Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

pkl_034.001
Maaß
festgehalten. Bei andern sahen wir, daß in pkl_034.002
dieser Beziehung dem Dichter schon ein Spielraum gelassen pkl_034.003
war, der aber immer noch seine festen Gränzen pkl_034.004
hatte. Es giebt jedoch auch Verse, bei denen der Verfasser pkl_034.005
für die Art der Silbenmischung sich gar keinem pkl_034.006
formellen Gesetze unterworfen hat. Zu welchen Gattungen pkl_034.007
die darin vorkommenden Füße gehören, ist an pkl_034.008
und für sich ganz gleichgültig, denn keine Gattung ist pkl_034.009
für diese Versart vorgeschrieben, keine ausgeschlossen, pkl_034.010
und es ist nicht einmal nöthig, daß alles sich in wirkliche pkl_034.011
Füße auflösen lasse. Gewöhnlich werden solche pkl_034.012
Verse nach einer gewissen Zahl betonter Silben, pkl_034.013
ohne alle Rücksicht auf die Zahl und Reihenfolge der pkl_034.014
tonlosen bestimmt. Man nennt sie daher auch wohl pkl_034.015
Accentverse im engern Sinne.

pkl_034.016

§. 52. Zu dieser Klasse von Versen gehören vielleicht pkl_034.017
die meisten altdeutschen und die denselben nachgebildeten pkl_034.018
Verse, z. B. der eigentliche oder ältere pkl_034.019
Nibelungenvers, den wir schon bei Gelegenheit des pkl_034.020
neuern jambischen Nibelungenverses in §. 30 besprochen pkl_034.021
haben; ferner manche englische oder den englischen pkl_034.022
nachgebildete Balladenverse, und endlich wohl pkl_034.023
die Mehrzahl der eigentlichen Volkslieder.

pkl_034.024

§. 53. Es giebt auch Verse, in denen selbst die pkl_034.025
Hebungen nicht gezählt werden, sondern bei denen pkl_034.026
das Maaß des Verses nur entweder von der logischen pkl_034.027
Abtheilung des Satzes
oder von der zufälligen pkl_034.028
Stellung des Reims abhängt. Zu dieser Gattung gehören pkl_034.029
unter anderm auch die Makamen, eine Art gereimter pkl_034.030
Prosa, welche besonders durch Rückert aus pkl_034.031
Persien nach Deutschland verpflanzt wurde.

pkl_034.001
Maaß
festgehalten. Bei andern sahen wir, daß in pkl_034.002
dieser Beziehung dem Dichter schon ein Spielraum gelassen pkl_034.003
war, der aber immer noch seine festen Gränzen pkl_034.004
hatte. Es giebt jedoch auch Verse, bei denen der Verfasser pkl_034.005
für die Art der Silbenmischung sich gar keinem pkl_034.006
formellen Gesetze unterworfen hat. Zu welchen Gattungen pkl_034.007
die darin vorkommenden Füße gehören, ist an pkl_034.008
und für sich ganz gleichgültig, denn keine Gattung ist pkl_034.009
für diese Versart vorgeschrieben, keine ausgeschlossen, pkl_034.010
und es ist nicht einmal nöthig, daß alles sich in wirkliche pkl_034.011
Füße auflösen lasse. Gewöhnlich werden solche pkl_034.012
Verse nach einer gewissen Zahl betonter Silben, pkl_034.013
ohne alle Rücksicht auf die Zahl und Reihenfolge der pkl_034.014
tonlosen bestimmt. Man nennt sie daher auch wohl pkl_034.015
Accentverse im engern Sinne.

pkl_034.016

§. 52. Zu dieser Klasse von Versen gehören vielleicht pkl_034.017
die meisten altdeutschen und die denselben nachgebildeten pkl_034.018
Verse, z. B. der eigentliche oder ältere pkl_034.019
Nibelungenvers, den wir schon bei Gelegenheit des pkl_034.020
neuern jambischen Nibelungenverses in §. 30 besprochen pkl_034.021
haben; ferner manche englische oder den englischen pkl_034.022
nachgebildete Balladenverse, und endlich wohl pkl_034.023
die Mehrzahl der eigentlichen Volkslieder.

pkl_034.024

§. 53. Es giebt auch Verse, in denen selbst die pkl_034.025
Hebungen nicht gezählt werden, sondern bei denen pkl_034.026
das Maaß des Verses nur entweder von der logischen pkl_034.027
Abtheilung des Satzes
oder von der zufälligen pkl_034.028
Stellung des Reims abhängt. Zu dieser Gattung gehören pkl_034.029
unter anderm auch die Makamen, eine Art gereimter pkl_034.030
Prosa, welche besonders durch Rückert aus pkl_034.031
Persien nach Deutschland verpflanzt wurde.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0060" n="34"/><lb n="pkl_034.001"/>
Maaß</hi> festgehalten. Bei andern sahen wir, daß in <lb n="pkl_034.002"/>
dieser Beziehung dem Dichter schon ein Spielraum gelassen <lb n="pkl_034.003"/>
war, der aber immer noch seine festen Gränzen <lb n="pkl_034.004"/>
hatte. Es giebt jedoch auch Verse, bei denen der Verfasser <lb n="pkl_034.005"/>
für die Art der Silbenmischung sich gar keinem <lb n="pkl_034.006"/>
formellen Gesetze unterworfen hat. Zu welchen Gattungen <lb n="pkl_034.007"/>
die darin vorkommenden Füße gehören, ist an <lb n="pkl_034.008"/>
und für sich ganz gleichgültig, denn keine Gattung ist <lb n="pkl_034.009"/>
für diese Versart vorgeschrieben, keine ausgeschlossen, <lb n="pkl_034.010"/>
und es ist nicht einmal nöthig, daß alles sich in wirkliche <lb n="pkl_034.011"/>
Füße auflösen lasse. Gewöhnlich werden solche <lb n="pkl_034.012"/>
Verse nach einer gewissen <hi rendition="#g">Zahl betonter</hi> Silben, <lb n="pkl_034.013"/>
ohne alle Rücksicht auf die Zahl und Reihenfolge der <lb n="pkl_034.014"/> <hi rendition="#g">tonlosen</hi> bestimmt. Man nennt sie daher auch wohl <lb n="pkl_034.015"/> <hi rendition="#g">Accentverse</hi> im engern Sinne.</p>
              <lb n="pkl_034.016"/>
              <p>  §. 52. Zu dieser Klasse von Versen gehören vielleicht <lb n="pkl_034.017"/>
die meisten altdeutschen und die denselben nachgebildeten <lb n="pkl_034.018"/>
Verse, z. B. der eigentliche oder ältere <lb n="pkl_034.019"/>
Nibelungenvers, den wir schon bei Gelegenheit des <lb n="pkl_034.020"/> <hi rendition="#g">neuern jambischen</hi> Nibelungenverses in §. 30 besprochen <lb n="pkl_034.021"/>
haben; ferner manche englische oder den englischen <lb n="pkl_034.022"/>
nachgebildete Balladenverse, und endlich wohl <lb n="pkl_034.023"/>
die Mehrzahl der eigentlichen Volkslieder.</p>
              <lb n="pkl_034.024"/>
              <p>  §. 53. Es giebt auch Verse, in denen selbst die <lb n="pkl_034.025"/> <hi rendition="#g">Hebungen</hi> nicht gezählt werden, sondern bei denen <lb n="pkl_034.026"/>
das Maaß des Verses nur entweder von der <hi rendition="#g">logischen <lb n="pkl_034.027"/>
Abtheilung des Satzes</hi> oder von der zufälligen <lb n="pkl_034.028"/>
Stellung des Reims abhängt. Zu dieser Gattung gehören <lb n="pkl_034.029"/>
unter anderm auch die <hi rendition="#g">Makamen,</hi> eine Art gereimter <lb n="pkl_034.030"/>
Prosa, welche besonders durch <hi rendition="#g">Rückert</hi> aus <lb n="pkl_034.031"/>
Persien nach Deutschland verpflanzt wurde.</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0060] pkl_034.001 Maaß festgehalten. Bei andern sahen wir, daß in pkl_034.002 dieser Beziehung dem Dichter schon ein Spielraum gelassen pkl_034.003 war, der aber immer noch seine festen Gränzen pkl_034.004 hatte. Es giebt jedoch auch Verse, bei denen der Verfasser pkl_034.005 für die Art der Silbenmischung sich gar keinem pkl_034.006 formellen Gesetze unterworfen hat. Zu welchen Gattungen pkl_034.007 die darin vorkommenden Füße gehören, ist an pkl_034.008 und für sich ganz gleichgültig, denn keine Gattung ist pkl_034.009 für diese Versart vorgeschrieben, keine ausgeschlossen, pkl_034.010 und es ist nicht einmal nöthig, daß alles sich in wirkliche pkl_034.011 Füße auflösen lasse. Gewöhnlich werden solche pkl_034.012 Verse nach einer gewissen Zahl betonter Silben, pkl_034.013 ohne alle Rücksicht auf die Zahl und Reihenfolge der pkl_034.014 tonlosen bestimmt. Man nennt sie daher auch wohl pkl_034.015 Accentverse im engern Sinne. pkl_034.016 §. 52. Zu dieser Klasse von Versen gehören vielleicht pkl_034.017 die meisten altdeutschen und die denselben nachgebildeten pkl_034.018 Verse, z. B. der eigentliche oder ältere pkl_034.019 Nibelungenvers, den wir schon bei Gelegenheit des pkl_034.020 neuern jambischen Nibelungenverses in §. 30 besprochen pkl_034.021 haben; ferner manche englische oder den englischen pkl_034.022 nachgebildete Balladenverse, und endlich wohl pkl_034.023 die Mehrzahl der eigentlichen Volkslieder. pkl_034.024 §. 53. Es giebt auch Verse, in denen selbst die pkl_034.025 Hebungen nicht gezählt werden, sondern bei denen pkl_034.026 das Maaß des Verses nur entweder von der logischen pkl_034.027 Abtheilung des Satzes oder von der zufälligen pkl_034.028 Stellung des Reims abhängt. Zu dieser Gattung gehören pkl_034.029 unter anderm auch die Makamen, eine Art gereimter pkl_034.030 Prosa, welche besonders durch Rückert aus pkl_034.031 Persien nach Deutschland verpflanzt wurde.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/60
Zitationshilfe: Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/60>, abgerufen am 27.11.2024.