doch wenigstens die Schnur in den Thurm hinabwarf, an der ich in die Höhe kommen kann.
Ich denke es ist lustig droben, und eine gute freie Aussicht; besser ist's in alle Wege, selbst wenn ich nichts sehen sollte, als hier un- ten, denn ich weiß nichts mehr darum; -- aber der alte Ugolino tappte, vor Hunger blind geworden, in seinem Thurme umher, und war sich seiner Blindheit bewußt und das Leben kämpfte noch gewaltig in ihm, daß er nicht untergehen konnte.
Ach ich habe zwar, wie er, in meinem Kerker auch noch mit holden Knaben getän- delt, die ich einsam in der Nacht erzeugte und die um mich her spielten als eine blühende Jugend und goldene helle Träume; in ihnen die ich hinterlassen wollte, schloß ich mich warm an das Leben; -- aber sie haben auch sie ver- stoßen, und die hungrigen Thiere, die sie mit
doch wenigſtens die Schnur in den Thurm hinabwarf, an der ich in die Hoͤhe kommen kann.
Ich denke es iſt luſtig droben, und eine gute freie Ausſicht; beſſer iſt’s in alle Wege, ſelbſt wenn ich nichts ſehen ſollte, als hier un- ten, denn ich weiß nichts mehr darum; — aber der alte Ugolino tappte, vor Hunger blind geworden, in ſeinem Thurme umher, und war ſich ſeiner Blindheit bewußt und das Leben kaͤmpfte noch gewaltig in ihm, daß er nicht untergehen konnte.
Ach ich habe zwar, wie er, in meinem Kerker auch noch mit holden Knaben getaͤn- delt, die ich einſam in der Nacht erzeugte und die um mich her ſpielten als eine bluͤhende Jugend und goldene helle Traͤume; in ihnen die ich hinterlaſſen wollte, ſchloß ich mich warm an das Leben; — aber ſie haben auch ſie ver- ſtoßen, und die hungrigen Thiere, die ſie mit
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doch wenigſtens die Schnur in den Thurm
hinabwarf, an der ich in die Hoͤhe kommen
kann.
Ich denke es iſt luſtig droben, und eine
gute freie Ausſicht; beſſer iſt’s in alle Wege,
ſelbſt wenn ich nichts ſehen ſollte, als hier un-
ten, denn ich weiß nichts mehr darum; —
aber der alte Ugolino tappte, vor Hunger blind
geworden, in ſeinem Thurme umher, und war
ſich ſeiner Blindheit bewußt und das Leben
kaͤmpfte noch gewaltig in ihm, daß er nicht
untergehen konnte.
Ach ich habe zwar, wie er, in meinem
Kerker auch noch mit holden Knaben getaͤn-
delt, die ich einſam in der Nacht erzeugte und
die um mich her ſpielten als eine bluͤhende
Jugend und goldene helle Traͤume; in ihnen
die ich hinterlaſſen wollte, ſchloß ich mich warm
an das Leben; — aber ſie haben auch ſie ver-
ſtoßen, und die hungrigen Thiere, die ſie mit
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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/143>, abgerufen am 24.11.2024.
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