und vertheile die Exemplare gratis unter die Menschen. Für jezt will ich nur etwas vom Prologe des Hanswurstes mittheilen. Der Poet entschuldigt sich in einer kurzen Vorrede darüber, daß er den Hanswurst in eine Tra- gödie einzuführen wagte, mit eigenen Worten folgendermaßen:
"Die alten Griechen hatten einen Chorus in ihren Trauerspielen angebracht, der durch die allgemeinen Betrachtungen die er anstellte, den Blick von der einzelnen schrecklichen Hand- lung abwendete und so die Gemüther besänf- tigte. Ich denke es ist mit dem Besänftigen jezt nicht an der Zeit, und man soll vielmehr heftig erzürnen und aufwiegeln, weil sonst nichts mehr anschlägt, und die Menschheit im Ganzen so schlaff und boshaft geworden ist, daß sie's ordentlicherweise mechanisch betreibt, und ihre heimlichen Sünden aus bloßer Ab- spannung vollführt. Man soll sie heftig reizen, wie einen asthenischen Kranken, und ich habe
und vertheile die Exemplare gratis unter die Menſchen. Fuͤr jezt will ich nur etwas vom Prologe des Hanswurſtes mittheilen. Der Poet entſchuldigt ſich in einer kurzen Vorrede daruͤber, daß er den Hanswurſt in eine Tra- goͤdie einzufuͤhren wagte, mit eigenen Worten folgendermaßen:
„Die alten Griechen hatten einen Chorus in ihren Trauerſpielen angebracht, der durch die allgemeinen Betrachtungen die er anſtellte, den Blick von der einzelnen ſchrecklichen Hand- lung abwendete und ſo die Gemuͤther beſaͤnf- tigte. Ich denke es iſt mit dem Beſaͤnftigen jezt nicht an der Zeit, und man ſoll vielmehr heftig erzuͤrnen und aufwiegeln, weil ſonſt nichts mehr anſchlaͤgt, und die Menſchheit im Ganzen ſo ſchlaff und boshaft geworden iſt, daß ſie’s ordentlicherweiſe mechaniſch betreibt, und ihre heimlichen Suͤnden aus bloßer Ab- ſpannung vollfuͤhrt. Man ſoll ſie heftig reizen, wie einen aſtheniſchen Kranken, und ich habe
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0145"n="143"/>
und vertheile die Exemplare gratis unter die<lb/>
Menſchen. Fuͤr jezt will ich nur etwas vom<lb/>
Prologe des Hanswurſtes mittheilen. Der<lb/>
Poet entſchuldigt ſich in einer kurzen Vorrede<lb/>
daruͤber, daß er den Hanswurſt in eine Tra-<lb/>
goͤdie einzufuͤhren wagte, mit eigenen Worten<lb/>
folgendermaßen:</p><lb/><p>„Die alten Griechen hatten einen Chorus<lb/>
in ihren Trauerſpielen angebracht, der durch<lb/>
die allgemeinen Betrachtungen die er anſtellte,<lb/>
den Blick von der einzelnen ſchrecklichen Hand-<lb/>
lung abwendete und ſo die Gemuͤther beſaͤnf-<lb/>
tigte. Ich denke es iſt mit dem Beſaͤnftigen<lb/>
jezt nicht an der Zeit, und man ſoll vielmehr<lb/>
heftig erzuͤrnen und aufwiegeln, weil ſonſt<lb/>
nichts mehr anſchlaͤgt, und die Menſchheit im<lb/>
Ganzen ſo ſchlaff und boshaft geworden iſt,<lb/>
daß ſie’s ordentlicherweiſe mechaniſch betreibt,<lb/>
und ihre heimlichen Suͤnden aus bloßer Ab-<lb/>ſpannung vollfuͤhrt. Man ſoll ſie heftig reizen,<lb/>
wie einen aſtheniſchen Kranken, und ich habe<lb/></p></div></body></text></TEI>
[143/0145]
und vertheile die Exemplare gratis unter die
Menſchen. Fuͤr jezt will ich nur etwas vom
Prologe des Hanswurſtes mittheilen. Der
Poet entſchuldigt ſich in einer kurzen Vorrede
daruͤber, daß er den Hanswurſt in eine Tra-
goͤdie einzufuͤhren wagte, mit eigenen Worten
folgendermaßen:
„Die alten Griechen hatten einen Chorus
in ihren Trauerſpielen angebracht, der durch
die allgemeinen Betrachtungen die er anſtellte,
den Blick von der einzelnen ſchrecklichen Hand-
lung abwendete und ſo die Gemuͤther beſaͤnf-
tigte. Ich denke es iſt mit dem Beſaͤnftigen
jezt nicht an der Zeit, und man ſoll vielmehr
heftig erzuͤrnen und aufwiegeln, weil ſonſt
nichts mehr anſchlaͤgt, und die Menſchheit im
Ganzen ſo ſchlaff und boshaft geworden iſt,
daß ſie’s ordentlicherweiſe mechaniſch betreibt,
und ihre heimlichen Suͤnden aus bloßer Ab-
ſpannung vollfuͤhrt. Man ſoll ſie heftig reizen,
wie einen aſtheniſchen Kranken, und ich habe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/145>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.