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Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.

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nach Verständlichkeit; sie will belehrend auf den Verstand, pkl_003.002
oder erregend auf den Willen und das Gefühl pkl_003.003
wirken. Darum bestimmt hauptsächlich der Jnhalt pkl_003.004
des Darzustellenden die Art der Wortfolge und der pkl_003.005
Wortbewegung. Anders bei der Poesie. Jhrem pkl_003.006
Wesen gemäß verschmäht sie die Sprache des gemeinen pkl_003.007
Lebens und erscheint in besonderen Formen, die pkl_003.008
eigenen Gesetzen unterworfen sind und poetische pkl_003.009
Formen
genannt werden. Wenn poetische Produkte, pkl_003.010
wie z. B. der Roman, die Novelle, das Gewand der pkl_003.011
Prosa annehmen, wird der Ausdruck doch gewählter, pkl_003.012
die Darstellung lebendiger, bilderreicher sein, als in der pkl_003.013
Sprache des gemeinen Lebens oder in der, hauptsächlich pkl_003.014
Klarheit bezweckenden, der Wissenschaft, und man pkl_003.015
wird diese Art Prosa mit Recht durch das Prädikat pkl_003.016
poetisch von der gewöhnlichen unterscheiden können, pkl_003.017
so wie man umgekehrt gar viele Produkte, die der pkl_003.018
Form nach zur Poesie gehören, auch wohl in Bezug pkl_003.019
auf diese Form nichts zu wünschen übrig lassen, dem pkl_003.020
Wesen, dem Jnhalte nach, zur Prosa zählen muß.

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§. 4. Die Kenntniß der poetischen Formen ist pkl_003.022
zur vollen Würdigung der verschiedenen Kunstdichtungen pkl_003.023
unerläßlich. Ohne klare Einsicht in die Form wird pkl_003.024
sich das Wesen der Poesie der Seele nie ganz erschließen pkl_003.025
und kann der Genuß an derselben, da häufig gar pkl_003.026
viele Schönheiten in der Form liegen, nur ein unvollkommener pkl_003.027
sein. Daher ist jedem Gebildeten, der sich pkl_003.028
mit den Meisterwerken unserer Literatur befassen, sich pkl_003.029
an ihnen erquicken will, zuvörderst nöthig, daß er sich pkl_003.030
mit der Lehre von den poetischen Formen bekannt macht. pkl_003.031
Die folgenden Blätter bieten einen Abriß derselben.

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nach Verständlichkeit; sie will belehrend auf den Verstand, pkl_003.002
oder erregend auf den Willen und das Gefühl pkl_003.003
wirken. Darum bestimmt hauptsächlich der Jnhalt pkl_003.004
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Wortbewegung. Anders bei der Poesie. Jhrem pkl_003.006
Wesen gemäß verschmäht sie die Sprache des gemeinen pkl_003.007
Lebens und erscheint in besonderen Formen, die pkl_003.008
eigenen Gesetzen unterworfen sind und poetische pkl_003.009
Formen
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wie z. B. der Roman, die Novelle, das Gewand der pkl_003.011
Prosa annehmen, wird der Ausdruck doch gewählter, pkl_003.012
die Darstellung lebendiger, bilderreicher sein, als in der pkl_003.013
Sprache des gemeinen Lebens oder in der, hauptsächlich pkl_003.014
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wird diese Art Prosa mit Recht durch das Prädikat pkl_003.016
poetisch von der gewöhnlichen unterscheiden können, pkl_003.017
so wie man umgekehrt gar viele Produkte, die der pkl_003.018
Form nach zur Poesie gehören, auch wohl in Bezug pkl_003.019
auf diese Form nichts zu wünschen übrig lassen, dem pkl_003.020
Wesen, dem Jnhalte nach, zur Prosa zählen muß.

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§. 4. Die Kenntniß der poetischen Formen ist pkl_003.022
zur vollen Würdigung der verschiedenen Kunstdichtungen pkl_003.023
unerläßlich. Ohne klare Einsicht in die Form wird pkl_003.024
sich das Wesen der Poesie der Seele nie ganz erschließen pkl_003.025
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viele Schönheiten in der Form liegen, nur ein unvollkommener pkl_003.027
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[3/0029] pkl_003.001 nach Verständlichkeit; sie will belehrend auf den Verstand, pkl_003.002 oder erregend auf den Willen und das Gefühl pkl_003.003 wirken. Darum bestimmt hauptsächlich der Jnhalt pkl_003.004 des Darzustellenden die Art der Wortfolge und der pkl_003.005 Wortbewegung. Anders bei der Poesie. Jhrem pkl_003.006 Wesen gemäß verschmäht sie die Sprache des gemeinen pkl_003.007 Lebens und erscheint in besonderen Formen, die pkl_003.008 eigenen Gesetzen unterworfen sind und poetische pkl_003.009 Formen genannt werden. Wenn poetische Produkte, pkl_003.010 wie z. B. der Roman, die Novelle, das Gewand der pkl_003.011 Prosa annehmen, wird der Ausdruck doch gewählter, pkl_003.012 die Darstellung lebendiger, bilderreicher sein, als in der pkl_003.013 Sprache des gemeinen Lebens oder in der, hauptsächlich pkl_003.014 Klarheit bezweckenden, der Wissenschaft, und man pkl_003.015 wird diese Art Prosa mit Recht durch das Prädikat pkl_003.016 poetisch von der gewöhnlichen unterscheiden können, pkl_003.017 so wie man umgekehrt gar viele Produkte, die der pkl_003.018 Form nach zur Poesie gehören, auch wohl in Bezug pkl_003.019 auf diese Form nichts zu wünschen übrig lassen, dem pkl_003.020 Wesen, dem Jnhalte nach, zur Prosa zählen muß. pkl_003.021 §. 4. Die Kenntniß der poetischen Formen ist pkl_003.022 zur vollen Würdigung der verschiedenen Kunstdichtungen pkl_003.023 unerläßlich. Ohne klare Einsicht in die Form wird pkl_003.024 sich das Wesen der Poesie der Seele nie ganz erschließen pkl_003.025 und kann der Genuß an derselben, da häufig gar pkl_003.026 viele Schönheiten in der Form liegen, nur ein unvollkommener pkl_003.027 sein. Daher ist jedem Gebildeten, der sich pkl_003.028 mit den Meisterwerken unserer Literatur befassen, sich pkl_003.029 an ihnen erquicken will, zuvörderst nöthig, daß er sich pkl_003.030 mit der Lehre von den poetischen Formen bekannt macht. pkl_003.031 Die folgenden Blätter bieten einen Abriß derselben.

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Zitationshilfe: Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/29>, abgerufen am 16.04.2024.