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Kleist, Heinrich von: Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe. Berlin, 1810.

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der Wüsten, am stillen Feierabend meines Lebens,
wie ein gerader Rauch von Myrrhen und Wachhol-
dern! Ein Wesen von zarterer, frommerer und liebe-
rer Art müßt ihr euch nicht denken, und kämt ihr,
auf Flügeln der Einbildung, zu den lieben, kleinen
Engeln, die, mit hellen Augen, aus den Wolken,
unter Gottes Händen und Füßen hervorgucken. Ging
sie in ihrem bürgerlichen Schmuck über die Straße,
den Strohhut auf, von gelbem Lack erglänzend, das
schwarzsammtene Leibchen, das ihre Brust umschloß,
mit feinen Silberkettlein behängt: so lief es flüsternd
von allen Fenstern herab: das ist das Käthchen von
Heilbronn; das Käthchen von Heilbronn, ihr Her-
ren, als ob der Himmel von Schwaben sie erzeugt,
und von seinem Kuß geschwängert, die Stadt, die
unter ihm liegt, sie gebohren hätte. Vettern und Basen,
mit welchen die Verwandtschaft, seit drey Menschenge-
schlechtern vergessen worden war, nannten sie, auf Kind-
taufen und Hochzeiten, ihr liebes Mühmchen, ihr liebes
Bäschen; der ganze Markt, auf dem wir wohnten, er-
schien an ihrem Namenstage, und bedrängte sich und
wetteiferte, sie zu beschenken; wer sie nur einmal, ge-
sehen und einen Gruß im Vorübergehen von ihr em-
pfangen hatte, schloß sie acht folgende Tage lang, als
ob sie ihn gebessert hätte, in sein Gebet ein. Eigen-
thümerin eines Landguts, das ihr der Großvater, mit
der Wüſten, am ſtillen Feierabend meines Lebens,
wie ein gerader Rauch von Myrrhen und Wachhol-
dern! Ein Weſen von zarterer, frommerer und liebe-
rer Art müßt ihr euch nicht denken, und kämt ihr,
auf Flügeln der Einbildung, zu den lieben, kleinen
Engeln, die, mit hellen Augen, aus den Wolken,
unter Gottes Händen und Füßen hervorgucken. Ging
ſie in ihrem bürgerlichen Schmuck über die Straße,
den Strohhut auf, von gelbem Lack erglänzend, das
ſchwarzſammtene Leibchen, das ihre Bruſt umſchloß,
mit feinen Silberkettlein behängt: ſo lief es flüſternd
von allen Fenſtern herab: das iſt das Käthchen von
Heilbronn; das Käthchen von Heilbronn, ihr Her-
ren, als ob der Himmel von Schwaben ſie erzeugt,
und von ſeinem Kuß geſchwängert, die Stadt, die
unter ihm liegt, ſie gebohren hätte. Vettern und Baſen,
mit welchen die Verwandtſchaft, ſeit drey Menſchenge-
ſchlechtern vergeſſen worden war, nannten ſie, auf Kind-
taufen und Hochzeiten, ihr liebes Mühmchen, ihr liebes
Bäschen; der ganze Markt, auf dem wir wohnten, er-
ſchien an ihrem Namenstage, und bedrängte ſich und
wetteiferte, ſie zu beſchenken; wer ſie nur einmal, ge-
ſehen und einen Gruß im Vorübergehen von ihr em-
pfangen hatte, ſchloß ſie acht folgende Tage lang, als
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[9/0015] der Wüſten, am ſtillen Feierabend meines Lebens, wie ein gerader Rauch von Myrrhen und Wachhol- dern! Ein Weſen von zarterer, frommerer und liebe- rer Art müßt ihr euch nicht denken, und kämt ihr, auf Flügeln der Einbildung, zu den lieben, kleinen Engeln, die, mit hellen Augen, aus den Wolken, unter Gottes Händen und Füßen hervorgucken. Ging ſie in ihrem bürgerlichen Schmuck über die Straße, den Strohhut auf, von gelbem Lack erglänzend, das ſchwarzſammtene Leibchen, das ihre Bruſt umſchloß, mit feinen Silberkettlein behängt: ſo lief es flüſternd von allen Fenſtern herab: das iſt das Käthchen von Heilbronn; das Käthchen von Heilbronn, ihr Her- ren, als ob der Himmel von Schwaben ſie erzeugt, und von ſeinem Kuß geſchwängert, die Stadt, die unter ihm liegt, ſie gebohren hätte. Vettern und Baſen, mit welchen die Verwandtſchaft, ſeit drey Menſchenge- ſchlechtern vergeſſen worden war, nannten ſie, auf Kind- taufen und Hochzeiten, ihr liebes Mühmchen, ihr liebes Bäschen; der ganze Markt, auf dem wir wohnten, er- ſchien an ihrem Namenstage, und bedrängte ſich und wetteiferte, ſie zu beſchenken; wer ſie nur einmal, ge- ſehen und einen Gruß im Vorübergehen von ihr em- pfangen hatte, ſchloß ſie acht folgende Tage lang, als ob ſie ihn gebeſſert hätte, in ſein Gebet ein. Eigen- thümerin eines Landguts, das ihr der Großvater, mit

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Zitationshilfe: Kleist, Heinrich von: Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe. Berlin, 1810, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_kaethchen_1810/15>, abgerufen am 21.11.2024.