ſolchen Umſtaͤnden kein Unterkom-<lb/>
men. Ich gehe deshalb auch nur jezt blos<lb/>
noch um die Poeſie herum, das heißt, ich bin<lb/>
ein Humoriſt worden, wozu ich als Nacht-<lb/>
waͤchter die meiſte Muſe habe. —</p><lb/><p>Meinen Beruf zum Humoriſten muͤßte ich<lb/>
hier freilich wohl zuvor erſt darthun, allein<lb/></p></div></body></text></TEI>
[14/0016]
einem Fieber ſcheuen, den Ton meines Nacht-
waͤchterhorns als ein aͤchtes antipoeticum em-
pfehlen. Das Mittel iſt wohlfeil und von gro-
ßer Wichtigkeit zugleich, da man in jetziger
Zeit mit Plato die Poeſie fuͤr eine Wuth zu
halten pflegt, mit dem einzigen Unterſchiede,
daß jener dieſe Wuth vom Himmel und nicht
aus dem Narrenhauſe herleitete.
Mag dem indeß ſein, wie ihm wolle, ſo
bleibt es doch heut zu Tage mit der Dichterei
uͤberall bedenklich, weil es ſo wenig Verruͤckte
mehr giebt, und ein ſolcher Ueberfluß an Ver-
nuͤnftigen vorhanden iſt, daß ſie aus ihren
eigenen Mitteln alle Faͤcher und ſogar die Poe-
ſie beſetzen koͤnnen. Ein rein Toller, wie ich,
findet unter ſolchen Umſtaͤnden kein Unterkom-
men. Ich gehe deshalb auch nur jezt blos
noch um die Poeſie herum, das heißt, ich bin
ein Humoriſt worden, wozu ich als Nacht-
waͤchter die meiſte Muſe habe. —
Meinen Beruf zum Humoriſten muͤßte ich
hier freilich wohl zuvor erſt darthun, allein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/16>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.